Einleitung
"Seit zwölf Jahren diskutiert man über mich in Deutschland, man lobt mich und man tadelt mich, aber immer mit Leidenschaft und unaufhörlich. Dort liebt man mich, verabscheut man mich, vergöttert man mich, beleidigt man mich." 1 Als ambivalent und widersprüchlich beschrieb Heinrich Heine schon 1835 seine literarische Wirkung in Deutschland. Sein Wort gilt noch heute, 150 Jahre nach seinem Tod. Die deutsche Heine-Rezeption ist Erfolgsstory und Geschichte der Widersprüche zugleich - zerrissen zwischen zwei Extremen: der Liebe des deutschen Bürgertums zum vermeintlich romantischen Poeten auf der einen und der ebenso leidenschaftlichen Ablehnung des politischen Publizisten, des jüdischen Intellektuellen und vermeintlichen Vaterlandsverräters auf der anderen Seite. In diesem Doppelcharakter der Rezeption spiegelt sich der Doppelcharakter seiner Texte. Auch ihn hat Heine selbst schon beschrieben, wenn er seine frühen Gedichte, auf denen sein Ruhm gründete, als "maliziös-sentimental" bezeichnete - eine Kombination, die provokativ gemeint war und auch so wirkte.
Die Debatte um Heine wurde von Anfang an stark personenbezogen geführt. Sie trennte noch weniger zwischen Leben und Werk, als dies bei der Vermittlung und Kritik von Literatur allgemein üblich ist. Dazu verführte zum einen das in Heines Texten allgegenwärtige literarische Ich, auch wenn es sich selbstverständlich um ein fiktives handelt; zum anderen das von Heines literarischem Antipoden Ludwig Börne schon in den 1830er Jahren in die Debatte geworfene Stereotyp vom Widerspruch zwischen "Talent und Charakter". Das führte - auf dem Umweg über die Disqualifizierung Heines als Person - letztlich zur Abwertung seines Werkes. 2
Heine unterstützte diesen Prozess der Personalisierung von Anfang an. Mit allen ihm zur Verfügung stehenden publizistischen Mitteln - und das waren nicht wenige - griff er in die Debatte um sich und sein Werk ein. Er versuchte, die literarische Kritik zu lenken, und setzte dafür auch gezielt Informationen über sein Privatleben ein. Provokation war das Mittel seiner Wahl; provokativ das Bild, das er in der Öffentlichkeit von seiner literarischen und persönlichen Existenz zeichnete.
Es war eine Existenz im Widerstand: als deutscher Jude im politischen Exil in Frankreich; als "Zeitschriftsteller" in der Opposition zum Metternich'schen Regime und Opfer von dessen Zensurpolitik; als Kritiker des noch immer dem ästhetischen Wertekanon des deutschen Idealismus verpflichteten literarischen Mainstreams; nicht zuletzt als literarischer Verfechter und reales Opfer einer freien, sehr körperhaften Liebe, das an den Folgen seiner öffentlich vorgeführten Promiskuität jämmerlich zugrunde ging. Die deutsche Heine-Rezeption ist, indem sie diese explosive Mischung aus Politischem und Privatem, wenn auch kritisch gewendet, aufnimmt, von Anfang an eine politische - auch dort, wo sie sich rein ästhetisch wähnt. Und sie ist die Geschichte einer permanenten Provokation.
Die zeitgenössische Rezeption
Als Heines frühe Gedichte Ende der 1820er Jahre erstmals erschienen, war die zeitgenössische Kritik voll des Lobes. Der Autor des "Buchs der Lieder" wurde als Sprachkünstler, als Stilist und ausgebuffter Metriker gefeiert. Die sprachlichen und metrischen Brüche, die er seinen Lesern zumutete, ja sogar die durchweg ironische Behandlung so ernsthafter, für die Lyrik zentraler Themen wie das der unglücklichen Liebe, nahm man als Zeichen der Originalität billigend in Kauf. Doch bald schieden sich die Geister, gingen die Meinungen auseinander.
