Vielfalt als Programm
Das Programm für das Jakob-Kaiser-Haus lautet Vielfalt. "Dass es sich so vielfältig entwickeln würde, konnte sich anfangs keiner von uns vorstellen." Nils Hartenstein aus dem Hamburger Architektenbüro Schweger & Partner hatte sich 1994 darauf eingestellt, ab und zu mal von der Elbe an die Spree zu fahren, um den Fortgang der Planungen im Blick zu behalten. Aber es kam ganz anders. Ganz anders, als Gebäude gemeinhin entstehen: Aus einem Wettbewerb geht ein Entwurf als Sieger hervor, der wird von der Grob- in die Feinplanung verwandelt und dann verwirklicht.
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Modell des Jakob-Kaiser-Hauses.
Nicht so beim Jakob-Kaiser-Haus. Die Vorgaben des Bundestages: vorhandene Architektur restaurieren und integrieren, die Parzellenstruktur der historischen Dorotheenstadt aufgreifen und bis zur Berliner Traufhöhe von 22 Metern geschickt Abgeordnetenbüros mit 18-Quadratmeter-Einheiten unterbringen. Das klang nach inhaltlicher Ausfüllung. Und damit betraute der Bundestag nach den EU-Vergaberichtlinien fünf renommierte Büros:
• Thomas van den Valentyn (Köln),
• Busmann & Haberer (Köln),
• de Architekten Cie (Amsterdam),
• von Gerkan, Marg & Partner (Hamburg) und
• Schweger & Partner (Hamburg).
Seit sich die Büros erstmals im März 1994 zu einem Workshop zusammensetzten, hat sich viel getan. Würde man sämtliche Entwürfe nacheinander abfotografieren und die Bilder als Film ablaufen lassen, man könnte schon auf den ersten Blick erkennen, wie sehr sich die Planung noch vor dem ersten Spatenstich hin- und herbewegte. Da waren die Kopfbauten zunächst an der eher wuchtigen Größe des Reichstagspräsidentenpalais orientiert, schrumpften dann aber mehr und mehr zusammen, um die Sicht auf die Spree nicht zu verstellen. Da wuchs hier der Bedarf für die Gastronomie, schrumpfte dort die Notwendigkeit zusätzlicher Sitzungssäle, bekam mal dieser Hof eine größere Eigenständigkeit, mal jener eine andere Anbindung. Nie war der einmal entworfene Masterplan, an dem sich alles ausrichten sollte, statisch. Bruno Vennes (Busmann & Haberer) bringt die Erfahrungen der Teams in ein griffiges Bild: "Der Masterplan lebt ..."
Jedenfalls war die Arbeit von Architektenteams, die sich untereinander kaum oder gar nicht kannten, eine ganz neue Erfahrung. In einem großen Loft am Kreuzberger Paul-Lincke-Ufer packten sie ihre Unterlagen aus und begannen Tisch an Tisch mit den Planungen – mit zunehmender Offenheit: "Wir haben schnell erkannt, dass wir das alles wirklich nur gemeinsam machen können, dass wir eine gemeinsame Sprache finden mussten, dass wir gemeinsam entwickeln mussten, um unsere eigenen Vorstellungen einbringen zu können", erinnert sich Hartenstein.
Vieles ergab sich von selbst. Nachdem van den Valentyn vor allem mit der Restaurierung und dem Ausbau des Reichstagspräsidentenpalais betraut war (aber neben anderen Verbindungselementen auch den Tunnel zwischen Jakob-Kaiser-Haus und Reichstagsgebäude entwickelte), berechneten die Teams aus den Vorgaben für Hofgröße und Büroanzahl, dass acht Häuser entstehen würden, teilten das durch vier und erhielten so das Ergebnis, dass jedes Büro zwei Häuser entwickeln würde. Nach einem weiteren Durchdenken der diversen Funktionen, nützlichen technischen und architektonischen Zusammenhänge übernahmen Schweger & Partner die Häuser eins und zwei, Busmann & Haberer die Häuser drei und sieben, von Gerkan, Marg & Partner die Häuser vier und acht sowie de Architekten Cie die Häuser fünf und sechs.
Zudem bildeten sie alle zusammen die "Planungsgesellschaft Dorotheenblöcke Berlin mbH", die als Generalunternehmer alle Fäden in der Hand hatte. Und das waren bei einem Bauvorhaben dieser Größe, das sich zu einem Milliardenvolumen entwickelte, sehr, sehr viele. Wer je selbst gebaut hat, weiß, was bei einem Einfamilienhaus alles schief gehen kann, bis man endlich einzieht. Der umbaute Raum des Jakob-Kaiser-Hauses entspricht knapp 700 (!) Einfamilienhäusern. Über 250 Organisationen und Behörden waren zu beteiligen, ihre Auflagen zu berücksichtigen, Tausende von Unternehmen und Subunternehmen zu koordinieren. Und doch entstand ein Haus "aus einem Guss" – weil ansonsten konkurrierende Architekten gemeinsam Verschiedenes auf die Beine stellten.