Das Konvolut, das Gertrud Heidegger 1977 von ihrer Großmutter erhält, umfasst mehr als 1000 Karten und Briefe Martin Heideggers (1889-1977) an seine Frau Elfride (1893-1992). Die Enkelin ermöglicht nun Einblicke in die Ehe der Großeltern; ihre zeitlich weit gespannte Briefauswahl erläutert sie durch einordnende Kommentare. "Mein liebes Seelchen" - die bevorzugte Anrede Heideggers gibt der Edition den Titel. Die Briefe enthalten Seitenhiebe auf Husserl, berichten vom Berufungsgeschehen an verschiedenen Universitäten, bieten eine kurze Sentenz zur Davoser Disputation 1929 mit Ernst Cassirer, auch beklagt Heidegger die "Verseuchung" des geistigen Lebens, angesichts derer "man schon geistiger Antisemit werden möchte".
Doch im Zentrum der Auswahl steht die Zwiesprache mit der Ehefrau. Alles soll "schlicht u. klar und rein zwischen uns sein", schreibt Heidegger. "Der furchtbaren Einsamkeit wissenschaftlichen Forschens, die nur der Mann aushält", stellt er die "auflockernde und strahlende Freudebereitung, die oft so unbemerkt da ist, die stille Hingabe" der Frau gegenüber. Vom Studium rät er Elfride ab. Es hindere daran, ihr "die frauliche Ganzheit zu geben die Du im Lebenszusamhang mit mir und den Kindern haben kannst".
1933 treten Elfride und Martin Heidegger in die NSDAP ein. Dass ihre Großmutter von ihrer antisemitischen Einstellung bis ans Lebensende "nicht wesentlich abgerückt" sei, weiß die Enkelin. Eine extrem nationalistische Frau also, eine - mit gutem Grund - extrem eifersüchtige Ehefrau. Aber auch eine praktische Person, die zwei Söhne großzog, die berühmte Hütte in Todtnauberg errichten ließ und das Freiburger Haus zum Familienmittelpunkt machte. Elfride Heidegger flankiert die Karriere ihres Mannes, gewährleistet Familienleben, er nennt es "Deine lautlose Liebe".
Meine Natur ist vielspältiger als Deine." Heidegger nimmt sich zahlreiche Seitensprünge heraus, seine Untreue belastet die 1917 geschlossene Ehe. Es ist ärgerlich und merkwürdig intransparent, wie die Enkelin und Herausgeberin mit dieser Tatsache umgeht. Für das Jahr 1925 enthält der Band vier Briefe Martin Heideggers an Elfride. "M. lb. S." - mit diesem Anrede-Kürzel beginnt der Geburtstagsbrief des Marburger Philosophieprofessors an seine Frau im Juni 1925, in dem viel von Dankarbeit, Verzichten und Warten die Rede ist.
Im Februar 1925 hatte Heidegger Hannah Arendt kennen gelernt. Mehr als 30 Briefe an die junge Geliebte sind aus diesem Jahr veröffentlicht - nichts davon steht in den Anmerkungen Gertrud Heideggers. Später heißt es gleichsam summarisch: "Elfride hat den begründeten Verdacht, dass Martin immer wieder Beziehungen zu anderen Frauen unterhält." Nun wird klar, warum in den Briefen so oft von Schuld, von Versagen und "frühem Leid, das Dir von mir kam", die Rede ist. Heidegger hintergeht seine Frau und verletzt sie, doch reklamiert er für sich die Zerrissenheit des schöpferischen Menschen:
"Der Flügelschlag des Eros berührt mich jedes Mal, wenn ich im Denken einen wesentlichen Schritt tue und mich ins Unbegangene wage. Dem rein zu entsprechen und doch das Unsere zu bewahren, das ist es, woran ich zu leicht versage u. dann entweder in die bloße Sinnlichkeit abgleite oder versuche, durch bloßes Arbeiten Unerzwingbares zu erzwingen."
Seine Briefe an Elfride zeigen, dass vornehmlich der Mann mit der Liebe experimentiert. Der Frau bleibt im besten Fall die Teilhabe, der Abglanz seines Ruhms und der Umgang mit Verschweigen und Heuchelei. Das Buch enthält einen einzigen Brief von Elfride Heidegger; sie klagt über den "unmenschlichen Missbrauch" ihres Vertrauens und fragt: "Hast Du einmal darüber nachgedacht, was leere Worte sind - hohle Worte?" Wie viele angefangene Briefe hat sie auch diesen nicht abgeschickt.
Die Zerreissproben dieser langen Ehe lassen eine Enthüllung ahnen, die der Band beiläufig bietet: Der 1920 geborene Sohn Hermann Heidegger, so dieser im Nachwort, entstammt Elfrides Verbindung mit einem Jugendfreund. Elfride Heidegger unterliegt im Kampf um die Treue und Offenheit ihres Mannes, das zeigen Heideggers Briefe gerade in dem, worüber sie schweigen. Oder, in Heideggers eigener bezeichnender Diktion: "Vertrauen ist die Stärke im Bejahen des Verhüllten u. dessen, was wir in seiner Verborgenheit unbesprochen lassen."