Das lässt sich exemplarisch an den Reaktionen der bürgerlichen, jüdisch-assimilierten Familie Lewald nachzeichnen, von denen die Schriftstellerin und Heine-Verehrerin Fanny Lewald berichtet. Ihr sei das "Buch der Lieder" "zehn, fünfzehn Jahre lang" ein ständiger Begleiter gewesen. "Viele der Heine'schen Lieder", so schreibt sie, "haben mich als Lieblinge durch das ganze Leben begleitet, ihr Rhythmus hat mich erquickt in Tagen schwerer Leiden, ich habe mich erfrischt an ihrer Lebensfülle." Doch mit dieser bewusst ästhetisch begründeten Wertschätzung stand Fanny Lewald in ihrem Umfeld allein. Im gebildeten Haus Lewald teilte man zwar Heines Kritik am politischen System, distanzierte sich jedoch, wie die meisten Leser, von seinem frechen, unernsten Ton. Die "Reisebilder" galten den Lewalds als "Schmutzbücher" mit "Commis-Voyageur-Witzen". Auch Fannys Lebensgefährte Adolf Stahr lehnte Heine ab; vor allem aus Gründen der Moral und guten Sitte. 3
Diese Haltung war typisch für die bürgerlichen Heine-Leser seiner Zeit. Dass die Lewalds jüdischer Herkunft waren, spielte dabei keine Rolle. Die jüdische Heine-Rezeption unterschied sich nicht wesentlich von der nichtjüdischen und war auch keineswegs weniger national kontaminiert. Doch wie umstritten Heine auch immer gewesen sein mag: Seine Gedichte waren ein Erfolg - in jeder Hinsicht. Das "Buch der Lieder" wurde, nach anfänglicher Käuferzurückhaltung, bald zum Bestseller. Schon in den 1840er Jahren, der Hochzeit der zeitgenössischen Rezeption, befassten sich jährlich mehr als 250 Artikel und Rezensionen mit Heine. Er war schon zu Lebzeiten einer der bekanntesten Schriftsteller Europas.
Gleichzeitig aber kam es zur Polarisierung. Die Wende setzte ein mit Heines Deutschlandkritik in den "Reisebildern", zeigte sich in den Reaktionen auf seine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Konkurrenten Ludwig Börne und wurde schließlich manifest in den explizit politischen Texten der 1840er Jahre, vor allen anderen im Versepos "Deutschland. Ein Wintermärchen" von 1844. Damit waren die Hauptthemen der künftigen Rezeption schon zu Lebzeiten des Dichters fixiert. Es war eine Mixtur aus moralischen, ästhetischen und politischen Ressentiments. Sie wurden projiziert auf eine provokativ "andere", die normative bürgerliche Selbstfindung des 19. Jahrhunderts verletzende Existenzform und auf ein bewusst anti-idealistisches ästhetisches Literaturverständnis. Heine verweigerte sich jener Vereinnahmung durch die bürgerliche Gesellschaft und Stilisierung des Dichters zum Nationalheros, wie sie damals in Deutschland an Friedrich Schiller vorexerziert wurde.
Schillers 100. Geburtstag 1859, zwei Jahre nach Heines Tod, wurde - eingeleitet von einer längeren Inkubationsphase - zur Geburtsstunde des Schiller-Nationalkults. Das mit ihm errichtete öffentliche Schillerbild diente als Muster für das, was ein Dichter den Deutschen des 19. Jahrhunderts sein sollte, nämlich Genie und Nationalheld zugleich. Diesem Dichterideal entsprach Heine nie. Ja, er wurde nach seinem Tod geradezu zum Anti-Schiller.
Der bürgerlich-liberale Heine
"Wieviele deutsche Philister wüssten denn, was Heine bedeuten soll, wenn nicht Herr Silcher Ich weiß nicht, was soll es bedeuten` in Musik gesetzt hätte?" Der Wiener Publizist Karl Kraus, ein als Kritiker verkappter Heine-Schwärmer, hatte es 1911 auf den Punkt gebracht: Die Heine-Rezeption des liberalen deutschen Bürgertums lebte fast ein Jahrhundert lang durch die Vertonungen seiner Gedichte, allen voran Friedrich Silchers "Loreley"-Lied von 1838. In diesen Vertonungen fand sich das bürgerliche Publikum bestätigt in seiner Liebe zu Heines Gedichten, ihrer Sangbarkeit, den echten oder auch falschen Gefühlen, die sie evozieren.
