Doch manchmal ist das Paradies keines. Der grandiose Urlaubsort hat aber eben noch ein zweites Gesicht: Überschwemmungen, zerfledderte Ernten, in Fluten ertrinkende Bewohner, Verletzte, Leute auf der Flucht vor Wassermassen und Monsterstürmen, einstürzende Häuser, Erdrutsche, zerfetzte Stromleitungen - das karibische Meer als Katastrophenzone und brodelnde Wetterküche.
Es sind die Hurrikane, die seit jeher durch diese Ecke des Atlantiks toben und nicht selten Schneisen der Verwüstung schlagen. Jedes Jahr ist zwischen Juli und November Saison. Der Begriff Hurrikan stammt ursprünglich aus dem Indianischen und steht für "Gott des Windes" - und die Götter können nun mal unberechenbar sein.
Ende Oktober sucht "Alpha", der 22. Hurrikan der jüngsten Serie, die Karibik heim: Obwohl er mit "nur" 85 Stundenkilometern Geschwindigkeit ein eher schwacher Wirbelsturm ist, ertrinken in Haiti sechs Menschen, zwei sterben durch Stromschläge, auf Hispaniola sind zehn Tote zu beklagen, in der Dominikanischen Republik zwei. In diesem Land und auf Haiti zertrümmert "Alpha" 400 Gebäude. Flüsse treten über die Ufer. Besonders auf Haiti kommt es wegen der weithin abgeholzten Bergwälder schnell zu Überschwemmungen und Erdrutschen. Kuba wird kurz zuvor von "Wilma" erwischt: 700.000 Bewohner müssen ihre Häuser verlassen. Schwere Sturmböen peitschen durch die Bucht von Havanna. In der Hauptstadt werden Hunderte in letzter Minute aus überfluteten Gebäuden gerettet. An der Südküste werden mehrere Orte überschwemmt. Regenfälle und Erdrutsche vernichten einen Teil der Tabakernte, was Kuba wirtschaftlich hart trifft.
"Wilma" schreibt Geschichte: Mit über 300 Stundenkilometern in der Spitze entpuppt sich dieser Tropensturm als der stärkste Hurrikan seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1851. "Wilma" hat eine Rekordschwester namens "Katrina": Dieser nur wenig schwächere Hurrikan richtet die schlimmsten Verwüstungen an, die jemals ein solcher Horrorsturm hinterlassen hat - Zerstörungen fast biblischen Ausmaßes. "Katrina" und "Wilma" schlagen nicht so sehr in der karibischen Kernzone ein, sondern an den Karibikküsten Mexikos und des Südens der USA. Hurrikane bilden sich oft im Atlantik im östlichen Umfeld der Inselformationen und wüten dann Richtung Westen bis hin zu den USA und nach Mittelamerika.
Als besonders dramatisch erweist sich das Schicksal von New Orleans und anderer Orte in Louisiana und Mississipi. Um die Welt gehen apokalyptisch anmutende Bilder mit Hunderttausenden von Flüchtenden, mit Leichen in den Fluten, mit verzweifelten Bewohnern auf Dächern überschwemmter Häuser, mit erschütternden Szenen in einem überfüllten Stadion, mit Plünderungen und schießenden Polizisten. Und dann knallt "Wilma" mit voller Wucht auf die mexikanische Ferienregion Cancún, massive Verheerungen sind die Folge.
Hurrikane haben schon seit jeher Verwüstungen hinterlassen. 1992 etwa provozierte "Andrew" Schäden in Milliardenhöhe. Meist hielten sich die Zerstörungen und die Zahl der Todesopfer jedoch in einem gewissen Rahmen. Die Bewohner der Karibik lebten mit diesen Naturereignissen, und in Europa wie Nordamerika wurden die Berichte über solche Vorkommnisse in den Medien eher am Rande vermerkt und bald wieder vergessen. Das Jahr 2005 indes stellte alles Bisherige in den Schatten und markiert eine neue Dimension, eine Zäsur. Mit 26 Tropenstürmen - der erste machte sich bereits "vorzeitig" Anfang Juni auf den Weg - gab es so viele wie noch nie und noch nie tobten sie mit solch entfesselten Urkräften durch die Karibik. Über 1.000 Tote, volkswirtschaftliche Schäden, die auf bis zu 200 Milliarden Dollar geschätzt werden. Auch das ist ein Rekord.
Fortan hat die Karibik für immer zwei Gesichter: Zum Traumparadies gesellt sich die Umweltkatastrophe. Für 2006 warnt Conrad Lautenbacher von der US-Behörde für Ozeanografie und Atmosphärenforschung in Miami bereits vor einer ähnlich heftigen Hurrikan-Saison wie 2005: "Ich würde gerne voraussagen, dass es ruhiger wird, aber leider kann ich das nicht."
Und noch etwas ist neu: Es häufen sich die Indizien, die für einen Zusammenhang zwischen der wachsenden Schlagkraft der Hurrikane und der Klimaerwärmung sprechen, für die in hohem Maße der Kohlendioxidausstoß in den industrialisierten Staaten verantwortlich ist. Wird die Karibik zu einem Indikator des Klimawandels? Wird diese wunderschöne Region zu einem der ersten Opfer des Treibhauseffekts?
