Ungewissheit kann auch kreative Freiheit sein. Diese Perspektive haben Jutta Allmendinger, Professorin für Soziologie an der Universität in München und Direktorin des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung in Nürnberg und Matthias Meyer von der edition Körber-Stiftung zum Ausgangspunkt genommen, um jungen Akademikern eine Orientierung zu geben.
Allmendinger wagt - begründet - die Prognose: Die Arbeitsmarktlage für Hochschulabsolventen wird auch künftig und "trotz allem gut" sein. Der Band gliedert sich in vier Kapitel und schließt mit einem Serviceteil. Die Themen: Arbeit und Bildung, Abschied vom Studentenleben, Berichte vom Berufebasteln, junge Wissenschaftler zwischen Wunsch und Wirklichkeit.
Menschen mit entsprechender Erfahrung kommen zu Wort und sagen, "so habe ich es gemacht - zieh daraus deine eigenen Schlüsse". Keine Zeigefinger, aber viel Authentizität. Ehemalige Studienpreisträger berichten vom Berufebasteln in ganz unterschiedlichen Bereichen oder unterziehen ihre Vorstellung vom "(Traum-)Beruf Wissenschaft" einer kritischen Bestandsaufnahme. Die Redaktion tat gut daran, die Autoren und Autorinnen in einer individuell sehr verschiedenen, aber ansprechenden und Mut machenden Sprache formulieren zu lassen.
Wer nicht gleich zu den individuellen Erfahrungsberichten greift und selektiv liest, findet als hervorragenden Auftakt des ehemaligen Kulturstaatsministers Julian Nida-Rümelin eine kritische Auseinandersetzung mit hochschulpolitischen Entscheidungen, Entwicklungen und Betrachtungen zum Bologna-Prozess. Angetrieben von einer Sorge um die Universitätsausbildung formuliert er sehr engagiert: "Was fehlt, ist eine geistige Perspektive, der es nicht um Organisationsformen, sondern um die Erneuerung dessen geht, was man als humanistische Substanz unseres Bildungswesens bezeichnen könnte."
Harro Honolka, Soziologe mit Lehr- und Forschungserfahrung, betrachtet die "Universität als Trainingsplatz für Schlüsselqualifikationen", zu denen überfachliche Sozial-, Methoden-, Selbst- und Handlungskompetenzen gerechnet werden. Eine seiner Einschätzungen: "So aktuell und bewahrenswert die Humboldt'sche Idee der Hochschule heute noch ist - an deutschen Universitäten besteht Handlungsbedarf hinsichtlich der Entwicklung sozialer und kommunikativer Qualifikationen."
Der zweite Block greift die Situation von Hochschulabsolventen zwischen Sinnkrise und Praxisschock auf, geht auf die Pflicht zur Selbstorganisation ein, weil sich Berufsbiografien ändern und beschreibt den Abschied von den Kaminkarrieren, weil die Erfolgswege in der sich wandelnden Arbeitswelt andere geworden sind. Hier gibt eine berufstätige Mutter Einblick in ihr Leben, die Autorinnen Stefanie Schulte und Katja Lachnit berichten vom Frust unter der Überschrift "jung, diplomiert, zum Schnäppchenpreis".
Teil drei gibt dann konkrete Einblicke in das praktische Berufebasteln. Die Projektkünstlerinnen Michelle Adolfs und Petra Müller stellen die Frage "Geht die Kunst nach Brot?" Sie meinen, dass Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft Impulse auch aus Kunst und Kultur benötigen. Aber. "Von anderen Berufen unterscheidet sich das künstlerische Schaffen vor allem dadurch, dass das Einkommen nicht im Vordergrund steht." Offenbar haben sie einen schwierigen Balanceakt gemeistert: "Erst wer sich als Künstler bekennt und ordentlich in Vorleistung geht, kann mit den Reaktionen auf die eigenen Kunst streiten und seine Absichten verdichten. Kunst ist brotlos, und Kunst wirft Brot ab - ohne Patentrezept."
Drei Texte lenken den Blick auf den Traumberuf Wissenschaft. Julia Fischer setzt den Schlusspunkt des Bandes; sie beschreibt ihre Ups und Downs und kommt zu dem positiven Schluss: "Es gibt immer noch Freiräume für die Leidenschaft, die Rätsel dieser Welt zu lösen."
Ein Ratgeber im herkömmlichen Sinne ist das Buch nicht. Die Philosophie der Herausgeberin und des Verlages lautet vielmehr: Lasst die sanfte Kraft des Beispiels wirken. Patentrezepte für die Karriereplanung sind dabei nicht herausgekommen. Aber die "Vorbilder" zeigen, wie sich die Ungewissheit als kreative Freiheit nutzen lässt.
Jutta Allmendinger (Hrsg.)
Karriere ohne Vorlage. Junge Akademiker zwischen Hochschule und Beruf.
edition Körber-Stiftung, Hamburg 2005; 200 S., 14 Euro