Doch das war nicht immer so. Als der junge Heine Ende der 1820er Jahre seine Gedichte, darunter auch die "Loreley", im "Buch der Lieder" versammelte, wollte niemand das Manuskript haben. Schon damals hatte sich - mit dem Entstehen eines nach den Kriterien von Angebot und Nachfrage funktionierenden Buchmarkts - ein sehr dauerhaftes verlegerisches Misstrauen gegen Gedichtbände herausgebildet. Heines Verleger Julius Campe, auch er ein ökonomisch denkender Lyrik-Verächter, fasste es in den bis heute gültigen Satz: "Gedichte, wer kauft schon Gedichte." So sah sich Heine schließlich gezwungen, das Manuskript an den Verleger zu verschenken, um es überhaupt gedruckt zu sehen. Campe behielt mit seiner Skepsis zunächst Recht. Zehn Jahre lang sei das "Buch der Lieder" - so beschrieb es Heine selbst - wie ein "harmloses Kauffahrteyschiff (...) ins Meer des Vergessens hinabgesegelt".
Dann aber wurde es von einem neuen, jungen Publikum entdeckt: von Studenten, vor allem den in ihren Anfängen politisch fortschrittlichen Burschenschaften, der damaligen intellektuellen Avantgarde. "Jeder Bursch", kommentierte der Verleger erfreut die Trendwende, "muß seinen Heine haben." Diese neue Leserschicht verstand und goutierte - anders als die konventionelle literarische Kritik - den "maliziös-sentimentalen" Doppelcharakter von Heines Gedichten. Deren zentrale Figur, ein meist unglücklich liebendes und leidendes literarisches Ich in romantischem Gefühlsüberschwang, stand diesen Lesern sehr nah. Und vertraut war ihnen auch die Bereitschaft, diese Gefühle zu brechen und in Frage zu stellen - was Heines Texte in einer damals unerhört wirkenden Radikalität vorführten. Doch dieser Doppelcharakter geriet bald in Vergessenheit. Zurück blieb dersimplifizierte, romantisch-sentimentale Heine.
Diese Entwicklung wurde getragen "Auf Flügeln des Gesanges" - so der Titel eines der bei Komponisten besonders beliebten Heine-Gedichte. Hunderte von Tonsetzern ließen sich verführen von der Sangbarkeit der meist dem "Buch der Lieder" entnommenen Verse, von ihrem so einfachen, liedhaften Ton und der Gängigkeit ihrer Themen und Motive. Bevorzugt wurden die scheinbar ungebrochen gefühlsauthentischen Liebesgedichtewie "Du bist wie eine Blume", "Leise zieht durch mein Gemüth" oder "Ich hab im Traum geweinet". An ihnen versuchte sich alles, was Rang und Namen hatte unter den zeitgenössischen und nachgeborenen Komponisten: Robert Schumann, der mit dem Titel seines berühmt gewordenen Liederzyklus "Dichterliebe" den Grundton dieser problematischen Rezeptionstradition anstimmte, der späte Franz Schubert, das geniale Geschwisterpaar Felix und Fanny Mendelssohn, das Heine aus seiner Berliner Studienzeit kannte, des Weiteren Giacomo Meyerbeer und Franz Liszt, mit denen er in Paris verkehrte, und nicht zuletzt Johannes Brahms und Richard Wagner. Allein bis 1914 hat man etwa 2750 verschiedene Kompositionen nach Heine-Gedichten gezählt.
Heine selbst, der seit 1848 gelähmt in seiner Pariser "Matratzengruft" lag, lernte von diesen Vertonungen nur sehr wenige kennen. Dies beschreibt der Bericht vom tragikomischen Besuch eines deutschen Männergesangvereins beim kranken Dichter: "Mit gedämpfter Stimme, damit es den Kranken nicht behellige, wurde nun - meist nach Mendelssohns Kompositionen - eine Reihe seiner Lieder vorgetragen, unter anderen Am fernen Horizonte`, Der Herbstwind rüttelt die Bäume`, Leise zieht durch mein Gemüt`, Auf Flügeln des Gesanges`, In dem Wald bei Mondenscheine`, und das Quartett Entflieh mit mir und sei mein Weib`. Heine zeigte sich außerordentlich erfreut, mehrmals erhob er sich von seinem Lager und sagte lebhaft: Das ist eine vortreffliche Auffassung! Besser konnte man meine Gedanken nicht wiedergeben.` Einen wehmütigen Eindruck machte es aber, daß von allen diesen Kompositionen beinahe keine einzige ihm bekannt war." 4
Sehr wohl bewusst war Heine jedoch die Breitenwirkung, die seine Gedichte durch diese Vertonungen erreichten - auch wenn dem gewieften PR-Strategen die Problematik dieser Massenwirkung nicht verborgen geblieben sein dürfte. Exemplarisch dafür steht die Wirkungsgeschichte der "Loreley". Heines Gedicht gibt sich in Sujet und Form bewusst populär. Da ist der scheinbar volkstümlich-sagenhafte Ursprung des Motivs - "ein Märchen aus uralten Zeiten" -, obwohl die Loreley de facto keine Figur aus deutscher Sagen- und Märchenwelt ist, sondern eine romantische Kunstfigur. Da ist des Weiteren die Situierung der Geschichte am Rhein, einem Kerngebiet romantischer deutscher Seelen- und Sehnsuchtslandschaft. Da ist der dem fiktiv volkstümlichen Motiv entsprechende volksliedhafte Ton, mit dem das Thema zusätzlich sentimental simplifiziert wurde. Vor allem anderen aber ist da der Stoff selbst: die todbringende Anziehungskraft, die die unerreichbare, nixenhafte Frauengestalt auf den jungen Rheinschiffer ausstrahlt. All das bot einem breiten Leserkreis reichlich Möglichkeiten zur Identifikation oder auch zur Abgrenzung.