Niemand kann glaubwürdig behaupten, dass einzelne Wirbelstürme wie "Arlene", "Dennis", "Katrina", "Ophelia", "Wilma" oder "Beta" eine direkte Folge des Klimawandels sind. Ein Urteil werde erst nach längerfristigen Analysen möglich sein, so Peter Webster vom Georgia Institute of Technology. Mojib Latif meint, aus der Zunahme der Hurrikane seit Anfang der 90er-Jahre lasse sich noch "keine generelle Tendenz ablesen". Eine ähnliche Phase mit überdurchschnittlich vielen Wirbelstürmen habe es schon vor fünf Jahrzehnten gegeben. Allerdings verweist der Kieler Meteorologe ebenso wie Webster oder Kerry Emanuel vom Massachusetts Institute of Technology darauf, dass höhere Wassertemperaturen die Intensität der Stürme beeinflussen.
Aus Sicht Latifs steht zu befürchten, dass eine Katastrophe nach dem "Katrina"-Muster "wegen der globalen Erwärmung häufiger vorkommt". Wie viele andere Wissenschaftler hält es auch Stefan Rahmstorf vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung für sehr wahrscheinlich, dass der Temperaturanstieg in den tropischen Meeren die Heftigkeit der Hurrikane verstärkt.
Ein tropischer Wirbelsturm gilt gemeinhin dann als Hurrikan, wenn die Windgeschwindigkeit Orkanstärke erreicht, mithin rund 120 Stundenkilometer. Hurrikane können einen Durchmesser von mehreren hundert Kilometern haben und Gebiete mit tausenden Quadratkilometern heimsuchen - durch die Wucht des Windes, durch gigantische Meereswellen und durch sintflutartige Regenfälle. Das, was die Touristen anlockt, macht die Karibik auch zu einem Zentrum von Wirbelstürmen: das tropische Klima. Hurrikane entstehen über dem Meer, wenn dort das Wasser mindestens 26,5 Grad hat: Von dieser Temperatur an verdunstet Wasser in ausreichenden Mengen in höhere Luftschichten, wo sich bei bestimmten Druck- und Windverhältnissen rotierende Sturmwirbel bilden. Auf diese Weise baut sich nach und nach ein Hurrikan auf, dessen Mittelpunkt das "Auge" ist - eine wolkenarme, windfreie Zone mit niedrigem Druck und ohne Niederschläge. Von den schwer zu kalkulierenden Höhenwinden hängt es ab, in welche Richtung letztlich ein Tropensturm marschiert.
Es liegt auf der Hand, dass bei höheren Meerestemperaturen auch mehr Wasserdampf nach oben steigt: Die Hurrikane können sich mit mehr Energie aufladen und gewinnen so an Stärke und Schlagkraft. Forschungen der Nasa kommen auch mit Hilfe von Satellitenaufnahmen zu dem Ergebnis, dass im vergangenen Sommer die Wassertemperatur in der Atlantikzone der Karibik und im Golf von Mexiko um bis zu 1,5 Grad über dem normalen Wert lag. Diese Erkenntnisse bestätigen die Messungen anderer Wissenschaftler, wonach in den tropischen Meeren wie etwa der Karibik die durchschnittliche Meerestemperatur im Laufe der Jahre um 0,5 bis ein Grad geklettert ist.
US-Forscher vermuten, dass die extreme Wucht von "Katrina" oder etwa auch "Rita" mit einer Besonderheit zu tun hat. Die beiden von der Karibik her vorpreschenden Hurrikane zogen, bevor sie sich an der US-Küste entluden, noch über warme Wasserwirbel im Golf von Mexiko, wobei sie Extra-Energie auftanken konnten. Für den Ozeanografen Nick Shay von der Uni in Miami sind diese Wirbel "Antriebsmaschinen" für Hurrikane. Die Wirbel im Golf von Mexiko erwachsen aus einem Golfstrom-Ableger, der seit jeher aus der Karibik Wasser heranflutet - und das wird inzwischen immer wärmer.
Indes: Auch wenn die Indizien über den Zusammenhang zwischen höheren Wassertemperaturen und der Stärke der Hurrikane logisch anmuten, so zögern doch manche Wissenschaftler mit einer "Schuldzuweisung" an den Klimawandel. Christopher Landsea vom Hurrikan-Forschungszentrum in Miami meint, dass ein Vergleich der heutigen Windgeschwindigkeiten mit jenen der 70er-Jahre oder noch früherer Zeiten allein wegen der damals ungenaueren Messungen schwierig sei. Schon von daher sei eine Zunahme der Hurrikan-Kraft schwer zu belegen.
Freilich setzt sich zusehends die These durch, dass die immer zerstörerische Gewalt der Karibik-Hurrikane zumindest zum Teil im Klimawandel wurzelt. Aber muss das die Europäer sonderlich beunruhigen? Die Naturkatastrophen und das damit verbundene Leiden in der Karibik scheinen weiter weg, als sie es sind. Mit "Vince" tobte sich Anfang Oktober zwischen den Azoren und den Kanaren der historisch erste Hurrikan vor den Toren Europas aus. Und angesichts des temporären Ausfalls der Ölförderung vor der US-Küste wegen "Katrina" machten die Benzinpreise auch auf dem hiesigen Kontinent mächtige Preissprünge. So fern ist die Karibik nicht.
Karl-Otto Sattler arbeitet als freier Journalist in Berlin.