interview
"Manchmal ein elender Knochenjob"
Auf seinem Schreibtisch steht ein Topf mit vierblättrigem Klee. "Wohlwollende Gesprächspartner" haben Wilhelm Schmidt den Glücksbringer geschenkt. Nicht ohne Grund. Denn der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion hat alle Hände voll zu tun und braucht dabei auch Fortüne. In der Serie über die Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer sprach Blickpunkt Bundestag mit dem Politiker.
Blickpunkt Bundestag: Die rot-grüne Koalition präsentiert sich ein Jahr nach der Regierungsübernahme, um es höflich auszudrücken, nicht gerade im Topzustand. Woran liegt das - alles nur Anfangsschwierigkeiten?
|
Schmidt: Zwei Dinge haben uns in der Tat einige Probleme gemacht: Wir haben zweifellos den Umfang und die Schwierigkeit von Regierungsarbeit und Altlasten unterschätzt; zum anderen haben auch die handelnden Personen wohl nicht ausreichend genug die Politik als Gesamtwerk und als Gemeinschaftsaktion verstanden. Dadurch sind die durchweg guten politischen Projekte leider zu häufig überdeckt worden. Unsere politische Arbeit ist besser als unser Ruf!
Nun gehört es zu den konstitutiven Aufgaben Parlamentarischer Geschäftsführer, zumal des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers, für eine möglichst gute Koordination und reibungslose Arbeitsabläufe zu sorgen. Warum läuft trotzdem so vieles schief?
So schlimm ist das nun wirklich nicht, dennoch sind wir um Verbesserungen bemüht. Wir haben jetzt sowohl auf der Parteiebene als auch im Kanzleramt mit Neubesetzungen reagiert, die Fraktion ist ohnehin ein sehr stabiler Teil dieses Machtdreiecks. Auch die Koordination mit dem Koalitionspartner klappt organisatorisch weitgehend reibungslos. Deshalb bin ich sicher, dass die notwendige Zusammenarbeit nun in effektiven Bahnen verläuft und die Anfangsprobleme damit überwunden werden.
Müssen Sie mit dem engen Koordinationsnetz auch mangelnde Klarheit und Führungsstärke der Regierungsspitze kompensieren?
Nein, das kann ich nicht so sehen, wenn auch richtig ist, dass manches in der Öffentlichkeit besser dargestellt werden könnte. In einer Regierungsfraktion ist eine dichte Koordination überlebenswichtig. Deshalb sitze ich in ständigen Koordinierungsrunden mit der Partei, der Fraktion, dem Kanzleramt und dem Koalitionspartner. Da sind eine Menge Stellschrauben, an denen man drehen muss. Ich finde, dies gelingt uns relativ gut.
Wünschen Sie sich mehr Macht? Würden Sie manchmal auch der Regierung gerne auf die Sprünge helfen?
Das machen wir ja. Die Fraktion und ihre Spitze sind durchaus selbstbewusst. Peter Struck und ich sind Mitglieder der Koalitionsrunde, wir treffen uns mindestens zweimal im Monat beim Kanzler. Dort wird die Position der Fraktion durchaus wichtig genommen.
Die Berufung des Bonn/Berlin-unerfahrenen Bodo Hombach zum Kanzleramtsminister hat sich politisch als Flop herausgestellt. Hätte Kanzler Schröder nicht lieber - wie sein Vorgänger Helmut Kohl mit Schäuble, Seiters und Bohl - einen mit allen Wassern gewaschenen Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer an die Spitze des Kanzleramtes stellen sollen?
Das hieße vergossene Milch kommentieren, das lasse ich. Aber ich persönlich bin immer Anhänger einer Lösung wie der gewesen, die Sie skizziert haben.
Was sind für Sie die wichtigsten Fähigkeiten, über die ein Erster Parlamentarischer Geschäftsführer verfügen sollte?
Er muss vor allem gut organisieren und kommunizieren können. Er muss viele Kontakte halten und gut zuhören können. Zugleich aber muss er auch sehr entscheidungsfreudig sein, wichtige Dinge sehr schnell auf die Reise bringen, auch wenn bisweilen kaum Zeit zum Nachdenken bleibt. Ohne diese Fähigkeiten hat man in diesem Beruf keine Chance.