Anders als viele andere Heine-Verse, wurde das Loreley-Gedicht nur ein einziges Mal vertont - jedoch mit durchschlagendem Erfolg. Mit Silchers sentimentalem Lied war es nicht nur ein für alle Mal um den "Schiffer in seinem Kahne", den unglücklichen Helden, geschehen, sondern auch um das Heine-Bild der Deutschen. Der unmittelbar nach der Entstehung einsetzende Erfolg des Lieds zeigt prototypisch, wie Heine von seinen bürgerlichen deutschen Verehrerinnen und Verehrern zum Spätromantiker verklärt und wie dabei die Doppelbödigkeit seiner Gedichte ignoriert wurde. Auch so ließ sich der kritische "Zeitschriftsteller", als der Heine gleichzeitig in Frankreich reüssierte und auch ins vormärzliche Deutschland hineinwirkte, entschärfen, verdrängen und schließlich enteignen.
Denn dass es sich bei der "Loreley" - so wie bei Heines Jugendlyrik generell - um ein "absichtlich falsches" Volkslied handeln könnte, wie Theodor W. Adorno behauptete, um ein durch und durch künstliches Produkt, dessen Gefühlsüberschwang vielfach gebrochen ist, von solcher Einsicht blieb diese Erfolgsgeschichte unberührt. Und so breitete sich der Heine des "Loreley"-Lieds aus; in spätromantisch-bürgerlicher Salongeselligkeit, in Burschenschaften und Männergesangsvereinen und schließlich in der Rheintouristik des 19. Jahrhunderts. Hier wandelte sich die Loreley mit der Reichsgründung und der Umdeutung des Rheins zur Reichsgrenze von der romantischen Allegorie zur Symbolfigur des deutschen Nationalismus. Aus der erotisch attraktiven Jungfrau war eine kraftstrotzende, kriegerische Germania geworden.
Da passte es schlecht, dass Heine, ihr Schöpfer, als ein mit dem deutschen "Erbfeind" Frankreich poussierender jüdischer Vaterlandsverräter in Verruf stand. Und da man auf die Loreley als deutschnationale Symbolfigur nicht verzichten wollte, unterschlug man einfach ihre Herkunft. "Verfasser unbekannt", stand von nun an unter Silchers Lied. So konnte es fester Bestandteil der Liedersammlungen, Kommersbücher, Postkartenmotive und Klavieralben bleiben, von der wilhelminischen Zeit bis hinein ins "Dritte Reich", ja, teilweise bis heute. Karl Kraus' Sentenz, die den Namen Heines an Silchers Loreley-Lied bindet, wurde schon bald durch die politische Entwicklung obsolet. So kommt es, dass Heines "Loreley" - jenseits aller romantischen Ironie ihres Verfassers - aus politischen Gründen zum Volkslied wurde.
Ein Denkmal für Heine
Zum Politikum entwickelte sich insbesondere auch das Projekt eines Heine-Denkmals für Düsseldorf. Dabei hatte die Sache ganz unpolitisch begonnen, als Initiative einer prominenten Verehrerin, der österreichischen Kaiserin Elisabeth, genannt Sisi. Sie dilettierte selbst mit Gedichten in seiner Manier. Ihr Heine-Verständnis stand ganz in der liberal-poetischen, identifikatorischen Rezeptionstradition.
