Mitte Dezember 2005 hat das Europaparlament in Straßburg den "Damas de Blanco" (Damen in Weiß) den Sacharow-Preis für geistige Freiheit verliehen. Die "Damas de Blanco" sind keine Organisation im eigentlichen Sinne. Sie sind Angehörige eben jener politischen Gefangenen, die in kubanischen Gefängnissen zum Teil mehr als 20 Jahre Haftstrafen absitzen müssen. Das Vergehen der "Prisioneros de Conciencia" (Gewissensgefangenen): Öffentliches Eintreten für Demokratie, Wahrung der Menschenrechte und Meinungsfreiheit.
Die Frauen haben sich zusammengeschlossen, um gemeinsam gegen das Unrecht zu protestieren. Jeden Sonntag ziehen sie über die Avenida Cinco in Havannas edlem Stadtviertel Miramar gemeinsam zur Kirche Santa Rita - friedlich, gewaltfrei und still. Ihren Namen verdanken sie der weißen Kleidung, die sie als Symbol für Frieden, aber auch für die Unschuld ihrer inhaftierten Männer tragen. Dieses Auftreten verschafft ihnen Aufmerksamkeit, denn normalerweise versucht die Staatssicherheit, Kritik am Regime und an der Politik des Regimes innerhalb Kubas zu unterdrücken.
Auch wenn die Staatssicherheit selbst nicht mit Gewalt oder Inhaftierungen gegen sie vorgeht, versucht sie doch, den sonntäglichen Marsch zu ver- oder wenigstens zu behindern. Abgesehen davon, dass die Frauen bei ihrem Weg auf Schritt und Tritt von bestellten Personen des Castro-Regimes begleitet und angepöbelt werden, werden sie auch häufig vor die Wahl gestellt, entweder an dem Marsch teilzunehmen oder ihre inhaftierten Männer zu besuchen. Normale Besuchszeiten für politische Gefangene beschränken sich auf zwei Stunden alle 30 bis 45 Tage. Da die Regierung die Besuchszeiten extra auf den Sonntag legt, können die Frauen ihre Familienangehörigen in den Gefängnissen oft mehr als zwei Monate nicht sehen. Als weitere Schikane versucht die Regierung, die Frauen in der Bevölkerung als unglaubwürdig darzustellen, indem sie sie als "aus dem Ausland gekaufte Söldnerinnen" abkanzelt.
Doch viele glauben eher den friedvoll marschierenden Frauen als der Regierungspropaganda. Denn bei ihrem Marsch betreiben die "Damas de blanco" nicht nur Protest, sondern auch Aufklärung. Sie informieren die Einwohner Havannas darüber, warum ihre Ehemänner im Gefängnis sitzen, und erzählen ihnen vom so genannten "kubanischen Frühling". Die meisten der verurteilten Familienangehörigen wurden im Zuge einer Verhaftungswelle im März und April 2003 inhaftiert - eine Phase, die nun "kubanischer Frühling" genannt wird. 79 Personen unterschiedlichsten Alters und verschiedenster Berufe wurden ab dem 18. März 2003 innerhalb weniger Tage vor Gericht gestellt. 75 von ihnen wurden in den nichtöffentlichen Schauprozessen zu Haftstrafen zwischen sechs und 28 Jahren verurteilt.
Rechtliche Grundlage der Urteile waren das Gesetz 88 sowie der Artikel 91 des Strafgesetzbuchs. Das Gesetz 88, auch bekannt unter dem Namen "Ley Mordaza" (Knebelgesetz), erlaubt die Ausübung von Repression einschließlich der Todesstrafe. Als Grund für die Anwendung des Gesetzes 88 genügt die Zusammenarbeit mit Presseorganen, die nicht den offiziellen Medien Kubas angehören, die Annahme von Entgelt für entsprechende Tätigkeiten oder die Annahme jeglicher Art von Spenden, die nicht von der Regierung genehmigt wurden. Ebenso stehen der Besitz oder die Verbreitung von "subversivem Material" sowie das Stören der öffentlichen Ordnung durch jede Art von Demonstration, die nicht mit der offiziellen Regierungslinie übereinstimmt, unter Strafe. Die Formulierung des Gesetzes ist sehr ungenau gehalten, sodass jeder unliebsame Gegner ohne große Umstände "legal" verurteilt werden kann.
