interview
SERIE: JUNGE JOURNALISTEN FRAGEN JUNGE ABGEORDNETE
"An gewisse Regeln halten, ohne sich zu verbiegen"
Lan Böhm: Sabine, seit 1991 bist du in der PDS Mitglied und politisch aktiv. Und nun sitzt Du sogar im Bundestag...
Sabine Jünger: Anfangs hätte ich nie gedacht, dass ich jemals diese Chance haben würde. In der Wendezeit damals war ja überhaupt nicht klar, wie schnell wir in dieses Deutschland kommen würden. Wer 1991 in die PDS eingetreten ist, hat das nicht aus Karrieregründen gemacht, eher aus Protest. Die Zeiten waren aber relativ schnell – schon 1993 wurde ich in den Landesvorstand gewählt und saß dann ab 1994 im Landtag.
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Sabine Jünger (27, links) im Gespräch mit Lan Böhm (17). |
Haben dir die "alten Hasen" aus der Fraktion ein bisschen den Einstieg erleichtert?
Es gab eine Art Einführungsseminar, für alle, die neu in den Bundestag gewählt wurden. Das war hart, aber hilfreich. Wir bekamen eine ,Patentante' oder einen ,Patenonkel' zur Seite gestellt, bei mir war das Christina Schenk. In der ersten Zeit war das sehr nützlich, besonders in Bonn, wo wir über vier Häuser verteilt waren.
Wie hast du den Umzug von Bonn nach Berlin erlebt?
Für mich persönlich war es in erster Linie praktisch. Ich brauche jetzt nicht mehr über sieben Stunden zum Bundestag. Für den Bundestag insgesamt finde ich es auch vorteilhaft. In Berlin kann man den Problemen wesentlich schlechter ausweichen als in Bonn. Probleme gibt es hier in geballter Form: Ost und West, arm und reich, viele Demonstrationen usw. Natürlich gibt es trotzdem Abgeordnete, die aber auch gar nichts mitkriegen.
Sicher hat doch auch der Bundestag bestimmte Rituale. Bist du anfangs in ein Fettnäpfchen getreten?
Hmmm, das ist jetzt die Stelle, wo in den Interviews steht: "Sie grübelt!". Mein erster Auftritt im Landtag war ein klassisches Fettnäpfchen. Ich hatte bis an die Knie geschnürte Stiefel mit blank gescheuerten Stahlkappen an. Jeder, der an mir vorbei kam, sprang erschrocken zur Seite, besonders die CDU-Typen. Da kam der Landtagspräsident auf mich zu und klopfte mir mit den Worten auf die Schulter: "Ach, Sie sind Landtagsabgeordnete? Und ich dachte, Sie arbeiten hier...!" Die Stiefel habe ich im Landtag nie wieder angezogen.
Du musstest dich also anpassen, obwohl das deiner eigentlichen Natur widersprach?
Ja, aber das sind gewisse Regeln, an die man sich halten kann, ohne sich zu verbiegen. Zur Fraktionssitzung ziehe ich dann auch mal zerrissene Jeans an.
Wie haben deine Familie und deine Freunde auf deinen politischen Werdegang reagiert?
Meine Mutter ist, glaube ich, besonders stolz, dass ihre Tochter jetzt mit Gregor Gysi in einer Fraktion sitzt. Meine Freunde sind auch alle politisch aktiv – auf anderen Ebenen wie der autonomen Antifa oder in der Lesben- und Schwulenbewegung. Teilweise verstanden sie es nicht, wie ich mich in solche Sachzwänge begeben konnte. Auf der anderen Seite fanden sie es aber auch gut, dass da jetzt jemand ist, der noch nicht so angepasst ist.
In deiner Fraktion bist du die Jüngste. Sind die anderen Abgeordneten froh, dass junge Leute frischen Wind hereinbringen oder musstest du dich durchbeißen?
Die Mehrheit der Fraktion ist froh über die Jüngeren – das gibt frischen Wind, ist gut für die Politik, die Fraktion und für die PDS. Auf der anderen Seite nervt es die Älteren wahrscheinlich schon, wenn man mit verqueren Ideen kommt und sich nicht an innerfraktionäre Rituale halten will. Aber das ist mir egal: Wenn ich eine andere Meinung habe, dann vertrete ich diese und halte dagegen, auch wenn z.B. Gregor Gysi das so und so gesagt hat. Das gibt es bei mir nicht.
Wie würdest du deine Position in der PDS beschreiben?
Ich bin ganz normale Abgeordnete, auch wenn ich oft nicht mit der Fraktionsmehrheit übereinstimme. Meine politischen Auffassungen und meine Vorstellungen über das, was man in einem Parlament und in der PDS erreichen will, sind zum Teil andere. Aber solange beide Seiten damit leben können, klappt das ganz gut.
Wie sieht es denn mit deiner Arbeit als jugendpolitische Sprecherin der PDS aus?