1887, im Vorfeld des hundertsten Geburtstags Heines, machte Sisi Düsseldorf ein großzügiges Angebot. Sie wollte Heines Vaterstadt ein nach ihren eigenen Vorstellungen gestaltetes Denkmal des Dichters schenken, das sie bei dem Bildhauer Ernst Herter in Auftrag gegeben hatte: einen Brunnen mit einer Loreleyfigur von germaniahaften Maßen. Die Idee ist im Zusammenhang mit den Schillerfeiern von 1859 zu sehen, die zur nationalen Identitätsstiftung der Deutschen erheblich beigetragen hatten. Mit einem Heine-Denkmal hätte das Gegenbild zum deutschen Nationalheros Schiller etabliert werden können: Heine, der Weltbürger.
Doch Sisis Angebot traf bei den Verantwortlichen in Düsseldorf und bis hinauf in die Reichsregierung auf wenig Gegenliebe. Weder Düsseldorf noch eine andere deutsche Stadt wollten Sisis Denkmal haben. Um es überhaupt seinem Zweck zuzuführen, ging es schließlich ins Exil - wie einst Heine selbst. 1899 fand es in der New Yorker Bronx eine dauerhafte Bleibe, in dem Stadtteil, der später, während der NS-Zeit, jüdischen Emigranten aus Deutschland zum Zufluchtsort werden sollte.
Die großzügige Spenderin zog sich nach diesem missglückten kulturpolitischen Impromptu wieder ganz ins Private zurück. Sie ließ sich 1891 vom niederländischen Bildhauer Louis Hasselriis für ihren Landsitz auf Korfu ein eigenes Heine-Denkmal gestalten. Es war das erste, das überhaupt verwirklicht wurde. Die unterlebensgroße Sitzfigur eines in sich versunkenen, an sich und der Welt leidenden jungen Mannes wurde auf einer Anhöhe mit Blick übers Meer aufgestellt - ein völlig unpolitisches Heine-Bild, in einem völlig unheineschen hellenischen Ambiente, expatriiert wie kurze Zeit später auch das Hertersche Denkmal. Als Kaiser Wilhelm II. 1908, zehn Jahre nach Sisis Tod, deren Besitz in Korfu übernahm, wollte er ein Heine-Denkmal dort nicht länger dulden, widersprach es doch den nationalen Ideen und dem Kunstverständnis des Karl-May- und Ganghofer-Fans.
So gelangte Sisis Privatdenkmal schließlich in den Besitz des Enkels von Heines Verleger Campe. Er bot es - wie seinerzeit die Kaiserin der Stadt Düsseldorf - nun dem Hamburger Senat zur Aufstellung an. Doch auch dort war man an einem Heine-Denkmal nicht interessiert und wies das Angebot mit einem fadenscheinigen, sehr hanseatischen Argument zurück: Die Stadt habe es, wenn sie denn ein Denkmal wolle, nicht nötig, ein "gebrauchtes" aus zweiter Hand zu erwerben. So landete die Figur des leidenden Heine schließlich im Hof eines Hamburger Kontorhauses, durch einen Holzverschlag geschützt vor den Übergriffen heimischer Gegner. Damit war nun, da der Meinungskampf um das Heine-Denkmal immer weiter eskalierte, offenbar zu rechnen.
Doch auch dieses Nebenprodukt der Düsseldorfer Denkmalsidee fand innerhalb Deutschlands keine endgültige Bleibe. Schließlich ging Hasselriis' Heine-Figur 1932, eben noch rechtzeitig vor der nationalsozialistischen Machtübernahme, wieder ins Exil - diesmal nach Frankreich, wie einst ihr lebendes Vorbild. Allerdings führte der Weg nicht nach Paris, sondern in die Provinz, nach Toulon - ein Abstieg, der als symbolisch zu verstehen ist für die abwertende Tendenz der Heine-Rezeption in Zeiten eines extremen Nationalismus.
