Elf Millionen Kubaner leben in ihrer Heimat, zwei Millionen an fremden Gestaden, vorzugsweise im 90 Meilen entfernten Florida. Die geringe Distanz war und ist für viele Kubaner die Versuchung zur Flucht. Über den Erfolg entscheiden Wind und Wellen, die fragwürdige Seetüchtigkeit der Transportmittel und obendrein das Prinzip der "nassen" und "trockenen Füße". Wer Floridas festen Boden erreicht, darf bleiben. Wer auf See aufgegriffen wird - das sind die "nassen Füße" - wird postwendend und im Einverständnis mit den kubanischen Behörden zurückgeschickt. 2004 griff die amerikanische Küstenwache 1.499 Kubaner auf, in den ersten zehn Monaten des Jahres 2005 waren es bereits 2.368. Wie viele der Flüchtlinge ertrunken sind, ist kaum festzustellen. Im April 2003 wurden nach einem Geheimverfahren auf Kuba drei Männer hingerichtet, die versucht hatten, eine Fähre zu kapern.
Als Castro 1980 - aus welchen Gründen auch immer - die Grenzen öffnete, setzten sich schlagartig 125.000 Kubaner in Bewegung. 1994 ließen die USA nach und nach 30.000 Kubaner ins Land, die aufgegriffen und vorübergehend auf dem Marinestützpunkt Guantanamo festgehalten worden waren.
Seither versuchen die USA ähnliche Massenfluchten mit allen Mitteln zu verhindern. Dazu zählt die lang-fristige Stärkung demokratischer Strukturen in der Region. So unternahmen die USA, in Übereinstimmung mit den Vereinten Nationen, größte Anstrengungen, die Demokratie in Haiti zu retten und den von Militärs gestürzten ersten demokratisch gewählten Präsidenten des Landes, Jean Bertrand Aristide, wieder einzusetzen.
Amerikanische Luftlandeeinheiten befanden sich bereits im Anflug, als Expräsident Carter, unterstützt von Exgeneral Colin Powell, die Junta doch noch zur Aufgabe bewegen konnte. Dass Aristide Jahre später seinerseits schwere Unruhen provozierte und deshalb ins Exil gedrängt wurde, haben nicht die USA zu verantworten.
Ein zusätzliches Problem, vor allem auf Haiti, ist die grenzenlose Armut. Auch hier greift Washington zu stabilisierenden Maßnahmen. Im Jahr 2000 trat die "Handelspartnerschaft mit dem Karibischen Becken" in Kraft. Sie umfasste die karibischen Inseln, die mittelamerikanischen Staaten von Belize und Guatemala im Norden bis Panama im Süden, dazu Guayana auf dem südamerikanischen Kontinent.
Für die USA ist dies der sechstgrößte Absatzmarkt in der Größenordnung von seinerzeit 19 Milliarden Dollar. Washington räumte den genannten Staaten Vorzugszölle für Textilien und Bekleidungsstücke ein, die mit amerikanischem Material hergestellt werden. Man hoffte, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Der verstärkte Export amerikanischer Baumwolle und Garne nützt der eigenen Wirtschaft; amerikanische Investitionen können zur Diversifizierung der karibischen Volkswirtschaften und zu ihrer Einbindung in größere Märkte beitragen.
Kuba bleibt von allen wirtschaftlichen Unterstützungsmaßnahmen ausgeklammert. Der amerikanische Wirtschaftsboykott ist so alt wie Castros Sozialismus. Er ist hin und wieder gelockert und dann doch wieder verschärft, aber nie aufgehoben worden. Weil Kuba Guerillagruppen in Lateinamerika und Afrika unterstützte, weil kubanische Truppen in Angola und Eritrea eingriffen, weil Kuba demokratische Bewegungen im eigenen Land unterdrückt und die Menschenrechte strapaziert.
Im Februar 1996 schossen kubanische Kampfflug-zeuge zwei Sportflugzeuge einer kubanischen Exil-gruppe aus Florida ab. Vier amerikanische Staatsbür-ger kamen ums Leben. Die Empörung, nicht nur bei Exilkubanern in Florida, war so groß, dass Präsident Clinton - anders als erwartet - den Helms-Burton Act unterzeichnete. Da dieses Gesetz auch ausländischen Firmen Strafen androhte, die auf Kuba in verstaatlichte, ehedem amerikanische Unternehmen investierten, protestierten Kanada, Japan, die Europäische Union und andere Staaten. Praktische Bedeutung hat diese Klausel nie erlangt, weil Präsident Clinton wie sein Nachfolger Bush sie alle sechs Monate von neuem außer Kraft gesetzt haben. Ungleich gravierender war, dass das Helms-Burton-Gesetz alle bisherigen Boykottmaßnahmen, durchweg Verordnungen der Exekutive, zusammenfasste und ihnen Gesetzeskraft verlieh. Damit entfiel die Möglichkeit, dass der Präsident bestimmte Maßnahmen auch wieder aufheben konnte. Das kann jetzt nur noch der Kongress - und das macht das Ganze ungleich schwieriger.