Hat der Parlamentarische Geschäftsführer nur administrative oder auch politisch-steuernde Aufgaben?
Zunächst überwiegen die administrativen. Aber da er zugleich Mitglied der Führungsgremien der Fraktion ist, hat er naturgemäß auch zusätzlich politische Aufgaben, in denen er Einfluss nimmt. Wobei er kein Spezialist, sondern eher ein politischer Generalist ist.
Signalisiert der Begriff "Erster" Parlamentarischer Geschäftsführer, dass er neben dem Fraktionsvorsitzenden der wichtigste Mann der Fraktion ist?
Aus meiner Sicht uneingeschränkt ja. Und ich denke, dass dies auch die Fraktion so sieht. Die Bedeutung des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers entsteht nicht nur aus seiner umfassenden Koordinationsaufgabe, sondern auch dadurch, dass er sowohl Mitglied in den Führungsgremien der Fraktionen als auch der Koalition ist. Außerdem obliegt mir die Steuerung der Fraktionsfinanzen und der Fraktionsverwaltung mit all ihren differenzierten Einzelaufgaben.
Wie wichtig ist ein gutes Verhältnis zum Fraktionsvorsitzenden?
Unerlässlich. Ohne ein ganz enges und auch menschlich gutes Zusammenspiel könnte die Arbeit nicht laufen.
Wie viel Spielraum lässt Ihnen der Fraktionsvorsitzende?
Sehr viel. Ich mische mich nicht sichtbar in die politische Führung ein, da bin ich sehr loyal, umgekehrt mischt sich mein Fraktionsvorsitzender nicht in die Organisation ein. Es gibt in anderen Fraktionen Vorsitzende, die sich immer noch als frühere Geschäftsführer empfinden. Bei uns ist das nicht der Fall, und so bleiben die Spielräume außerordentlich groß.
Parlamentarische Geschäftsführer werden gerne als heimliche Manager des Parlaments bezeichnet. Eine richtige Einschätzung?
Man kann dies so sehen. Denn Bundestagspräsident und Ältestenrat müssen schon Rücksicht darauf nehmen, was die Geschäftsführer fraktionsübergreifend verabredet haben. Dem Ersten Geschäftsführer der größten Regierungspartei kommt dabei eine allgemein akzeptierte besondere Bedeutung zu. Deshalb führe ich häufig auch Gespräche mit dem Präsidenten des Bundestages und dessen Direktor sowie den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen.
Häufig gelten Parlamentarische Geschäftsführer als Einpeitscher, als whip, wie sie aus dem britischen Parlament geläufig sind. Wie wichtig ist die Rolle, die Abgeordneten der eigenen Fraktion beisammen und geschlossen zu halten?
Sie ist wichtig, und ich nehme sie sehr ernst. Allen Abgeordneten muss klar sein, dass die Tätigkeit im Parlament keine Privatveranstaltung, sondern in ein öffentlich zu verantwortendes Gesamtgefüge eingeordnet ist. Von daher sehen wir gerade als Regierungsfraktion sehr nachhaltig darauf, dass Präsenz und Abstimmungsverhalten organisiert und beeinflusst sind.
Treten Sie auch schon mal den "Oberen" auf die Füße?
Durchaus. Zunächst freundlich, aber nachdrücklich. Wenn das nicht funktioniert, kann ich sehr deutlich werden, auch gegenüber Ministern und dem Kanzler.
Hans-Dietrich Genscher hat das Amt des Parlamentarischen Geschäftsführers als einen der "interessantesten Jobs" bezeichnet, den die deutsche Politik zu vergeben hat. Stimmen Sie dem zu?
Ja, das empfinde ich genauso. Es ist ein hochinteressantes Amt, manchmal aber auch ein elender Knochenjob.
|
Wilhelm Schmidt ist seit Herbst 1988 Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Er wurde 1944 in Barbecke, Kreis Peine, geboren. Nach der Mittleren Reife absolvierte er die Ausbildung für den gehobenen Dienst der Kommunalverwaltung und war bis 1978 Beamter bei der Stadt Wolfenbüttel. Schmidt trat 1964 in die SPD ein und war seit 1972 in der Kommunalpolitik tätig. Von 1978 bis 1986 war er Abgeordneter des niedersächsischen Landtages. In den Bundestag wurde er 1987 gewählt. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.