Der Streit um das Düsseldorfer Denkmalsprojekt hatte sich mittlerweile neu entzündet. Den Anlass bot wiederum ein Gedenktag, Heines 50. Todestag 1906. Auf den Plan trat eine neue Gruppe von Verehrern: die intellektuelle und künstlerische Opposition des Kaiserreichs, angeführt von dem Starpublizisten Alfred Kerr, unterstützt von fortschrittlich denkenden und öffentlich agierenden Künstlerinnen und Künstlern wie Max Liebermann, Ernst Haeckel und Max Klinger, Gerhart Hauptmann, Hugo von Hofmannsthal, Richard Dehmel und Engelbert Humperdinck, Käthe Kollwitz und Else Lasker-Schüler, den Frauenrechtlerinnen Hedwig Dohm und Lily Braun sowie sozialdemokratischen Kreisen. Ihre Intention war es, ein Denkmal des "ganzen Heine" zu verwirklichen, das den berühmten Lyriker ebenso meinte wie den regimekritischen Publizisten, den politischen Denker von europäischem Rang ebenso wie den jüdischen Emigranten. Das intendierte Denkmal des Weltbürgers sollte nicht mehr lokalpatriotisch gebunden sein. Jede deutsche Stadt konnte sich um den Standort bewerben. Als Favorit galt Hamburg, das Heine in seiner deutschen Zeit - als sein Familien- und Verlagssitz - noch am ehesten ein fester Bezugspunkt gewesen war. Doch auch diese neue Gruppe von Heine-Verehrern distanzierte sich von dem in Hamburg deponierten Hasselriis'schen Denkmal. Es sei - so Kerr - zu "zuckrig, rührselig. Betrübt, betropft, betränt", und es entspreche nicht seiner Idee vom Weltbürger Heine.
Das neue Denkmalsprojekt entfachte noch einmal den Streit zwischen den alten Lagern, jetzt zwischen den liberalen Befürwortern von Kerrs transnationaler Intention und deren Gegnern aus den Reihen der Deutschnationalen. Repräsentativ für letztere ist der vom Heine-Verehrer zum -Fresser gewandelte Weimarer Lehrer Adolf Bartels, der es später als literaturgeschichtlicher Chefideologe des Nationalsozialismus zu trauriger Berühmtheit brachte.
Und wieder blieb der Streit ohne Ergebnis. Zwar wurde auch diesmal ein Heine-Denkmal in Auftrag gegeben, jedoch nicht, wie von den Liberalen auf Seiten Kerrs gewünscht, bei dem Symbolisten Max Klinger, der dafür durch sein Wiener Beethoven-Denkmal bestens ausgewiesen gewesen wäre, sondern bei dem Kompromisskandidaten Hugo Lederer. Dessen Legitimation wies eher ins Deutschnationale, war er doch als Schöpfer des Hamburger Bismarck-Denkmals zu Ehren gekommen. Lederers Denkmal zeigte den jungen Heine, lebensgroß, in zugleich kontemplativer und auch selbstbewusster Haltung - so, wie er 1831 Deutschland verließ. Die Figur kam damit Kerrs Idee vom "ganzen Heine" sehr nahe. Fertig wurde das Denkmal erst 1912, sechs Jahre nach dem Jubiläum. Die Stadt Hamburg hatte es mit der öffentlichen Aufstellung nicht eilig. Man zögerte sie durch eine offenbar schon seinerzeit in politisch brisanten Fällen beliebte Standortdiskussion bis 1926 hinaus. Schon sieben Jahre später, im Jahr der NS-Machtübernahme, wurde die Bronzestatue - aus rassischen Gründen - entfernt und 1943 eingeschmolzen. So verwandelte sich das Bildnis Heines als "sinnender Europäer" in Waffen für den Zweiten Weltkrieg.
In der Zwischenzeit hatten es immerhin zwei weitere deutsche Städte zu einem Heine-Denkmal gebracht; Halle an der Saale und Frankfurt am Main - nicht aber Düsseldorf. Dort erledigten sich die anhaltenden Diskussionen um das Projekt mit der nationalsozialistischen Machtübernahme - zumindest für die nächsten zwanzig Jahre. Sogar die Gedenktafel an Heines Geburtshaus wurde 1940 abmontiert und landete in der Metallsammlung. Die Zwischenbilanz, die Kurt Tucholsky schon 1929, nach mehr als 40 Jahren der ergebnis- und würdelosen Auseinandersetzung um ein Denkmal für Düsseldorf, gezogen hatte, galt mehr denn je: "Die Zahl der deutschen Kriegerdenkmäler zur Zahl der deutschen Heine-Denkmäler verhält sich hierzulande wie die Macht zum Geist."
Vaterlandsverräter oder Weltbürger?
