Vom Provisorium zum Denkmal
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Morgens fallen die Busse ins Regierungsviertel ein, um die
Bürger so nah wie möglich an das Macht- und Schaltzentrum
der Bundesrepublik heranzubringen: "Rechts sehen sie das
Bundeskanzleramt, links den neuen Bundestag, erbaut ..." Doch meist
sehen die Besucher nur einen kleinen Ausschnitt von der Macht am
Rhein, die zum Beispiel in der Tagesschau über den heimischen
Bildschirm flimmert. Das Kanzleramt zum Beispiel scheint hinter
seiner durchbruchsicheren Sperre unerreichbar, im Plenarsaal eine
Ruhe, die man aus dem Fernsehen nicht kennt. Und vom Gedränge
der Journalisten, wenn die Fraktionschefs Peter Struck und Wolfgang
Schäuble eine Tür öffnen, keine Spur.
"Um 13 Uhr nehmen wir unser Mittagessen im 'Langen Eugen' ein",
werden die Besucher aufgeklärt. Hinauf in den 29. Stock, zum
höchsten Restaurant der ehemaligen Bundeshauptstadt. Hier, wo
deutsche Küche in der Luft liegt und die Romantik des
Mittelrheins dem Betrachter zu Füßen fließt, sind
die Besucher aus den Wahlkreisen der Macht am nächsten. In den
28 Etagen darunter stellen 1.500 Menschen die Weichen für das
Wohl und Wehe der deutschen Republik. In den 20 Sitzungssälen
werden Kompromisse gesucht und nicht immer gefunden, über die
Landesverteidigung wird im abhörsicheren Saal des
Verteidigungsausschusses diskutiert, und in den
Abgeordnetenbüros arbeiten zwei Drittel der Mitglieder des
Bundestages. Im "Langen Eugen" wird Politik gemacht. In einem
Denkmal.
Internationaler Stil
"Der 'Lange Eugen' ist die deutliche Abkehr von der monumentalen
Staatsarchitektur", beschreibt die Kölner
Denkmalschützerin Regine Schlungbaum den Einschnitt in die
Vorstellungen staatlichen Bauens, den der damalige Star-Architekt
Egon Eiermann durch den Verzicht auf Pathos und bauliche Hierarchie
bewerkstelligte. Sein 112,5 Meter hohes Werk steht in der Tradition
des seit den 20er Jahren maßgeblich von Mies van der Rohe und
Le Corbusier entwickelten Internationalen Stils ? und darf sich
seit Januar 1998 ganz offiziell mit dem
nordrhein-westfälischen Schildchen "Baudenkmal" samt
Landeswappen schmücken. Ein Beispiel für schlichte,
demokratische Baukultur, die schon vor 30 Jahren mit einer Fassade
aus Stahl und Glas auf Transparenz setzte, als dies noch nicht Mode
war und in deutschen Städten gleich reihenweise massige
Betonklötze entstanden.
Daß sich der Kölner Regierungspräsident Franz-Josef
Antwerpes und seine für den Denkmalschutz von Landes- und
Bundesbauten zuständige Expertin Regine Schlungbaum für
den Bau interessierten, hat jedoch nichts mit dem Umzug nach Berlin
zu tun, der bald Möbelpacker ins Haus bringen und eine
unheimliche Stille in den Sitzungssälen und
Abgeordnetenbüros verbreiten wird. Die Planungen für ein
zweites Hochhaus, das die Deutsche Post AG als Konzernzentrale
neben dem "Langen Eugen" plazieren will, rief die Kölner
Aufseher auf den Plan. "Ein zweites Hochhaus kann die herausragende
städtebauliche Bedeutung und architektonische Wirkung des
Abgeordnetenhauses beeinträchtigen", fürchtet Regine
Schlungbaum, deren Abteilung gerade die Bauwerke der 50er Jahre
abgearbeitet hat und sich jetzt erst den schützenswerten
Bauwerken der 60er widmet. Der "Lange Eugen" ist ein 69er und
hätte eigentlich noch warten müssen. Doch die Zeit
drängt. Umzug und Deutsche Post schaffen vollendete Tatsachen.
Im Regierungspräsidium ließ man verlauten, man rechne im
Zuge der Bürgerbeteiligung mit Einsprüchen aus der
Bevölkerung. Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes
war jedoch zu keiner öffentlichen Stellungnahme zu diesem
Thema bereit.