Präsident Bush seinerseits erklärte vier Monate nach Amtsantritt, er widersetze sich jedem Versuch, die Sanktionen abzuschwächen. Zwar versuchte er, humanitäre Hilfsmaßnahmen von religiösen und anderen Nichtregierungs-Organisationen zu erleichtern, auf der anderen Seite verschärfte er die geltenden Bestimmungen. Amerikanische Staatsbürger dürfen auf Kuba nur noch direkte Familienangehörige besuchen, und zwar in drei Jahren einmal. Reisende dürfen nicht mehr 3.000, sondern nur noch 300 Dollar mitführen. Der erlaubte Tagessatz wurde von 167 auf 50 Dollar reduziert. Geldüberweisungen - bis zu 300 Dollar alle drei Monate - dürfen nur noch direkten Familienangehörigen zugute kommen. Dies dürfte eine Konse-quenz des von Kuba eingeführten Zwangsumtausches für den Dollar sein.
Etwas großzügiger werden die Agrarexporte nach Kuba geregelt. Exportlizenzen werden jeweils für ein Jahr ausgestellt. Kredite oder Kreditbürgschaften wer-den ausdrücklich nicht erteilt. Die Ware muss im Voraus bar bezahlt werden. In der Praxis können die Frachter auslaufen, sobald eine ausländische Bank den Eingang der Rechnungssumme bestätigt. 2004 belief sich der Wert der amerikanischen Agrarexporte nach Kuba auf insgesamt 400 Millionen Dollar.
Warum die Vereinigten Staaten dem kleinen Nachbarn so kompromisslos gegenüberstehen, ist nur aus der Konfrontationsgeschichte der letzten vier Jahrzehnte zu verstehen. Der Sturz der Batista-Diktatur durch die Castro-Rebellen, die demokratische Wahlen, soziale Reformen und die Rückkehr zu verfassungsgemäßen Zuständen versprachen, fand 1959 auch in den USA weite Zustimmung. Mancher wollte in Castro einen kubanischen Robin Hood sehen, zumal er amerikanischen Senatoren in Washington versicherte, mit dem Kommunismus nichts zu tun zu haben. Nur Vizepräsident Nixon notierte, entweder sei Castro unglaublich naiv oder er stehe selbst bereits unter kommunistischem Einfluss. Im April 1961 erklärte Castro Kuba zum sozialistischen Staat. Mancher spottete später, Kuba sei das einzige Land, das sich freiwillig unter Moskaus Knute begeben habe.
1960 befand man sich auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Mit Sorgen beobachtete Präsident Eisenhower die Entwicklungen in Südkorea, in der Türkei und auf Kuba. Die USA waren ganz und gar nicht damit einverstanden, dass die Sowjetunion in der direkten Nachbarschaft einen Stützpunkt ausbaute. Eisenhower genehmigte geheime Vorbereitungen zum Sturz Fidel Castros. Das Ergebnis war das komplette Debakel in der Schweinebucht, der gescheiterte und überaus dilettantische Invasionsversuch einer Brigade von Exilkubanern, den die CIA und - drei Monate nach Amtsantritt - Präsident John F. Kennedy zu verantworten hatten. An einem Tag sei das amerikanische Prestige in sich zusammengefallen, schrieb der römische "Corriere della Sera". Die "Frankfurter Neue Presse" kam zu dem Ergebnis, Kennedy müsse als politisch und moralisch geschlagen betrachtet werden.
Kennedy selbst erklärte am Tage danach, die Kommunisten suchten sich verwundbare Regionen und Situationen heraus, die eine bewaffnete Intervention der Vereinigten Staaten unmöglich machten. In tausenden Dörfern, auf Marktplätzen und in Klassenzimmern finde dieser Kampf statt - Tag und Nacht, auf der gan-zen Welt. Dagegen müsse man angehen, ob in Kuba oder Südvietnam.