Von der Reichsgründung 1871 an hatte sich die ideologische Kontroverse um Heine verschärft. Die rassistisch-antisemitische Diffamierung nahm zu. Legitimiert wurde sie durch die deutschnationale Geschichtsdarstellung wie die eines Heinrich von Treitschke, die Heine als "vaterlandslosen Deutschjuden" aus der Nationalkultur ausgrenzte.
Um die Jahrhundertwende wurde diese Argumentationsstrategie durch eine neue, positive Haltung zu Heine konterkariert. Die erstarkende liberale und sozialistische Minderheit und die Arbeiterbewegung, kulturpolitische Strömungen, wie sie etwa der Publizist und KPD-Mitbegründer Franz Mehring oder der Kritiker Alfred Kerr vertraten, feierten einen anderen, den "ganzen" Heine: nicht nur den romantischen Poeten, sondern auch den Klassenkämpfer und Marx-Freund, nicht nur den Dichter des "Buchs der Lieder" sondern mehr noch den politischen Autor von "Wintermärchen" und "Weberlied", nicht den "vaterlandslosen Deutschjuden" sondern den Weltbürger. Die Bemühungen um den "ganzen" Heine belegen auch die Werkausgaben, die nun erschienen, beginnend mit der bei Heines Verlag Hoffmann und Campe schon ab 1861 edierten Gesamtausgabe. Sie zeigen, dass Heine sich trotz aller Auseinandersetzungen, Anfeindungen und Vereinnahmungsversuche schon in der Zeit zwischen Reichsgründung und der Weimarer Republik einen Platz in der deutschen Literatur erobert hatte.
Doch die antisemitische "Argumentation" hatte Mitte der zwanziger Jahre erneut Konjunktur. Die Deutschnationalen prangerten Heine schon lange vor der "Machtergreifung" als eine der treibenden Kräfte bei der "Zersetzung der deutschen Kunst" an. Bereits 1925 diffamierte ihn ein Artikel der 1923 gegründeten antisemitischen Wochenschrift "Der Stürmer" als "Schwein vom Montmartre". Die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933, die erste umfassende Aktion der Nationalsozialisten "wider den undeutschen Geist", setzte ein unwiderrufliches Zeichen: ein Fanal für Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung. "Das war ein Vorspiel nur. Dort wo man Bücher/Verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen." Diese viel zitierten Worte aus Heines historischer Tragödie "Almansor" wirken fast prophetisch. Zwar kommentieren sie ein Ereignis aus dem Spanien des 15. Jahrhunderts, die Verbrennung des Korans auf einem Scheiterhaufen während der Glaubenskriege, doch mit den inszenierten Bücherverbrennungen wurde Heines Wort auf bestürzende Weise aktuell.
So verbrannte auf den von der Deutschen Studentenschaft entzündeten Scheiterhaufen auch Heines Werk. Heine war einer von wenigen "toten Dichtern", die das Schicksal der Expatriierung und Verfemung mit den Gegenwartsautoren der NS-Zeit teilten. Doch das Ziel, sein Werk ganz aus dem kulturellen Gedächtnis der Deutschen zu löschen, musste sich als nicht realisierbar erweisen. Dazu war es schon zu tief darin verankert.
Der deutsch-deutsche Heine
Auch nach 1945 blieb Heine ein Politikum. Das führt seine Wirkungsgeschichte im geteilten Deutschland drastisch vor Augen. Eine "Stunde Null", einen radikalen Neuanfang, gab es auch in der Heine-Rezeption nicht. Die literarischen Traditionen, an die die beiden deutschen Staaten anknüpften, hätten unterschiedlicher nicht sein können.
Mit offenen Armen empfing man Heine in der DDR und erhob ihn umgehend zum Bestandteil des klassischen kulturellen Erbes in sozialistischer Tradition. Man sah und ehrte in Heine vor allem den politischen Schriftsteller; sein Werk erschien in hohen Auflagen. Die junge Bundesrepublik der Adenauer-Zeit dagegen übte sich in Heine-Abstinenz. Hier pflegte man die alten nationalistischen Ressentiments gegen den "vaterlandslosen Gesellen", den Emigranten, Juden und Nestbeschmutzer. Ebenso wie die Exilautoren, mit denen gemeinsam er im "Dritten Reich" aus dem Literaturkanon ausgegrenzt worden war, kam Heine in der Bundesrepublik zunächst nicht vor - weder in Schulbüchern und Verlagsprogrammen noch in akademischer Forschung und Lehre, zumindest nicht als kritischer "Zeitschriftsteller". Denn als solcher passte er nicht in die bürgerlich-konservative Literaturtradition, die man nach 1945 im Westen wieder belebte. Und er passte auch nicht in die rein ästhetischen, literaturimmanenten Interpretationsansätze in der Tradition Friedrich Diltheys und des George-Kreises, die nun wissenschaftlich en vogue waren.
Der nächsten Generation jedoch, den Studenten der sechziger Jahre, galt die Heine-Abstinenz als eines unter vielen Indizien für jenes Verschweigen, Verdrängen und Vergessen der NS-Vergangenheit, das sie nicht länger hinnehmen wollten, weder bei den Vätern noch bei den akademischen Lehrern. Erst der von der 68er Bewegung ausgetragene Generationenkonflikt ermöglichte es, Heine auch in die Bundesrepublik endgültig literarisch einzubürgern.
Es vergingen mehrere Gedenkjahre, bis dieHeine-Renaissance auch Düsseldorf erreichte. Noch musste der politisch instinktlose Vorschlag, das längst überfällige Heine-Denkmal ausgerechnet von Arno Breker, dem prominentesten Bildhauer der NS-Zeit, ausführen zu lassen, abgewehrt werden, noch musste die mehr als zwanzigjährige politische Provinzposse um die Benennung der Düsseldorfer Universität nach Heinrich Heine durchgestanden sein, 5 bis endlich 1981, zu Heines 125. Todestag, auch Düsseldorf zu einem Heine-Denkmal kam: Bert Gerresheims begehbares "Heine-Vexier-Monument". Es ist übrigens - zumindest darin hat sich Sisis Idee letztlich durchgesetzt - die Stiftung eines Mäzens.
Mittlerweile hat die Stadt Düsseldorf verschiedene Initiativen unternommen, um sich des Erbes ihres größten Sohnes zu versichern und es ins rechte Licht zu rücken; Initiativen, die mehr sind und tiefer wirken als ein traditionelles Denkmal. Sie hat Handschriften- und Nachlass-Sammlungen erworben, hat 1956, zu Heines 100. Todestag, die Heinrich-Heine-Gesellschaft und 1970 das Heinrich-Heine-Institut gegründet. Und sie hat sich - bestes Beispiel für die geglückte Einbürgerung Heines in Deutschland - an einem der beiden Projekte historisch-kritischer Heine-Gesamtausgaben beteiligt, die ab 1963 begonnen wurden. Dass es dazu in Deutschland zweier konkurrierender wissenschaftlicher Unternehmen bedurfte, zeigt einmal mehr die Schwierigkeiten der Deutschen mit ihrem Heine und die literaturpolitisch begründete Sonderstellung, die er noch immer einnimmt.
Heine ist der einzige deutsche Autor, dessen Werk in Ost und West in getrennten historisch-kritischen Gesamtausgaben ediert wurde - und wird. Die westdeutsche, die Düsseldorfer Ausgabe ist abgeschlossen; die umfassender konzipierte, ostdeutsch-französische Kooperation der Weimarer Säkularausgabe befindet sich noch immer in Arbeit - eine Situation, die Heine sicher mit einem sarkastischen Bonmot kommentiert hätte. Und die ihm wohl gefallen hätte als Beweis dafür, wie unverderblich doch sein Ruhm auch unter widrigsten Umständen ist und wie singulär sein Status als immer währendes literarisches Politikum. Wie formulierte er 1835? Man diskutiert "über mich in Deutschland, man lobt mich und man tadelt mich, aber immer mit Leidenschaft und unaufhörlich."
1 Heinrich Heine,
Brief an Philarèthe Chasles, März 1835.
2 Für diesen Text verwendete
Literatur: Christoph Hauschild/Michael Werner, "Der Zweck des
Lebens ist das Leben selbst". Eine Biografie, Berlin 1999; Gerhard
Höhn, Heine-Handbuch. Zeit - Person -Werk, Stuttgart 2004(3);
Edda Ziegler, Heinrich Heine. Leben - Werk - Wirkung,
Düsseldorf 2005(3).
3 Fanny Lewald, Zwölf Bilder nach
dem Leben. Erinnerungen, Berlin 1888, S. 200f.
4 Hermann Hüffer nach Mitteilungen
von Andreas Pütz, 1875.
5 Vgl. dazu den Beitrag von Thomas
Gutmann in diesem Heft.