Das ist eigentlich mein Hauptbetätigungsfeld. Ich wollte unbedingt jugendpolitische Sprecherin werden. Als halbwegs junger Mensch weiß man noch am ehesten, was Jugendliche wollen. Jugendliche sollen ihre Interessen selbst vertreten. Themen sind da z.B. das Wahlalter ab 16 Jahren, Gewalt in der Erziehung und die Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen.
In welchem Maße werden denn deiner Meinung nach Kinder und Jugendliche schon in Entscheidungen mit einbezogen?
Eigentlich ist die Beteiligung im Kinder- und Jugendhilfegesetz festgeschrieben. Das passiert allerdings bei den allerwenigsten Entscheidungen. Selbst bei so gravierenden Fragen wie "Wo willst du wohnen?" darf ein Scheidungskind mit 14 seine Meinung äußern, aber entscheiden erst mit 18.
Viele Jugendliche interessieren sich kaum für Politik. Für sie sind Politiker bloß am ,Rumlabern', ohne wirklich etwas zu tun, wobei sie auch noch einen Haufen Geld verdienen. Woher kommt das?
Weil es so ist! (lacht) Aber eigentlich glaube ich an diese These ,Politikverdrossenheit' nicht. Jugendliche sind eher politikerverdrossen, was ich verstehen kann. Wenn man erlebt, wie Entscheidungen nach irgendwelchen Sachzwängen getroffen werden und die Krankenschwester von nebenan für einen Bruchteil des Geldes fast noch härter arbeitet als viele hier.
Was wäre anders, wenn mehr jüngere Abgeordnete im Bundestag säßen?
Das muss ja nicht heißen, das alles besser wäre. Auch junge Politiker können schon so verbohrt sein, dass mir fünf durchaus ältere aus meiner Fraktion lieber sind. Es kommt auch auf die Partei und die Ansichten an. Ich kann mir aber vorstellen, dass es mehr neue Denkanstöße geben würde.
Mal ein ganz anderes Thema: Du scheinst mit deiner Homosexualität offen umzugehen. Doch es gibt ja leider immer noch Leute, die viele Vorurteile und Berührungsängste haben. Auch im Bundestag?
Leute wie Christina Schenk und Volker Beck haben in dieser Hinsicht viel Vorarbeit geleistet. Als die beiden sich öffentlich zu ihrer Homosexualität bekannten, durfte man Worte wie ,Schwule' und ,Lesbe' im Bundestag noch gar nicht sagen. Ich bin also auf einen besseren Boden gestoßen. Trotzdem gibt es aber immer noch wahnsinnig viele Vorurteile, gerade in der CDU und CSU. Man merkt so was an den Reaktionen, z.B. als die F.D.P. den relativ harmlosen Antrag zur eingetragenen Lebensgemeinschaft stellte. Als ob das Abendland dreimal unterginge! Zu mir persönlich ist aber noch niemand ausfällig geworden. Je offener man damit umgeht, desto einfacher ist es. Da gibt es dann wenig Platz für Spekulationen und Hinter-dem-Rücken-Getuschel.
Wenn du jetzt einen Blick eineinhalb Jahre zurück wirfst – wie ist deine Bilanz?
Viel gelernt, viel geschrieben, viel gelesen, wenig erreicht! Zumindest was das rein Parlamentarische betrifft. Als Oppositionspartei schreibt man die meisten Anträge für den Papierkorb. Das finde ich immer ärgerlich und bedauerlich, deshalb freut es mich um so mehr, wenn man dann zu einem Verband oder einer anderen außerparlamentarischen Interessenvertretung kommt und sieht, dass hier Ideen aufgegriffen wurden.
Und der Blick nach vorn? Was wünscht du dir für die Zukunft?
Dass sich die PDS nach der Neuwahl des Fraktionsvorstandes im Herbst wieder mehr mit inhaltlichen Themen anstatt mit Personalquerelen beschäftigt.
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Lan Böhm. |
Lan Böhm wurde 1982 in Wismar an der Ostsee geboren. Die Gymnasiastin arbeitet an drei Schülerpublikationen mit und schreibt gelegentlich für lokale Tageszeitungen. Als Vorstandsmitglied des Jugendmedienverbandes Mecklenburg-Vorpommern e.V. organisiert und leitet sie u.a. Schülerzeitungsseminare. Außerdem engagiert sie sich in verschiedenen Vereinen jugendpolitisch und setzt sich dabei besonders für die Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen ein.
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Sabine Jünger. |
Sabine Jünger wurde 1973 in Königs Wusterhausen geboren. In der Wendezeit erwachte ihr politisches Interesse, Mitglied der PDS wurde sie 1991. Schon 1993 saß sie im PDS-Landesvorstand von Mecklenburg-Vorpommern. Von November 1994 bis September 1998 war sie in diesem Bundesland Landtagsabgeordnete. Die laufende Legislaturperiode ist ihre erste im Bundestag. Die Jurastudentin sitzt im Rechtsausschuss und ist jugendpolitische Sprecherin der PDS-Fraktion. Sie hat ein Kind und macht um ihre lesbische Lebensgemeinschaft kein Geheimnis.