Artikel 91 erlaubt es der Regierung, Personen zu Haftstrafen zwischen zehn und 20 Jahren zu verurteilen, die sich der "Konspiration mit einem ausländischen Staat" (vornehmlich den USA) schuldig gemacht haben, um die Unabhängigkeit des kubanischen Staates oder die Integrität seines Staatsgebietes zu schädigen.
Opfer der Verhaftungswelle waren vorwiegend Mitglieder einer der heute wohl bestorganisierten Oppositionsbewegung Kubas, des "Proyecto Varela", sowie unabhängige Journalisten. Mehr als 40 der im März Verhafteten sind wegen ihres Engagements für das Varela-Projekt verhaftet worden. Ihnen wurde die "Gefährdung der nationalen Unabhängikeit und der nationalen Wirtschaft" vorgeworfen. Die Verhaftungswelle zeigt aber auch, dass die Oppositionsbewegungen eine starke Kraft innerhalb Kubas darstellen und dass das Regime sie für eine ernstzunehmende Gefahr hält.
Die Verhaftungen beraubten das Varela-Projekt praktisch seiner gesamten zweiten Führungsebene. Oswaldo Payá Sardiñas, Gründer der Oppositionsbewegung, Sacharow-Preisträger 2002 und mehrmaliger Kandidat für den Friedensnobelpreis, blieb verschont. Vielleicht weil die kubanische Regierung diplomatischen Ärger auf höchster Ebene vermeiden wollte? Doch auch der Verdacht, dass die Regierung hoffte, das Projekt und die Bewegung Payás durch trügerische Freiheit besser kontrollieren zu können, liegt nahe.
Payá selbst ist bereits in frühreren Jahren schon mehrere Male verhaftet worden. Wegen seiner regimekritischen Haltung, zu der er nach wie vor öffentlich steht, musste er die Universität Havanna verlassen. Er konnte zwar an Abendschulen sein Studium als Telekommunikations-Ingenieur abschließen, durfte aber keine Lehrtätigkeiten ausüben. Er arbeitet nun seit den 80er-Jahren im Bereich "Öffentliche Gesundheit" als Spezialist für elektromedizinische Geräte.
1997 sammelte er hunderte von Unterschriften, die seine Kandidatur und die von zehn weiteren Personen als Abgeordnete der Nationalen Volksversammlung unterstützten. Dies war das erste Mal, dass sich mehrere Bürger als Kandidaten allein mit der Unterstützung der Bevölkerung aufstellen ließen. Allerdings wurde die Kandidatur von den Wahlausschüssen abgelehnt.
In dieser Zeit entstand auch das Varela-Projekt. In die Öffentlichkeit trat es erstmals am 10. Mai 2001, als Payá der Nationalen Volksversammlung 11.020 Wählerunterschriften übergab, die zuvor von über 100 Nichtregierungsorganisationen auf Initiative der Christlichen Befreiungsbewegung (Movimiento Christiano Liberación, MCL) gesammelt worden waren.
Das Varela-Projekt ist letztendlich eine von Payá er-arbeitete Gesetzesvorlage, die eine Volksabstimmung über Rechte wie zum Beispiel die freie Meinungsäußerung, das Versammlungs- und Vereinigungsrecht, die freie Religionsausübung und private Wirtschaftsbetätigung sowie eine allgemeine Amnestie für alle politischen Gefangenen fordert.
Die Grundidee des Projektes ist es, die Möglichkeiten der bestehenden kubanischen Verfassung auszunutzen. Das Varela-Projekt versucht also nicht, durch "illegales" Vorgehen eine Veränderung gewaltsam herbeizuführen. Vielmehr hat das Projekt das Ziel, das Regime mit seinen eigenen legislativen Waffen zu schlagen. Dabei stützt es sich auf einen Abschnitt in der kubanischen Verfassung, der besagt, dass zur Einreichung einer Gesetzesvorlage 10.000 Unterschriften notwendig sind.
Aufgrund der Anzahl der gesammelten Unterschriften durch die verschiedenen Organisationen wurde die Nationale Volksversammlung nun laut der kubanischen Verfassung verpflichtet, das Varela-Projekt öffentlich zu diskutieren beziehungsweise ein Referendum über die Vorschläge durchzuführen. Soweit die Theorie.
Als Reaktion der in DDR-Manier gewählten Versammlung wurde die Petition jedoch einfach als unzulässig abgelehnt. Gleichzeitig ließ Fidel Castro rund acht Millionen Kubaner an die Wahlurnen treten, um den "sozialistischen Charakter" der geltenden Verfassung "als unantastbar" festzuschreiben. Den Bürgern blieb kaum eine andere Wahl, als dem Aufruf Castros zu folgen. Bis heute ist das Varela-Projekt kein Diskussionsgegenstand in der Nationalen Volksversammlung.
