Dani Karavan: "Grundgesetz 49"
"Grundgesetz 49" von Dani Karavan
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Aus Vielen Eins
Die künstlerische Herausforderung, vor die Dani Karavan sich in diesem zentralen Bereich des Parlamentsviertels gestellt sah, kam seiner Arbeitsweise entgegen. Er gilt als einer der bedeutendsten internationalen Künstler, der Landschafts- und Stadträume zu neuen Erfahrungsräumen zu gestalten weiß. Seine Arbeitsweise läßt sich daher nicht in die herkömmlichen Kategorien künstlerischen Schaffens eines Architekten, eines Bildhauers, Environment- oder Konzept-Künstlers einordnen. Vielmehr entnimmt er Elemente aus all diesen Bereichen und verbindet sie zu einem neuen, raumgreifenden Gesamtkunstwerk. Berühmt wurde sein in diesem Stil gestaltetes Negev-Monument, das in der weiten Leere der Negev-Wüste mit begehbaren Betonskulpturen, Windharfen und Bäumen einen mythischen Ort schafft. Auch in Deutschland haben Dani Karavans Kunstwerke beeindruckt. So beispielsweise im Jahre 1993 die Straße der Menschenrechte in Nürnberg vor dem Germanischen Nationalmuseum. In Berlin, nahe am Reichstagsgebäude, wird er das Mahnmal zur Erinnerung an die von den Nationalsozialisten ermordeten Sinti und Roma gestalten.
Vorliebe für Grenzüberschreitungen
Der entscheidende Grundgedanke für die Installation vor dem Jakob-Kaiser-Haus war die Überlegung Karavans, mit Hilfe jener meterhohen Glasplatten - anstelle von Gittern oder Brüstungen - eine Verbindung des Hofes zur Spreepromenade zu schaffen, die ein hohes Maß an Sichtdurchlässigkeit gewährleistet. Aus dem Hofbereich heraus entwickeln sich unter diesen Glasplatten hindurch strahlenförmige Bodenstrukturen, von Cortenstahlbändern eingefaßte Grasstreifen, bis zum Spreeufer. Aus der Alleenreihe der Bäume entlang der Spree ist einer der Bäume, die Glaswand gleichsam überspringend, in den Hofbereich versetzt. Zum Hof hinauf vom Jakob-Kaiser-Haus her führt eine Treppenanlage, die in sechs - technisch ohnehin notwendigen - Abluftkaminen gipfelt. Dani Karvan läßt sie wie die Schornsteine eines gestrandeten Dampfers aus dem Boden ragen und zugleich die strahlenförmige Linienführung betonen. Durch diese raumgreifende Gestaltung wird Karavans Vorliebe für Grenzüberschreitungen im Ästhetischen sichtbar: Architektur und Landschaft, also Parlamentsbauten, Spree und Spreebogen, verschmelzen zu einer neuen ästhetischen Einheit.
Einheit keine ungefährdete Selbstverständlichkeit
Daß
auf jeder der 19 Glasplatten eines der 19 Grundrechte des Grundgesetzes in der Fassung aus dem Jahre
1949 zu lesen ist, erweitert die raumgestaltende formale Konzeption
des Künstlers um ein inhaltliches Element von wesentlicher
Bedeutung. Diese 19 Grundrechtsartikel, unmittelbar an der Spree
gesetzt, die einst Ost- und West-Berlin trennte, erinnern an die
schwierigen Jahre der Gründung der jungen deutschen Demokratie
in Bonn. Sie mahnen, die wiedererlangte Einheit nicht als
ungefährdete Selbstverständlichkeit und Politik in Berlin
nicht als geschichts- und voraussetzungslos zu begreifen. So wird
den Bürgern, die an der Spreepromenade entlanggehen, die
Leistung der Mütter und Väter des Grundgesetzes wieder
bewußt. In den wenigen Monaten vom September 1948 bis zum Mai
1949 haben sie im Parlamentarischen Rat eine Verfassung entworfen,
die bis heute Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland
sichert. Zugleich wird durch die klare, von allen Zusätzen und
Ergänzungen freie Formulierung aus dem Jahre 1949 das
Wesentliche des Grundgesetzes und der Grundrechte aller Deutschen
im wortwörtlichen Sinne transparent und auf eine neue,
eindringliche Weise sichtbar gemacht.
Dani Karavan, geb. 1930 in Tel Aviv, lebt und
arbeitet in Tel Aviv, Paris und Florenz "Grundgesetz 49",
Glasstelen und Cortenstahlbänder, 1998 / 2003, Hof, Haus 3,
Spreepromenade am Jakob-Kaiser-Haus Berlin
Text: Andreas Kaernbach,
Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages