Moral ist bei außenpolitischen Betrachtungen nur einer von vielen Aspekten. Das Verhältnis zwischen den karibischen Inseln und Deutschland wird in erster Linie von Interessen geprägt. In wirtschaftlicher Hinsicht spielt Deutschland für die karibischen Staaten sicherlich nicht die bedeutendste Rolle. Allein aufgrund der geografischen Nähe sind vor allem die USA als Handelspartner wichtiger als jeder europäische Staat für sich allein genommen. Allerdings hat Deutschland innerhalb der Europäischen Union ein entscheidendes Wort mitzureden. Und die EU stellt vor allem für Agrarerzeugnisse wie Bananen, Zucker und Reis den wichtigsten Exportmarkt der Karibikstaaten dar. Nicht zuletzt deswegen, weil Frankreich, die Niederlande und Großbritannien darauf bedacht sind, ihre überseeischen Besitzungen in der Karibik entsprechend zu fördern. Der so genannte Bananenstreit zwischen der EU und amerikanischen Konzernen wie Chiquita ist ein Beispiel dafür.
Doch die Karibikstaaten sind nicht nur Exporteure ihrer Erzeugnisse, sondern auch Importeure europäischer Güter. Auch die deutsche Wirtschaft liefert Maschinen und andere Industriegüter auf die karibischen Inseln. Im Vergleich zum Großraum Lateinamerika fällt die Karibik als Wirtschaftspartner Deutschlands jedoch nicht sonderlich ins Gewicht.
Dennoch unterhält die deutsche Wirtschaft zu bestimmten Staaten im karibischen Raum tiefer gehende Beziehungen. Einer davon ist die Dominikanische Republik. Es gibt eine ganze Reihe deutscher Unternehmen, die auf der Insel investiert haben. Deutschland ist zugleich der größte Absatzmark für ökologische Produkte aus der Dominikanischen Republik. Ein deutsches Unternehmen zertifiziert die Firmen vor Ort nach deutschen Standards. Und zu den rund 25.000 Deutschen, die inzwischen dauerhaft in der Dominikanischen Republik leben, gesellen sich jährlich tausende deutsche Touristen.
Umgekehrt interessiert sich die dominikanische Regierung für deutsche Umwelttechnologie, insbesondere für die regenerativen Energien. Das wirtschaftliche Engagement zieht Entwicklungshilfe und kulturpolitisches Interesse nach sich. Laut dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) ist jeder vierte Dominikaner von Armut betroffen. Deutschland gehört zu den wichtigsten internationalen Gebern in der Dominikanischen Republik und führt auch die Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen des Europäischen Entwicklungsfonds an.
In der internationalen Sicherheitspolitik haben die karibischen Inselstaaten seit den Tagen der Kuba-Krise keine größere Rolle mehr gespielt. Das Augenmerk richtete sich auf die großen lateinamerikanischen Staaten wie Brasilien, Kolumbien oder Mexiko. Doch spätestens seit den Terroranschlägen des 11. Septembers hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass auch den kleineren Staaten eine größere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Nun finden sich in der karibischen Inselwelt keine Ausbildungslager für Terroristen wie etwa in Afghanistan unter den Taliban, Gefahren drohen eher im Bereich des organisierten Verbrechens. Auch hier sind wegen der geografischen Nähe und aus Eigeninteresse vor allem wieder die Nordamerikaner gefragt. Der Drogenhandel von Kolumbien über die karibischen Staaten in die USA hat in den letzten Jahren drastisch zugenommen: Rund 600 Tonnen Kokain werden nach Angaben der Internationalen Drogenkontrollbehörde der Vereinten Nationen jährlich in die USA eingeschleust. Die amerikanischen Fahnder versuchen daher, stärker mit den lokalen Behörden zusammenzuarbeiten als bisher. Dies liegt auch im Interesse Deutschlands, denn ein großer Teil der in Lateinamerika produzierten Drogen sind für den europäischen Drogenmarkt bestimmt, wo sie ungleich höhere Gewinne einbringen als in den USA. Eng im Zusammenhang mit dem Drogenhandel steht das Problem der Geldwäsche. Leider hat sich auch hier die Karibik - etwa auf den Cayman Inseln - einen unrühmlichen Ruf erworben.
Dem Drogenanbau und Handel wird auf Dauer nur beizukommen sein, wenn die wirtschaftlichen Bedingungen in den Erzeuger- und Transitländern verbessert werden. Einen Beitrag dazu kann sicherlich eine gezielte Entwick-lungspolitik leisten.
Gerade die Entwicklungen in Haiti und Jamaika haben in der Vergangenheit gezeigt, dass man Armut, Korruption und politischen Machtmissbrauch so früh wie möglich international bekämpfen muss. Jahrelang hat Deutschland Jamaika entwicklungspolitisch stark unterstützt. Insgesamt sind Mittel in Höhe von rund 255 Millionen Euro geflossen. Deutschland hat unter anderem berufs- bildende Projekte und den Kampf gegen Aids finanziert. Die entwicklungspolitische Zusammenarbeit ist mittlerweile ausgelaufen, da Jamaika nicht mehr zu den ärmsten Regionen der Welt gehört.
Nun mögen sich deutsche Steuerzahler ganz grundsätzlich fragen, warum sie sich überhaupt finanziell in der Region engagieren sollen. Doch spätestens wenn sie als Urlauber in die Karibik reisen und nach palmengesäumten Traumstränden suchen, statt dessen aber Elend und Kriminalität vorfinden, wissen sie warum.
Armut und Kriminalität lassen sich nie auf eine gewisse Region begrenzen. Bevor jemand verhungert, wandert er aus. Die Flüchtlinge, die ihre Heimat verlassen, um bessere Lebensbedingungen zu suchen, strömen in Massen in die Vereinigten Staaten oder nach Kanada.
Um Armut und Kriminalität zu verhindern, reicht die klassische staatliche Entwicklungshilfe allein jedoch nicht aus. Ein wichtiges Instrument, das leider noch immer zu wenig eingesetzt wird, stellen internationale und nichtstaatliche Organisationen dar. Sie könnten karibischen Staaten wie Haiti langfristig helfen, demokratische und stabile Strukturen zu entwick-eln und die Zivilgesellschaften zu stärken, wie dies beispielsweise die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in den ehemaligen Ostblockstaaten macht.
Bekannt ist das Gremium vor allem weil es unabhängige Wahlbeobachter stellt. Doch die Organisation beschäftigt sich mit wesentlich mehr: Die Mitarbeiter unterstützen die betroffenen Staaten beim Aufbau demokratischer Strukturen und bei der Professionalisierung von staatlichen Behörden und Sicherheitskräften. Sie kämpfen gegen Folter und andere staatliche Übergriffe, bilden unabhängige Richter aus und helfen, Gesellschaften zu entmilitarisieren.
Auch Nichtregierungs- und Hilfsorganisationen, die über das entsprechende Geld, Know-how und Personal verfügen, könnten verstärkt in den karibischen Inselstaaten tätig werden. Doch vielen von ihnen erscheint die Karibik zu weit entfernt. Genau das aber ist die eigentliche Herausforderung: Um die Situation der Menschen in der Karibik und damit letztendlich auch unsere Situation zu verbessern, müsste man die Region und ihre Probleme ernster nehmen und bestehende Partnerschaften ausbauen.
Barbara Minderjahn arbeitet als freie Journalistin in
Köln.