Seit der Verhaftungswelle im Frühjahr 2003 hatte sich die politische Lage in Kuba bis Ende des Jahres 2004 wieder leicht entspannt. Das lag zu einem wesentlichen Teil an der Haltung der internationalen Gemeinschaft, die das Vorgehen der kubanischen Regierung aufs Schärfste kritisierte. Die EU antwortete auf die Vorgänge geschlossen mit einer Abkühlung der Beziehungen und erließ ein Bündel von diplomatischen Sanktionen, das unter anderem die Einladung kubanischer Dissidenten zu Feierlichkeiten zu Nationalfeiertagen einschloss. Gleichzeitig unterstrich sie aber, dass sie weiterhin an einem konstruktiven Dialog mit Kuba interessiert sei.
Zu neuer Bewegung in der Beziehung zwischen der EU und Kuba kam es 2004 nach dem Regierungswechsel in Spanien. Die neue Regierung unter José Luis Rodríguez Zapatero versuchte, die ihrer Meinung nach "unproduktive" EU-Position zu revidieren. In diesem Bestreben half ihr die Freilassung von neun politischen Gefangenen aus gesundheitlichen Gründen aus kubanischen Gefängnissen. Unter den Freigelassenen war auch Raúl Rivero, Journalist und Gründer der unabhängigen Nachrichtenagentur Cuba Press.
Als Antwort auf die Freilassungen, die keinen Freispruch, sondern lediglich Haftverschonung bedeuten, beschlossen die EU-Außenminister auf der Tagung des Rates am 31. Januar 2005, die politischen Beziehungen zu Kuba wieder aufzunehmen. Obwohl dies von der kubanischen Opposition stark kritisiert wurde, haben die EU-Außenminister am 13. Juni ein weiteres Mal die Aussetzung der Sanktionen gegen Kuba bekräftigt. Martha Beatriz Roque, die am 20. Mai desselben Jahres eines der größten Oppositionstreffen in Havanna organisiert hatte, nannte die EU-Entscheidung einen "gravierenden Fehler". Auch Oswaldo Payá drückte öffentlich sein Unverständnis aus. Es habe keine weiteren Freilassungen von politischen Gefangenen gegeben, die die Haltung der EU rechtfertigen würden. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) machte im Juli 2005 darauf aufmerksam, dass am 22. Juli wieder 26 weitere Regierungskritiker festgenommen worden seien. Payá wies darauf hin, dass die Situation der zahlreichen Gefangenen immer schlechter geworden sei. Dafür spricht auch das Verhalten verschiedener Gefangener, die im September und Oktober durch Hungerstreiks auf ihre Situation aufmerksam machten und damit gegen die unwürdigen Behandlungen in den Gefängnissen demonstrierten.
José Daniel Ferrer Garcia, Víctor Rolando Arroyo Carmona und Félix Navarro Rodríguez gehören zu der "Gruppe der 75", die im Zuge des kubanischen Frühlings im März 2003 verhaftet wurden. Alle drei wurden zu Freiheitsstrafen von 25 Jahren verurteilt. Und alle drei sind, wie viele der anderen Gefangenen auch, den Misshandlungen durch das Wachpersonal machtlos ausgesetzt. Immerhin gelang es ihnen nach 24 Tagen Hungerstreik, dass auf einige ihrer Forderungen eingegangen wurde. Die Zustände in Kubas Gefängnissen sind jedoch nach wie vor menschenunwürdig. Es gibt nur brackiges Trinkwasser, das Essen ist ungenießbar. Es gibt kein Fleisch und kein Fett. Die hygienischen Zustände sind katastrophal, Matrazen und Bettdecken existieren nicht, die Decken der Zellen sind undicht. Viele der Gefangenen sind gesundheitlich angeschlagen und geschwächt. In einem heimlich aus dem Gefängnis geschmuggelten Bericht, der von der Konrad-Adenauer-Stiftung und CADAL (Centro para la Apertura y el Desarrollo de la América Latina) veröffentlicht wurde, berichtet Jorge Luis Garcia Pérez über den den Alltag in kubanischen Gefängnissen. Nicht nur psychische, sondern auch physische Misshandlungen stehen auf der Tagesordnung.