Das finnische Staatsoberhaupt wird seit 1994 direkt vom Volk gewählt. Es ist nur eine einmalige Wiederwahl zulässig. Das bedeutet für den unterlegenen Kandidaten Niinistö, dass er 2012 durchaus eine Chance haben kann, ganz nach oben zu gelangen. In seiner gegenwärtigen - zunächst bis September 2007 befristeten - Position als Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg hat er eine ausgezeichnete "Parkposition". In Finnland genießt er hohe Anerkennung, weil er in den 90er-Jahren als Finanzminister der finnischen Wirtschaft aus einer Talsohle zu einem beachtlichen Aufschwung verhalf.
Bei Parlamentswahlen, die seit Jahrzehnten jeweils zu einer starken Mehrheit der bürgerlichen Parteien gegenüber den Linksparteien führten, orientieren sich die Finnen primär an den Parteiprogrammen und tun sie sich schwer, auf die andere Seite überzuwechseln. Sie sind ausgesprochen konservativ in ihrem Wahlverhalten.
Präsidentenwahlen waren und sind dagegen Persönlichkeitswahlen, bei denen die Wähler eher über ihren Schatten springen. Das zeigte sich vor sechs Jahren, als die schon damals von den Linkssozialisten unterstützte Sozialdemokratin Tarja Halonen in der Stichwahl gegen den Vorsitzenden der Zentrumspartei Esko Aho antrat. Er war ein Vorzeige-Bürgerlicher, gut aussehend, intelligent, treusorgender Familienvater. Mit 36 Jahren jüngster finnischer Ministerpräsident, hatte er die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Finnland der EU beitrat und von Anfang an eine aktive Rolle in Brüssel spielte.
Das half ihm dennoch nicht zum Wahlsieg über Halonen, weil es im Jahr 2000 nicht primär um die Frage bürgerlich oder links ging. Für die finnischen Frauen war es wichtig, dass anstelle eines Mannes endlich eine Frau an die Spitze des Staates gelangte. Schließlich wurde in Finnland als erstem europäischen Land bereits 1906 die Gleichberechtigung verwirklicht.
Halonen leistete in den letzten sechs Jahren gute Arbeit und verschaffte sich auch Anerkennung in bürgerlichen Kreisen. Dazu trug bei, dass die allein erziehende Mutter zwei Jahre nach der Wahl ihren langjährigen Lebensgefährten Pentti Arajärvi heiratete.
Auf den ersten Blick hätte diesmal Tarja Halonen ihre Mehrheit weiter ausbauen müssen, zumal am 1. Juli in Helsinki in großem Rahmen der 100. "Geburtstag" der Gleichberechtigung gefeiert werden soll und es dazu passt, dass eine Frau an der Spitze des Staates steht. Das war allerdings für bürgerliche Wählerinnen diesmal kein Grund, erneut über ihren Schatten zu springen. Sie hatten ja bereits 2000 die Frage Mann oder Frau zugunsten der Frau entschieden.
Möglicherweise hatte Tarja Halonen erneut mit weiblicher bürgerlicher Unterstützung gerechnet. Sie war erkennbar überrascht, dass die Wiederwahl nicht auf Anhieb klappte. Schließlich war sie die einzige von insgesamt acht Kandidaten, die nicht nur von ihrer Partei, sondern darüber hinaus von den Linkssozialisten und dem starken Gewerkschaftsbund, in dem über eine Million Finnen organisiert sind, unterstützt wurde. Es war ein taktisch kluger Schachzug, die Bereitschaft, erneut zu kandidieren, erst sehr spät zu bekunden. Dadurch wurden bis zum Herbst die späteren Mitbewerber um das höchste Staatsamt durch Gerüchte irritiert, Halonen sei grundsätzlich an der Übernahme einer hohen Funktion bei der UNO interessiert, was eine erneute Präsidentschaft ausgeschlossen hätte.
