Seit der Gaskrise Anfang des Jahres steht die Energiepolitik auf der europäischen Agenda ganz oben. Der österreichische Wirtschaftsminister Martin Bartenstein, dessen Land bis zum Sommer den EU-Vorsitz führt, gab dem EU-Parlament vergangene Woche einen Überblick über die Situation. Mehr als ein Viertel des Gasbedarfs deckt die EU aus russischen Impor-ten. Der größte Teil davon wird auf dem Weg über die Ukraine nach Europa geleitet. Als Russland Anfang des Jahres den Gashahn zudrehte, um Preiserhöhungen gegenüber der Ukraine durchzusetzen, fiel die Liefermenge nach Europa um bis zu 50 Prozent.
Zu keinem Zeitpunkt sei die Energieversorgung in Europa gefährdet gewesen, betonte der zuständige Kommissar Andris Piebalgs. Doch "das Problem hat sich nicht in Luft aufgelöst", mahnte er die Abgeordneten. Seit Jahren fordere das Parlament und die Kommission eine abgestimmte Energiepolitik auf EU-Ebene. Damit drückte Piebalgs indirekt aus, dass es die Mitgliedsstaaten sind, die aus Sorge vor dem Verlust nationaler Eigenständigkeit eine engere Zusammenarbeit beim Einkauf von Gas, Öl oder Kohle und bei der Nutzung der Netze blockieren.
Die nun aufgeflammte Diskussion sei nicht neu. Sie setze nur fort, was bereits im vergangenen Jahr durch den stark gestiegenen Ölpreis deutlich geworden sei: Europa brauche eine stimmige Energiesicherungspoli-tik. Dazu gehöre ein enger Energiedialog mit den Nachbarn Ukraine und Russland, ein guter Energiemix, gleichberechtigter Netzzugang für alle Mitgliedsstaaten und mehr Forschungsförderung für Erneuerbare Energien, Energiesparpotenziale und saubere Kohlekraftwerke (KKW). Das umstrittene Thema Kernkraft sparte Piebalgs in seinen Ausführungen aus. Während seine Vorgängerin Loyola de Palacio stets betont hatte, dass Energiesicherheit und die Kyoto-Klimaziele ohne Atomkraftwerke nicht zu erreichen seien, nimmt der neue Energiekommissar auf die überwiegend gegen KKWs eingestellte öffentliche Meinung in den Mitgliedstaaten Rücksicht. Minister Bartenstein sagte es deutlich: "Aus österreichischer Sicht ist die Nutzung der Kernenergie keine Option."
Experten rechneten damit, dass der Energieverbrauch in der EU bis 2030 um die Hälfte steigen werde. Österreich setze auf saubere Kohle, Wasserstoff und darauf, die Nutzung von Biomasse bis 2010 zu verdreifachen. Ferner solle die Einfuhr von flüssigem Erdgas in den kommenden Jahren deutlich gesteigert werden. Derzeit führe die EU jährlich 60 Milliarden Kubikmeter ein, 2010 sollen es fast zehn Mal so viel sein. Neue Leitungen, zum Beispiel durch die Türkei, sollten Europa unabhängiger von Russland machen.
Rebecca Harms von den Grünen verlangte: "Wir müssen der Ukraine helfen, dass sie sich aus der Abhängigkeit von Russland lösen kann." Zum Thema Kernenergie sagte die erklärte Kernkraftgegnerin: "Wer das will, soll zunächst erklären, wie die Endlagerung aussehen soll. Das ist bislang ein Desaster."
Finnland ist das einzige Land der EU, das derzeit ein neues Kernkraftwerk plant. Die meisten Mitgliedstaaten wollen mittelfristig ganz aus der Atomkraft aussteigen. Noch sind 150 Reaktoren in Europa am Netz, 22 weniger als 1989. Nach einer Studie, die von den Grünen im Europaparlament in Auftrag gegeben wurde, werden weltweit 80 Reaktoren innerhalb der nächsten zehn Jahre ihr Laufzeitende erreichen. Bei weiteren 200 Reaktoren ist es eine Dekade später soweit. Um diesen Energieverlust auszugleichen, müssten in den kommenden zehn Jahren beinahe monatlich neue Kernkraftwerke ans Netz gehen. In den zehn Jahren darauf würde sogar alle 18 Tage ein neuer Reaktor gebraucht.
In einem waren sich alle Redner einig: Öl, Gas und zunehmend wieder Kohle bleiben auf Jahrzehnte unentbehrlich. Mit den Ressourcen muss schonender umgegangen werden. Das beginnt schon damit, dass die EU im Rahmen ihrer Nachbarschafts- und Entwicklungspolitik helfen will, die undichten Gas- und Ölleitungen in Stand zu setzen.