Schwierige Geburtsstunde
Schon die Geburtsstunde des "Langen Eugen" war schwierig. Denn
das Provisorium Bonn sollte im Nachkriegsdeutschland keinesfalls
durch Bauwerke zur endgültigen Hauptstadt ausgebaut werden.
Andererseits ließen die räumlichen Verhältnisse zu
wünschen übrig. Der damalige Bundestagspräsident
Eugen Gerstenmaier sprach von einer "qualvollen Enge",
Bundeskanzler Konrad Adenauer sagte Ende 1964 in einem Interview,
auch eine provisorische Hauptstadt müsse "voll
funktionsfähig sein, weil sie sonst ihren Dienst am deutschen
Volk einfach nicht erfüllen kann".
1961 begann der Bundestag mit der Aufstellung eines Bauprogramms
für Bundesbauten, in dessen Zusammenhang 1962 auch die
Entscheidung für ein neues Abgeordnetenhaus fiel. Dennoch war
die Sache wegen ihrer symbolischen Bedeutung offenbar so heikel,
daß der Bundestag auf einen öffentlichen Wettbewerb
verzichtete und sofort die renommierten Architekten Egon Eiermann,
Paul Baumgarten und Sep Ruf beauftragte.
Bewusster Verzicht auf Hierarchie
Umstritten war allerdings, ob man sich für ein platzsparendes Hochhaus oder einen flächigen Baukörper entscheiden sollte. Während Eiermann einen Flachbau präferierte, machte sich Eugen Gerstenmaier für ein Hochhaus stark ? und setzte sich durch. Daß sich ausgerechnet Gerstenmaier mit einer Körpergröße von 1,68 Meter für ein Hochhaus einsetzte, ließ selbstredend den rheinischen Volksmund nicht ruhen und machte aus Gerstenmaiers Kind den "Langen Eugen". Den Anspruch des Bundestages nach einer gebauten Rücksichtnahme und einem gewollten Bruch mit der Monumentalarchitektur der 30er und 40er Jahre löste Eiermann nicht nur durch die Verwendung von Stahl und Glas, sondern durch bewußten Verzicht auf jede hierarchische Gliederung seines Hochhauses. Aus der räumlichen Ureinheit des Gebäudes, dem Abgeordnetenzimmer, entwickelte er seine sich auch in der Fassade widerspiegelnde, völlig unhierarchische Organisation des Hauses, das damit zu einem "anschaulichen Beispiel für das Verständnis demokratischen Bauens der jungen Bundesrepublik geworden ist", so Schlungbaum. "Durch ihre filigrane Ausführung gewinnt die Fassade eine spielerische Leichtigkeit und gleicht einem luftigen Vorhang mit Licht- und Schattenspiel. Horizontale Blenden und vertikale Tragstangen verleihen dem Bau Lebendigkeit und Organik."
Neues Wahrzeichen Bonns
Dabei hatte Eiermann nicht einmal viel Zeit für sein
Meisterwerk. Im März 1965 erhielt er den Auftrag für die
Erstellung des Entwurfes und die künstlerische Leitung, der
Grundstein wurde am 29. August 1966 gelegt. Das Richtfest folgte
schon am 10. Mai 1968, die Abgeordneten bezogen das neue
Wahrzeichen Bonns von Februar bis November 1969. In dieser kurzen
Zeit schuf Eiermann nicht nur den Baukörper, sondern auch die
gesamte Innenausstattung.
Dabei mußte Eiermann ausdrücklich den "provisorischen
Charakter" des Gebäudes berücksichtigen, das später
auch für andere Zwecke nutzbar sein sollte. Im Oktober 1965
sagte der Architekt im "Bonner General-Anzeiger": "Wenn ich eine
Universität zu planen hätte, würde ich sie
ungefähr so bauen wie das vorliegende Projekt ... Die
geplanten Sitzungssäle sind herrliche Hörsäle, die
Abgeordnetenräume können als Instituts- und
Seminarräume genutzt werden, ein Plenarsaal schließlich
ist ein herrliches Auditorium Maximum." Das Präsidium des
Bundestages schlug vor, im Fall eines Umzuges nach Berlin das
Gebäude internationalen Organisationen anzubieten oder als
Militärakademie der NATO zu nutzen. Pläne, die auch heute
als Ausgleich für die Bonner Region im Gespräch sind. Nur
daß damals kaum jemand glaubte, daß solche
Vorschläge einmal eine Rolle spielen würden...