Die in einem Arbeiterviertel Helsinkis aufgewachsene Juristin, wegen ihrer Haarfarbe im Ausland zuweilen als "rote Tarja" tituliert, malt gern in ihrer Freizeit, geht viel ins Theater und betreibt rhythmische Gymnastik. Von ihrem Lebenslauf her ist es für sie eine Selbstverständlichkeit, sich engagiert für die Rechte der sozial Schwachen einzusetzen. Sie ist auch während der vorausgegangenen langjährigen Ministertätigkeit bürgernah geblieben und hat das nordeuropäische Wohlfahrtsstaatsmodell stets verteidigt.
Sie beteiligte sich aktiv an der Globalisierungsdebatte und griff gern die Idee auf, den offiziellen Besuch von Bundespräsident Horst Köhler im April vergangenen Jahres in Finnland mit einem informellen Gespräch über die Zukunft Europas in einer globalisierten Welt zu verbinden, an dem außerdem die Präsidenten Lettlands, Österreichs und Portugals teilnahmen. Ihre erste Auslandsreise nach der Wiederwahl führte sie anfang Februar nach Dresden, um auf Einladung von Bundespräsident Köhler bei einem "Siebenertreffen" von Staatsoberhäuptern aus Lettland, Italien, Portugal, Österreich und Ungarn über die Bedeutung der EU für die Bürger zu diskutieren.
Wieder zu Hause in Finnland, muss sie sich auch weiterhin mit einem verfassungsrechtlichen Problem beschäftigen, das von dem legendären Urho Kekkonen, Staatspräsident von 1956 - 1982, ausgelöst wurde. Er war - ähnlich wie die Präsidenten der USA und Frankreichs noch heute - der eigentliche Regierungschef und wechselte Ministerpräsidenten nach Belieben aus. Die Folge war eine Verfassungsänderung zugunsten einer Stärkung von Parlament und Regierung. Tarja Halonen, die von 1995 bis 2000 Außenministerin war, hat zum Ärger der jeweiligen Ministerpräsidenten die zu Beginn ihrer ersten sechsjährigen Amtsperiode am 1. März 2000 wirksam gewordene "Entmachtung" des Staatsoberhaupts gelegentlich zurückzudrehen versucht. Sie weiß natürlich, dass sie Außenpolitik - im Gegensatz zu Kekkonen - nur unter Mitwirkung der Regierung gestalten kann. Da es öfter Meinungsverschiedenheiten darüber gab, wer Finnland bei EU-Gipfelkonferenzen zu vertreten hat, ist Finnland der einzige von 25 EU-Staaten, für den zwei Stühle reserviert werden. Präsidentin Halonen pocht auf ihr - aus der Sicht der Verfassungsrechtler umstrittenes - Recht, "nach eigenem Ermessen" an Gipfelkonferenzen teilzunehmen. Daran dürfte sich auch im zweiten Halbjahr 2006 nichts ändern, wenn Finnland - übrigens im Tausch mit Deutschland, das eigentlich an der Reihe war, aber im Blick auf den 100. "Geburtstag" der Gleichberechtigung den Finnen den Vortritt ließ - den EU-Vorsitz übernimmt. Bei einer Analyse des Wahlergebnisses zeigt sich, dass kritische Wähler sensibel auf diese "Grenzüberschreitungen" reagierten und entgegen der ursprünglichen Absicht Halonen nicht wählten.
Wenn der Konservative Niinistö dennoch knapp verlor, lag das an der mangelnden Geschlossenheit der bürgerlichen Parteien, besonders an der alten Rivalität zwischen den Konservativen und der bäuerlich orientierten Zentrumspartei, die zwar beide koalitionsbereit gegenüber den Sozialdemokraten sind, aber nur selten miteinander regierten, weil jeder "die erste Geige spielen" will. Nachdem Ministerpräsident Matti Vanhanen, dessen Zentrumspartei bei den letzten Parlamentswahlen sechs Prozent mehr Stimmen als die Konservativen erhielt, im ersten Wahlgang als Präsidentschaftskandidat im gleichen Abstand hinter Niinistö zurücklag, half diesem die Empfehlung Vanhanens an seine Parteifreunde, den Konservativen zu wählen, kaum. Zu viele Zentrumswähler blieben bei der Stichwahl zu Hause und verhalfen so Tarja Halonen zur Verlängerung ihrer Amtszeit.