Drei leitende Beamte bestätigen Aussagen von Ministerin Ulla Schmidt
Berlin: (hib/KHB) Mit der Vernehmung weiterer Beamter aus dem früheren Bundesministerium für Gesundheit hat der Untersuchungsausschuss über angeblichen Wahlbetrug der Bundesregierung vor dem 22. September 2002 am Montag seine Arbeit fortgesetzt. Drei Referatsleiter (zuständig für finanzielle Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, für Grundsatzfragen und für Koordinierung) im damaligen Gesundheitsministerium bestätigten im Wesentlichen die Angaben der Ministerin Ulla Schmidt (SPD). Alle drei versicherten übereinstimmend, sie seien vor der Wahl an keinerlei Vorbereitungen für das nach der Wahl betriebene Vorschaltgesetz der Bundesregierung zur Anhebung der Versicherungspflichtgrenze (von 4500 auf 5100 €) und der Sicherung des Beitragssatzes der Krankenkassen beteiligt gewesen.
Der für Finanzen der Kassen zuständige Beamte berichtete von einer Leitungssitzung zwei Tage nach der Wahl, auf der man besprochen habe, wie die Kassen beim unerwarteten Anstieg der Arznei- und Krankenhauskosten zu mehr Einnahmen kommen könnten. An der Sitzung habe er teilgenommen. Noch am gleichen Tag habe er einen Vermerk über zu erwartende Einnahmen aus der möglichen Anhebung der Versicherungspflichtgrenze vorgelegt; dieses Thema sei das ganze Jahr 2002 über diskutiert worden und habe seines Wissens auch im SPD-Wahlprogramm gestanden. Diese Anforderung habe sein Referat nicht überrascht. Der für Koordinierung zuständige Beamte erklärte die schnelle Erledigung des Auftrags der Leitung des Hauses nach der Wahl, eine Stoffsammlung zur Beschränkung der Kostenexplosion zu entwickeln, ähnlich: Der größte Teil der Vorschläge habe aus Unterlagen der vergangenen 15 Jahre gestammt, als auch Kostendämpfungen anstanden. "Die beauftragten Referate haben nicht bei Null angefangen; sie haben vielmehr aus ihren Schätzen geschöpft."
Der Referatsleiter Finanzen hat Ende August einen Vermerk für die Leitung des Hauses verfasst, in dem er auf die aus dem Ruder laufenden Arzneikosten hinwies. Statt des zwischen den Spitzenverbänden der Kassen und den Ärzteorganisationen vereinbarten Rückgangs der Kosten für Medikamente um 4,6 Prozent sei ein Anstieg erkennbar gewesen. Dieser Vermerk habe die Ministerin auch erreicht. Zur Presseerklärung des Hauses von Anfang September, die für die Opposition den Eindruck hatte entstehen lassen, Ministerin Schmidt habe bewusst Warnungen ihrer Mitarbeiter in den Wind geschlagen, sagte der Referatsleiter, sie sei mit ihm - und mit anderen Finanzexperten des Hauses - abgestimmt worden. Im Grundsatz gebe das Ministerium nicht konkrete Schätzungen ab, sondern treffe stets Aussagen zur Tendenzentwicklung. Wie sich die so genannte Riester-Rente auf die Kassenfinanzen auswirke, darüber gebe es keine verlässlichen Daten.
Der Referatsleiter Koordination klärte auf, warum ein, wie Unionsobmann Peter Altmaier sagte, "Brandbrief" der AOK Baden-Württemberg von Anfang August unbeantwortet blieb. Er habe den Brief aus Stuttgart für "unglücklich eingefädelt" gehalten. Wenn man die Lage der Kassen so dramatisch sehe, sollte man den eigenen Bundesverband auf Trab bringen. Offenbar habe es dort interne Differenzen gegeben. Er habe im Auftrag des Staatssekretärs eine Antwort entworfen und beteiligte Referate um Mitzeichnung gebeten. Der Abteilungsleiter Finanzen habe wegen fehlender Daten um Aufschub gebeten. Sein eigener Urlaub habe angestanden, er habe gefragt, ob die Antwort bis 20. September Zeit habe. Dem habe der andere Referatsleiter zugestimmt. Nach der Wahl sei sein "zurückhaltender" Entwurf erledigt gewesen; das Ministerium habe einige Schritte beschlossen, die Baden-Württembergs AOK schon vor der Wahl gewollt habe.