Bundestagsnachrichten
Berlin: (hib/MAR) Mit einer Gedenkstunde erinnerte der Deutsche
Bundestag am Donnerstagvormittag, dem 60. Jahrestag der Befreiung
des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, an die Opfer
des Nationalsozialismus. "Die verpflichtende Erinnerung an die
nationalsozialistischen Verbrechen ist Teil unserer moralischen und
politischen Identität", sagte Bundestagspräsident
Wolfgang Thierse (SPD) in seiner einleitenden Ansprache. Es gehe
aber nicht nur um Vergangenheit oder Schuldzuweisungen, mahnte er,
sondern um die aus der beschämenden Erinnerung erwachsende
Verantwortung in der Gegenwart und für die Zukunft. "Es sitzen
wieder Neonazis in einem deutschen Parlament", bemerkte Thierse und
forderte: "Wir dürfen denen unsere Sprache und unsere
Plätze nicht überlassen. Wegschauen, ignorieren,
schweigen, all das dürfen wir Demokraten nicht tun!" Der
Holocaust-Gedenktag verpflichte für immer dazu, "dass Deutsch
nie mehr die Sprache des Mordes, des Antisemitismus, der
Menschenfeindlichkeit, der Lüge und des rassistischen
Vorurteils wird". Die Erinnerung an die deutschen Opfer und die
Trauer über das Leid auch der Deutschen dürfe nicht
missbraucht werden für neonazistische Propaganda, mahnte
Thierse. Zwar sei es verständlich und legitim, mit Trauer an
das eigene Leiden zu erinnern. Das dürfe aber niemals und
nirgendwo dazu dienen, die Naziverbrechen zu relativieren und zu
beschönigen. "Dem zu widerstehen und zu widersprechen, ist
Sache aller anständigen Deutschen, aller Bürger", betonte
der Bundestagspräsident. "Die Wege der Erinnerung sind
schwierig", bekannte Professor Arno Lustiger in seiner Gedenkrede,
"aber solange wir leben, sollten wir sie alle in unserem
Gedächtnis behalten: die sechs Millionen unserer Brüder
und Schwestern, davon eine Million in Auschwitz, die anderen Opfer
der Nazis ohne Unterschied ihrer Herkunft, Religion oder des
Grundes ihrer Verfolgung, die Retter und die
Widerstandskämpfer aller Nationen." In sein Gedenken schloss
Lustiger auch die Soldaten der sowjetischen und der alliierten
Armeen ein, die bei der Befreiung fielen. "Ihre Namen und ihr
Gedenken seien gesegnet und unvergessen", schloss Lustiger. Der
Überlebende mehrerer Konzentrationslager erinnerte daran, dass
er heute vor 60 Jahren noch nicht befreit gewesen sei. Er hob den
"weithin unbekannt gebliebenen Widerstand der Juden Europas" und
die Beschuldigung, sich nicht gewehrt haben, als Motivation
für seine Forschungen hervor und bekannte, seine Bücher
seien auch "Epitaphe auf nicht vorhandene Grabsteine vieler
jüdischer Widerstandskämpfer". Ebenso würdigte er
die "deutschen Judenretter". Leider hätten diese keine
Fürsprecher, auch nicht in Jerusalem, beklagte Lustiger. So
würden nur 400 von insgesamt 20.000 Deutschen als "Gerechte"
in Yad Vashem geehrt. Unter Bezugnahme auf die Vorgänge im
sächsischen Landtag und das Scheitern des NPD-Verbotsantrags
fragte Lustiger, ob es nicht an der Zeit sei, dass deutsche
Verfassungsrichter ihre "Samthandschuhe" ausziehen, wenn es sich um
Feinde unserer Verfassung und Demokratie handelt.