DER WEG DER GESETZGEBUNG IM DEUTSCHEN BUNDESTAG
Vom Entwurf zum Gesetz
Am Anfang stand die Koalitionsvereinbarung. Darin hatten SPD und Bündnis 90/Die Grünen das Ergebnis anstrengender Verhandlungen festgehalten. "Im Zentrum unserer Integrationspolitik wird die Schaffung eines modernen Staatsangehörigkeitsrechts stehen", heißt es auf Seite 36. So fiel am 20. Oktober 1998 der Startschuß für ein neues Gesetz, für "ein Vorhaben von wahrhaft historischen Dimensionen", wie Bundesminister Otto Schily (SPD) während der Aussprache über die Regierungserklärung Mitte November formulierte. Doch der Weg vom Referentenentwurf im Ministerium bis zur Aufnahme im Bundesgesetzblatt gestaltete sich hürdenreicher und komplizierter als erwartet. Trotz Mehrheiten von SPD und Bündnis 90/Die Grünen in Bundestag und Bundesrat war die Koalition auf die Opposition angewiesen. Dabei schien zunächst alles nach "Regierungsfahrplan" zu laufen.
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Alle Gesetzentwürfe werden nach Einbringung im Bundestag nach der ersten Lesung in den federführenden und mitberatenden Ausschüssen ausführlich beraten.
Das Bundeskabinett verabschiedete den mit den Koalitionsfraktionen abgestimmten Gesetzentwurf, der den Ausschüssen zur Beratung überwiesen wurde. Die F.D.P. präsentierte das sog. Optionsmodell, das auf einen Konsens mit SPD und Bündnis 90/Die Grünen abzielte. In der Vorlage der CDU/CSU wurde dagegen eine allgemeine doppelte Staatsbürgerschaft abgelehnt. Mit der Amtsübernahme der CDU/F.D.P.Koalition in Wiesbaden verloren die SPDgeführten Länder im Bundesrat ihre Mehrheit; die Bundesregierung war auf Unterstützung der Opposition angewiesen, um in der Länderkammer zustimmungspflichtige Gesetze - wie die Staatsangehörigkeitsreform - durchzusetzen.
So mußte Innenminister Schily nach Mainz reisen, um mit der sozialliberalen Landesregierung von RheinlandPfalz nach einem Kompromiß zu suchen. Die F.D.P.Oppositionspartei im Bundestag - freute sich über die unerwartete Schlüsselrolle, die ihr durch die Hessenwahl zugefallen war: Ihr Optionsmodell wurde nahezu unverändert in den gemeinsamen Gruppenantrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. aufgenommen, der Anfang Mai vom Bundestag in dritter und abschließender Lesung verabschiedet worden ist. Die erste Hürde im Bundestag war genommen.
Befürchtungen innerhalb der Bundesregierung, ihr Verhandlungsführer Schily müsse sich erneut auf die Reise machen, um auch in Schwerin für den "Mainzer Kompromiß" zu werben, blieben unbegründet. Zeitweise hatte die PDS, die mit der SPD in MecklenburgVorpommern die Regierung stellt, den Eindruck genährt, die für eine Billigung des Gesetzentwurfs erforderliche Zustimmung des Landes im Bundesrat sei fraglich. Es blieb jedoch bei der Kritik an der Bundesregierung, die nur mit der F.D.P. verhandelt, die PDS aber "außen vor gelassen" habe. So passierte das neue Staatsangehörigkeitsrecht Ende Mai auch den Bundesrat - gegen den Widerstand der unionsregierten Länder. Zum 1. Januar 2000 wird die Reform in Kraft treten. Ein erbitterter politischer Streit, begleitet von schwieriger Kompromißsuche in den Ausschüssen des Bundestages wie in den Fraktionen, hatte sein (gesetzgeberisches) Ende gefunden. Zunächst hatte die Bundesregierung die gesetzgeberische Initiative ergriffen, nicht zuletzt, um die Bedeutung ihres Vorhabens zu unterstreichen. Im zweiten Anlauf waren es die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P., die den später verabschiedeten Gesetzentwurf beim Bundestag eingebracht haben. Das Grundgesetz kennt aber drei Gesetzesinitiatoren: neben der Bundesregierung und "der Mitte des Bundestages" auch den Bundesrat (Art. 76 GG).
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Mit der Amtsübernahme der CDU/F.D.P.-Koalition in Wiesbaden verloren die SPD-geführten Länder im Bundesrat ihre Mehrheit.
