Ausschuss für Wirtschaft und
Arbeit/Verbraucherschutzausschuss (Anhörungen)
Berlin: (hib/VOM) Die Dienstleistungsrichtlinie der
Europäischen Union (Rats-Dok. Nr. 5161/05) stößt
bei Wirtschaft und Gewerkschaften, aber auch innerhalb der
Wirtschaft, auf unterschiedliches Echo. Dies ist am
Montagnachmittag in einer öffentlichen Anhörung des
Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit deutlich geworden.
Knackpunkt ist dabei das so genannte Herkunftslandprinzip. Es
besagt, dass für die im EU-Ausland tätigen
Dienstleistungsunternehmen die Regeln des Staates gelten, aus dem
sie kommen. Die EU-Kommission erhofft sich von dieser
Liberalisierung zusätzliche 600.000 Arbeitsplätze, von
denen knapp 100.000 in Deutschland entstehen sollen. Der
Zentralverband des Deutschen Handwerks hat diese Zahl in der
Anhörung vehement bestritten. Wenn überhaupt, so werde im
deutschen Handwerk nur eine geringe Zahl von Arbeitsplätzen
entstehen. Dagegen sei Deutschland als Hochlohn- und Hochpreisland
attraktiv für Dienstleistungsunternehmen aus den
Nachbarländern. Allenfalls dort könnte die Richtlinie zu
neuen Arbeitsplätzen führen. Die
Dienstleistungsgewerkschaft ver.di erwartet dramatische
Auswirkungen von der Richtlinie. Ver.di-Vertreterin Margret
Mönnig-Raane sprach von einem "wahnsinnigen Dumping bei
Löhnen und Arbeitsbedingungen". Es käme zu Lohn- und
Preisdruck, zu sinkenden Einkommen, einer verschärften
Nachfrageschwäche und damit wieder zu wegfallenden
Arbeitsplätzen. Die von der EU-Kommission genannte Zahl sei
"hoch spekulativ". Die Bundestagsfraktionen bedauerten im
Übrigen, dass die ebenfalls zur Anhörung geladene
EU-Kommission keinen Vertreter entsandt hatte. Die IG Metall
plädierte dafür, das Herkunftslandprinzip durch das
Bestimmungslandprinzip zu ersetzen, sodass die Regeln, die am Ort
der Dienstleistung gelten, maßgeblich wären. Wilhelm
Kübler vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie sagte, zwar
sei die EU-Entsenderichtlinie vom Geltungsbereich
Dienstleistungsrichtlinie ausdrücklich ausgenommen worden.
Allerdings würden die Kontrollmöglichkeiten in dem Land,
in dem die Dienstleistung erbracht wird, so eingeschränkt,
dass die Entsenderichtlinie praktisch aushöhlt würde.
"Der Wegfall der Kontrollmöglichkeiten auf deutschen
Baustellen wäre das Ende der Entsenderegelung", so
Küchler. Nach der Entsenderichtlinie, die auf dem Bausektor
gilt, müssen aus dem Ausland entsandte Arbeitnehmer zu den am
Tätigkeitsort geltenden Bestimmungen beschäftigt werden.
Küchler appellierte, den Kontrollen erhöhte
Aufmerksamkeit zu widmen. Kontrolliert werden müsse dort, wo
die Dienstleistung erbracht wird. Der Deutsche Gewerkschaftsbund
forderte darüber hinaus mehr Rechtsklarheit. Es müsse
definiert werden, für welche Dienstleistungen die Richtlinie
anzuwenden sei und welche Standards eingehalten werden sollten. Utz
Schliesky (Universität Kiel) plädierte dafür, die
Art und Weise der Dienstleistungserbringung dem Recht und den
Behörden des jeweiligen Tätigkeitslandes zu unterwerfen.
Die Richtlinie in der jetzigen Form würde die Überwachung
der Wirtschaft erschweren. Für Schliesky führt das
Herkunftsland-Prinzip in seiner jetzigen Form zum "Chaos".
Funktionieren würde es nur bei transparenten und
harmonisierten Bedingungen. Der Bundesverband der Deutschen
Industrie (BDI) erhofft sich demgegenüber positive Effekte von
der Richtlinie. "Es zieht kein dunkles Szenario herauf", sagte
Sigrid Hintzen. Der Bundesverband des Deutschen Groß- und
Außenhandels (BGA) erhofft sich von der Richtlinie positive
Auswirkungen bei den warenbegleitenden Dienstleistungen. Es gebe
ein großes Potenzial, die Bürokratie im eigenen Land
abzubauen und die Attraktivität des Binnenmarktes für
ausländische Investoren zu steigern. Die Risiken für die
Beschäftigten seien nicht auf die Richtlinie, sondern auf den
Prozess der Globalisierung zurückzuführen, so Andreas
Kammholz vom BGA. Im Verbraucherschutzausschuss waren die
Auswirkungen der Dienstleistungsrichtlinie ebenfalls Gegenstand
einer Anhörung. Dabei rückten die Koalitionsfraktionen
die Fragen nach Auswirkungen auf nationale Standards im
Verbraucher-, Tier- und Pflanzenschutz und der Sicherung eines
hohen Verbraucherschutzniveaus in den Mittelpunkt. Mit Blick auf
das Verbraucherschutzniveau empfahl Professor Norbert Reich von der
Universität Bremen dem Ausschuss eine ablehnende Haltung
gegenüber dem Vorschlag der Kommission, da er ihn bereits im
Grundansatz für "verfehlt" hält. Er befürwortet
vielmehr eine Öffnung der Dienstleistungsmärkte nach den
einzelnen Sektoren, was die EU-Kommission "implizit" für
Finanzdienstleistungen und andere ausgenommene Bereiche anerkenne.
Als Mindestanforderung sei dann auch eine "Dienstleistungshaftung"
einzufordern, wie sie von der Kommission bereits schon einmal
angeregt worden war. Die in dem Richtlinienvorschlag vorgesehenen
"Qualitätssicherungspflichten" garantierten kein ausreichendes
Verbraucherschutzniveau, so Reich.