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Gemeinsame Mahlzeiten waren schon immer ein Symbol für Frieden und Bündnisse. Und es verwundert kaum, dass das Wort „Stammtisch“ wie kein anderes die politische Tischgeselligkeit unterstreicht. Sicher ist vor diesem Hintergrund auch zu sehen, dass der Reichstagsarchitekt Paul Wallot dem Parlamentslokal große Aufmerksamkeit schenkte – obwohl die Forderung nach einem Speiselokal erst am Ende der Bauausschreibung stand.
Für die damals hochmoderne Küche holte Wallot Rat vom Berliner Nobelgastwirt Rudolf Dressel. Für die Atmosphäre im Lokal selbst und insbesondere für die Wappen- und Distelrankenmalerei beauftragte er den Münchener Buchillustrator Otto Hupp und den Künstler Franz Stuck. Im Ergebnis bekam man eine Art süddeutsche Kneipe, die von den Parlamentariern prompt „Wallotbräu“ getauft wurde.
Aber das Lokal, das damals im Hauptgeschoss lag, wo heute der Clubraum für Abgeordnete liegt, hatte auch andere Namen. Beliebt war es, das Lokal als Fraktion zu bezeichnen, verbunden mit den Namen der häufig wechselnden Pächter. Fragte man nach dem Aufenthaltsort eines Abgeordneten, konnte man hören, er sei in der „Fraktion Müller“ oder „Fraktion Schulze“. Das Restaurant war offenbar ein beliebter Ort für die Parlamentarier. Denn schließlich ist es nicht leicht, sich auf die Gesetzgebung zu konzentrieren, wenn der Magen knurrt.
Die Führung des Restaurants war für die Pächter mit Risiken behaftet. Denn früher tagte der Reichstag viel seltener als heute, und es war schwierig, leicht verderbliche Vorräte über mehrere Monate aufzubewahren. Häufig mussten die Pächter aufgeben, da es nicht in ihrer Macht stand, die Auslastung des Lokals vorherzusehen.
In der Geschichte des Reichstagsgebäudes spielte das „Wallotbräu“ zwei Mal eine bedeutende Rolle. Zum einen löffelte dort Philipp Scheidemann angeblich gerade eine Suppe, als er am 9. November 1918 hörte, dass die Menschen vor dem Hause nach einer Erklärung verlangten. Er stand auf, ging in einen anderen Flügel, öffnete das Fenster und rief die Republik aus. Im Reichstagsbrandprozess sagte zum anderen Marinus van der Lubbe aus, dass er am 27. Februar 1933 durch ein Restaurantfenster gestiegen sei, um das Gebäude anzuzünden.
Besonders in der Weimarer Republik haben sich die Parlamentarier über das Essen und die Preise beklagt. Die Abgeordnete Marie-Elisabeth Lüders, nach der heute ein Parlamentsneubau benannt ist, beschwerte sich am 25. März 1927, dass dort Dosenmilch serviert werde und keine frische Milch. Auch das Fett ließe zu wünschen übrig: „Ich bin überzeugt“, schimpfte sie, „dass die Herren zu Hause dieses Fett nicht essen würden. Hier sind wir aber dazu gezwungen. Es mag richtig sein, dass die Speisen mit Butter ‚angesetzt’ werden. Was aber nachher den Speisen noch zugesetzt wird, davon schweigt man.”
So bekam der Pächter sein Fett weg, was die Atmosphäre zwischen Schankwirt und Gästen sicher nicht verbesserte. Schon Reichskanzler Bismarck hatte im Reichstagsplenum am 26. März 1886 warnend auf die politische Rolle von Gastwirten hingewiesen: „Ich glaube, dass kaum eine Kategorie in der wählenden Bevölkerung einem Abgeordneten, der wieder gewählt werden will, so gefährlich werden kann, wie der Schankwirt. Gefährlich ist es deshalb, den Schankwirt zu reizen.”
Fotos: studio kohlmeier,
akg-images
Erschienen am 18. Oktober 2004
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