In ihrer Selbstüberzeugtheit standen sich die beiden Philosophen in nichts nach - wenngleich Martin Heidegger und Ernst Bloch bis auf die nahezu gleiche Lebensspanne wenig gemein hatten. Die Briefe von Ernst Bloch (1885-1977) an seine spätere Frau Karola Piotrkowska (1905-1994) setzen kurz nach ihrer Bekanntschaft ein. Beide sind gebunden, als sie sich 1927 kennen- und lieben lernen.
Er nennt es "den tiefsten Augenblick meines Lebens". Bloch hat zwei Ehen hinter sich, er will oft reisen, keineswegs ein Heim gründen und gewiss andere Frauen haben. "Bist Du mir treu?", fragt er die "unverlierbare" Karola. Das Abenteuer der Treue, das er ihr verspricht, lässt an Gottfried Benns praktischen Rat denken, gute Regie sei besser als Treue. Jedenfalls stürzt sich Bloch ins Berliner Leben, trifft Benjamin, Kracauer, Lukacs und Brecht, wovon er seiner Frau eifrig Mitteilung macht. Der deutlich ältere Mann freut sich an der Architekturstudentin, begleitet ihre Aktivitäten in Wien mit Ratschlägen und Ermutigungen aus der Ferne. Trifft ein Paket von ihr ein, "grunzt, tanzt und singt" er voller Freude.
Auch wenn Bloch seine Frau wegen ihres Eintritts in die KPD neckt - gemeinsame politische Ideale grundieren die wahrlich unruhige Beziehung. "Ich bin Dir verschmolzen, und wir ehren zugleich unsere Sphäre, die keine private ist. Wie Du es einmal gesagt hast: Wir werben immer umeinander." Bloch insistiert auf seiner Unabhängigkeit - "die Heimat kommt aus uns, nicht aus der Wohnung" - auch nachdem Karola und er 1934 geheiratet haben. Sein Ton ist freimütig, fordernd, manchmal närrisch verliebt, dabei bleiben eigene Leistungen und Möglichkeiten stets im Blick.
Wie sehr der Philosoph von der eigenen Bedeutung durchdrungen ist, zeigt seine Reaktion auf Viktor Klemperers Erfolg: Bloch beklagt die "geradezu widerlichen Schattenseiten des Ruhms" und setzt ihnen mit großer Denkergeste entgegen: "Ich bin mit liebenswürdiger Achtung in kleinem Kreise zufrieden, im still-stolzen Bewusstsein meiner Arbeit und ihres Rangs. Seit meinem fünfzehnten, spätestens siebzehnten Jahr war es mir selbstverständlich, in der Reihe der philosophischen Schöpfer zu stehen. Da pflückt man andere Früchte."
Dieser Ausgabe von Briefen von Ernst an Karola Bloch haftet etwas Fragmentarisches an, was an der Zeitspanne liegt (sie reicht bis 1936, dann sind aus dem Jahr 1941 zwei und aus dem Jahr 1949 ein Brief abgedruckt). Es ist bislang unklar, ob das seinerzeit von der DDR zurückgegebene Konvolut den vollständigen Bestand umfasst. Karola Bloch selbst bleibt stumm, ihre Briefe scheinen nicht erhalten. Die Herausgeberin behauptet, Karola Bloch habe "die dunkleren Momente des Lebens mit ihrem Mann niemals verleugnet, sondern mit Edelmut, Souveränität und in Anlehnung an die überwiegend positiven Bilder" auf sich beruhen gelassen.
Beide Briefeditionen, Heidegger und Bloch, lassen sich komplementär lesen. Sie zeigen manches Kleine von großen Denkern - wie selbstverständlich ihr Betrügen, wie sprachmächtig ihr Lügen war, wie sie vorrangig um ihr Werk und ihre Wirkung kreisen und ihrer Frauen doch bedurften, um beides zu schaffen. Ein Unterschied hingegen ist markant: Bei Heidegger wirkt wie Heuchelei, was bei Bloch als ernsthafter Versuch gelten kann, den utopischen Überschuss in der Beziehung zur Lebensgefährtin auszuloten, ihn nicht bloß neu zu denken sondern zu leben. Ein Experiment allerdings, das ein für beide Ehepartner gleichermaßen befriedigendes Ergebnis von Beginn an wenig wahrscheinlich machte.
Martin Heidegger
"Mein liebes Seelchen!" Briefe Martin Heideggers an seine Frau Elfride 1915-1970.
Hrsg. und kommentiert von Gertrud Heidegger.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005; 416 S., 22,90 Euro
Ernst Bloch
Das Abenteuer der Treue.
Briefe an Karola 1928-1949.
Hrsg. von Anna Czajka.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2005; 267 S., 19,80 Euro