Auch 2001 schon sollte der Spitzenkandidat von außen kommen, nachdem der kurz zuvor von Rot-Grün abgewählte Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen nicht noch einmal antreten wollte. Damals wurde in der Union Wolfgang Schäuble ganz hoch gehandelt. Hatte doch Berlin nicht zuletzt seiner Rede im Jahr 1991 zu verdanken, dass sich der Deutsche Bundestag in Bonn mit knapper Mehrheit für Berlin als Sitz des Bundestages und der Bundesregierung entschied. Pflüger plädierte damals für die "bescheidene Hauptstadt" am Rhein, hat aber inzwischen seine Meinung geändert. Er kann sich, so sagt er heute, gar nicht mehr vorstellen, dass Berlin nicht Hauptstadt wäre.
Doch Schäuble scheiterte an den innerparteilichen Querelen der Union auf Bundes- und Landesebene. Er wurde von Angela Merkel favorisiert, während Helmut Kohl damals dem jungen aufstrebenden Frank Steffel Mut zur Kandidatur machte. Schäuble verzichtete, Steffel verlor haushoch und ist inzwischen nicht einmal mehr Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus. Der neue Berliner CDU-Vorsitzende Ingo Schmitt, seit Herbst 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages, legte sich auf einen Kandidaten von außen fest. Und man hatte auch schon einen Namen: Klaus Töpfer.
Töpfer, unter Bundeskanzler Helmut Kohl zunächst Bundesumwelt-, dann Verkehrs- und Bauminister, beschleunigte als gleichzeitiger Beauftragter der Bundesregierung für den Parlaments- und Regierungsumzug den Wechsel von Bonn nach Berlin. Als Töpfers Rückhalt bei Kohl schwand, nahm er das Angebot von UN-Generalsekretär Kofi Annan an, als Direktor der UN-Umweltbehörde (UNEP) in die kenianische Hauptstadt Nairobi zu gehen. Ende Februar läuft nun der Vertrag mit den Vereinten Nationen aus und Töpfer kehrt als 67-Jähriger nach Deutschland zurück.
Monatelang "verhandelte" die CDU mit Töpfer über die Spitzenkandidatur. Allerdings in erster Linie über die Zeitungen. Als Töpfer auf diese etwas merkwürdige "Werbung" nicht reagierte, versuchte man, persönlich mit ihm zu sprechen. Angeblich war dies äußerst schwierig, obwohl der hohe UN-Beamte nicht selten in Berlin ist. Offensichtlich wurde Klaus Töpfer das Theater um seine Person zu bunt. Schließlich sagte er definitiv ab. Die Union war schockiert. Allerdings fand sie bald in Friedrich Merz, dem innerparteilichen Kontrahenten von CDU-Chefin Angela Merkel, einen geeigneten Nachfolger für Töpfer. Doch Merz hatte offensichtlich auch keine Lust, sich im wahrscheinlich aussichtslosen Kampf gegen Wowereit zu verausgaben. Er sagte recht schnell ab.
Schlug nun die Stunde für den jungen CDU-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Nikolas Zimmer? Doch dieser wollte nicht nur Spitzenkandidat, sondern auch zugleich Parteichef werden. Doch Ingo Schmitt dachte gar nicht daran, den Vorsitz abzugeben. Und so verschwand denn Zimmer sehr schnell wieder von der Kandidaten-Bildfläche, auf der dann ganz plötzlich Friedbert Pflüger auftauchte, der sich zugleich des Vertrauens der CDU-Bundesvorsitzenden Merkel erfreuen kann. Als der Name Pflüger öffentlich zirkuliert wurde, gab es keine Dementis. Für die Berliner Union schon irgendwie ungewöhnlich. Dann verdichteten sich die Gerüchte und es fanden tatsächlich Gespräche statt. Merkel hatte den Berlinern Pflüger empfohlen und dessen ehemaliger Chef, Altbundespräsident Richard von Weizsäcker, machte dem in Scheidung lebenden Vater von einem kleinen Sohn Mut zur Kandidatur.
Berlin ist für den in Hannover geborenen und promovierten Politikwissenschaftler kein unbekannter Ort. Von 1981 bis 1984 war er Redenschreiber des damaligen Regierenden Bürgermeisters Richard von Weizsäcker und anschließend dessen Pressesprecher, als von Weizsäcker Bundespräsident wurde. Seit 1990 gehört Friedbert Pflüger der CDU/CSU-Bundestagsfraktion an. 1971 war er in die Partei eingetreten. Sechs Jahre später wurde er bereits zum Bundesvorsitzenden des Rings Christlich Demokratischer Studenten (RCDS) gewählt. Seit langem gilt Pflüger als außenpolitischer Experte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Aus seiner Feder stammen zahlreiche Bücher, vor allem zu außen- und sicherheitspolitischen Fragen. Bei der letzten Bundestagswahl war er Spitzenkandidat der niedersächsischen CDU.
Wie sind die Chancen des neuen CDU-Herausforderers von Klaus Wowereit, der nach wie vor Berlins beliebtester Politiker ist und dessen SPD die CDU in den Umfragen weit hinter sich gelassen hat? In den Umfragen kommt die Berliner CDU, die sich vor allem im Ostteil der Stadt schwer tut, neuerdings nur noch auf 19 Prozent.
Pflüger riskiert nichts, für den nun die CDU noch einen Wahlkreis suchen muss - die meisten Wahlkreise sind bereits vergeben. Er bleibt auch als Kandidat Mitglied des Deutschen Bundestages und Parlamentarischer Staatssekretär. Verliert er die Wahl am 17. September, wird er wahrscheinlich im Bundestag bleiben und nicht als Fraktionschef einer oppositionellen CDU in das Abgeordnetenhaus einziehen. Bei der nächsten Wahl ist Pflüger 56 Jahre alt und kann erneut antreten - sofern er im Herbst ein achtbares Wahlergebnis erzielt.
Die SPD sollte den Herausforderer Pflüger freilich nicht auf die leichte Schulter nehmen. Denn Friedbert Pflüger ist nicht nur ehrgeizig, sondern auch mit dem bundespolitischen und diplomatischen Parkett bestens vertraut. Wenn es ihm nun gelingt, die traditionell zerstrittene Berliner CDU zu einen und deren starker Mann zu werden, der zugleich bei Wahlen Erfolg hat, dann kann er sehr wohl zu einem ernsthaften Konkurrenten von Klaus Wowereit werden. Jedenfalls wird durch die Kandidatur Pflügers die Wahl zum Abgeordnetenhaus durchaus spannend, auch wenn die Berliner davon ausgehen, daß Wowereit nach der Wahl entweder wieder mit der PDS einen rot-roten Senat bilden oder es erneut mit den Grünen versuchen wird.
Von der Nominierung Pflügers durch die einflußreichen Kreisvorsitzenden und den Vorstand der Berliner CDU ist vor allem auch die Unions-Basis überrascht. Sie hatte schon fast die Hoffnung auf die einvernehmliche Nominierung eines bekannten CDU-Politikers aufgegeben. Dieses Kapital wird Pflüger für sich zu nutzen wissen. Außerdem hat er angekündigt, einen intensiven Wahlkampf zu führen. Schon jetzt ist Friedbert Pflüger zu einer echten Herausforderung von Klaus Wowereit geworden. Die CDU strebt nach der Wahl vor allem eine Koalition mit der FDP an. Wenn es die Mehrheitsverhältnisse nicht anders zulassen, auch eine Ampel, also eine schwarz-gelb-grüne Koalition.