Auf einer Konferenz in Uruguay hat sich Castros argentinischer Kampfgefährte Ché Guevara später bei inem Mitarbeiter Kennedys für die Invasion in der Schweinebucht bedankt; sie habe die kubanische Revolution konsolidiert.
Nach dem Fiasko auf Kuba glaubte Nikita Chruscht-schow, der starke Mann im Kreml, mit dem unerfah-renen Kennedy Schlitten fahren zu können. Beim Zu-sammentreffen in Wien im Juni 1961 forderte er, die USA, Großbritannien und Frankreich müssten inner-halb eines halben Jahres ihre Streitkräfte aus West-Berlin abziehen. Andernfalls werde er mit der DDR einen Friedensvertrag schließen und die Zugangswege nach West-Berlin von der DDR kontrollieren lassen.
Kennedy kündigte die Verstärkung der amerikani-schen Streitkräfte um 225.000 Mann und die Erhö-hung des Verteidigungsetats um 3,2 Milliarden Dollar an. Wenig später baute die DDR die Mauer, die Sow-jetunion ließ das Berlin-Ultimatum fallen und versuchte nun, auf Kuba atomar bestückte Mittelstreckenraketen in Stellung zu bringen. Das war die Konfrontation um jeden Preis.
Kennedy versetzte die amerikanischen Streitkräfte weltweit in Alarmbereitschaft. Er überging den Ab-schuss eines amerikanischen Aufklärers über Kuba, der zeigte, dass die Boden-Luft-Raketen zum Schutz der Mittelstreckenraketenstellungen bereits einsatzbe-reit waren. Der Präsident hielt jedoch alle diplomatischen Kanäle offen und zog zugleich eine unmissverständliche Grenze: "Wir betrachten jeden von Kuba ausgehenden atomaren Raketenangriff auf jede Nation der westlichen Hemisphäre als Angriff der Sowjet-union auf die Vereinigten Staaten, der zum vollen Gegenschlag auf die Sowjetunion führt." Das war die Konfrontation am Abgrund des Atomkrieges. Also genau das, was beide Seiten bisher bewusst vermieden hatten.
Zivile wie militärische Berater Kennedys rieten zum militärischen Angriff. Die Streitkräfte hatten bereits 180.000 Soldaten zusammengezogen, aber Kennedy widersprach - "Wenn Sie nicht auf Kuba reagieren, dann mit Sicherheit in Berlin" - und verhängte statt dessen eine Seeblockade für sowjetische Waffentransporte nach Kuba. Moskau lenkte ein und zog die bereits stationierten Raketen von Kuba ab. Castro reagierte wütend, weil er nicht einmal konsultiert worden war.
In Washington hatte man angenommen, es hätte sich noch keiner der atomaren Sprengköpfe auf der Insel befunden. Das war offenbar falsch. Später war von 162 Sprengköpfen die Rede, davon 90 für den takti-schen Einsatz gegen eine Invasionsstreitmacht. Kennedys Verteidigungsminister Robert McNamara hat Castro 30 Jahre später persönlich gefragt: "Wussten Sie, dass die Sprengköpfe schon da waren? Hätten Sie den Einsatz empfohlen?" Castros Antwort: "Ich wusste, dass sie da waren. Ich hätte den Einsatz nicht empfohlen, ich habe ihn empfohlen." Obwohl man sich kaum vorstellen kann, dass Castro über den Einsatz sowjetischer Atomwaffen befinden konnte, spricht alles für die Vermutung, dass ein amerikanischer Angriff 1962 zum nuklearen Inferno geführt hätte. Die am besten gemanagte Krise der letzten 50 Jahre war, so Robert McNamara, am Ende reine Glückssache.
Die Sowjetunion hat ihren sozialistischen Vorposten in der Karibik über Jahrzehnte alimentiert. Von Summen bis zu sechs Milliarden Dollar jährlich ist die Rede. Mithin brachte der Zusammenbruch der Sowjetunion Kuba erhebliche finanzielle Einbußen und obendrein den Verlust der wichtigsten Märkte. Dessen ungeachtet ließ Castro im Juni 2002 durch ein Referendum, an dem sich 8,1 Millionen Kubaner beteiligten, festlegen, dass das sozialistische System und seine revolutionäre Ordnung auch künftig nicht geändert werden dürfen. Ob diese Festlegung Castro überdauert, wird die Zukunft entscheiden.
Klaus Jürgen Haller, langjähriger Chefreporter des
WDR-Hörfunks, hat insgesamt elf Jahre für den WDR und den
NDR aus Washington berichtet. Heute arbeitet er als freier Autor in
der amerikanischen Hauptstadt.