Eine Regierungsvorlage basiert im ersten Stadium auf einem Referentenentwurf des sachlich zuständigen Ministeriums. Auf dem Weg zur Kabinettsvorlage steht der Referentenentwurf mehrfach auf dem Prüfstand: extern, indem betroffene Verbände gehört werden, und intern durch Abstimmung mit weiteren Ministerien, deren Zuständigkeit berührt ist. Zudem prüft das Justizministerium die Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs. Ein Wächteramt von besonderer Bedeutung, da CDU/CSU erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken an der geplanten Staatsangehörigkeitsreform äußerten und mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht drohten. Nach dieser ausführlichen Prüfung wird der Entwurf dem Kanzleramt zugesandt. Mit dem Beschluß des Bundeskabinetts, die Vorlage beim Bundestag einzubringen, wird aus der Kabinettsvorlage ein Regierungsentwurf. Dieser wird zunächst dem Bundesrat zur Stellungnahme innerhalb von sechs Wochen zugeleitet.
Der Gesetzentwurf kann auch "aus der Mitte des Bundestages" beim Parlament eingebracht werden. Die dem hessischen Wahlergebnis geschuldete Initiative zweier Regierungsfraktionen (SPD und Bündnis 90/Die Grünen) sowie einer Oppositionsfraktion (F.D.P.) darf getrost als Ausnahme betrachtet werden. Der Regelfall ist vielmehr eine Initiative der Opposition, die darin auch eine Möglichkeit sieht, sich politisch Gehör zu verschaffen. Gesetzentwürfe der Koalitionsfraktionen sind häufig mit der Bundesregierung abgestimmt und beschleunigen das Gesetzgebungsverfahren, da die Zuleitung zum Bundesrat entfällt. Dabei bedienen sich alle Fraktionen eigener wissenschaftlicher Mitarbeiter, die die Vorlagen konzipieren.
Auch der Bundesrat kann Gesetzentwürfe im Bundestag einbringen. Dieses Recht steht allerdings nur der Länderkammer als Ganzes zu, nicht den einzelnen 16 Mitgliedern. Gesetzentwürfe von Ländern werden in den Ausschüssen des Bundesrates beraten, die dem Plenum des Bundesrates die Einbringung oder die Nichteinbringung beim Bundestag empfehlen. Ist die Gesetzesvorlage von der Ländermehrheit beschlossen, muß diese der Bundesregierung zur Stellungnahme innerhalb von sechs Wochen zugeleitet werden. Diese wird dann vom Bundeskabinett beschlossen und dem Bundestag übersandt.
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"Im Zentrum unserer Integrationspolitik wird die Schaffung eines modernen Staatsangehörigkeitsrechts stehen", heißt es auf Seite 36 der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen.
Alle Gesetzentwürfe werden nach Einbringung im Bundestag nach der ersten Lesung in den federführenden und mitberatenden Ausschüssen ausführlich beraten. Bei politisch wichtigen Entwürfen werden öffentliche Anhörungen angesetzt, in denen Experten ihre Stellungsmahmen zum Behandlungsgegenstand abgeben. Entsprechend verfahren die Arbeitsgruppen der Fraktionen. Am Ende der Ausschußberatungen steht die Beschlußempfehlung an das Plenum, das den Entwurf danach in zweiter Lesung debattiert und in der sich zumeißt abschließenden dritten Beratung abschließend über den Entwurf abstimmt.
Nach der Schlußabstimmung im Bundestag wird der Gesetzentwurf dem Bundesrat zugeleitet. Man unterscheidet zwischen Einspruchs und Zustimmungsgesetzen. Im Normalfall sind Bundesgesetze Einspruchsgesetze. Zustimmungsbedürftig sind sie, wenn das Grundgesetz dies festlegt. Der Einspruch hat nur eine "aufschiebende Wirkung", Er kann vom Bundestag zurückgewiesen werden. Bei Zustimmungsgesetzen ist dieser Weg verbaut. Um ein Vorhaben dennoch zu "retten", können Bundestag und Bundesregierung den Vermittlungsausschuß anrufen, der nach einer für beide Verfassungsorgane vertretbaren Lösung sucht. Der Vermittlungsausschuß kann den Gesetzesbeschluß des Bundestages bestätigen, aber auch vorschlagen, das Gesetz aufzuheben oder zu ändern. Im Falle der Nichtbestätigung müssen sich Bundestag und Bundesregierung erneut mit dem Gesetz befassen. Ein Zustimmungsgesetz ist zum Beispiel endgültig gescheitert, wenn der Bundesrat nach (maximal dreimaligem) Vermittlungsverfahren bei seinem Nein bleibt. Ein eher seltener Fall, denn bei über 5.500 Gesetzen, die seit 1949 im Gesetzblatt verkündet worden sind, blieben nur 59 im dieser Phase des Gesetzgebungsverfahren auf der Strecke.