Im Sommer 2002 waren mit dem Namen Hartz hohe Erwartungen verknüpft: Innerhalb von vier Jahren könne die Zahl der Arbeitslosen halbiert werden, mutmaßte der damalige VW-Arbeitsdirektor und Vorsitzende der nach ihm benannten Reform-Kommission, Peter Hartz. Die frühere rot-grüne Bundesregierung setzte zahlreiche Hartz-Vorschläge um, ohne dass sich diese Prognose bislang erfüllt hätte. Damals zählte die Bundesanstalt für Arbeit (BA) vier Millionen Erwerbslose, heute sind es fünf Millionen. Auf die Frage, warum die Reformen bislang nicht den erhofften Umschwung am Arbeitsmarkt gebracht haben, gibt nun eine wissenschaftliche Studie erste Antworten. Mit dem knapp 280-seitigen "Bericht 2005 der Bundesregierung zur Wirksamkeit moderner Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" beschäftigte sich der Bundestag in seiner Sitzung am 9. Februar.
In der Untersuchung, an der etwa 100 Wissenschaftler in mehr als 20 Forschungseinrichtungen beteiligt waren, werden die einzelnen Maßnahmen der Hartz-Reformen I bis III unter die Lupe genommen. Mit dem Bericht erfüllt die Bundesregierung einen Überprüfungsauftrag des Bundestages vom November 2002. Das Abschlussdokument soll Ende des Jahres vorliegen. Die bisherige Bilanz weist manches Licht und viele Schatten aus.
Am schlechtesten schneiden in der Studie die Personal-Service-Agenturen (PSA) ab. Die privaten Agenturen sollen Arbeitslose befristet an Betriebe mit dem Ziel verleihen, dass sie dadurch dauerhaft einen Job finden. Dem Bericht zufolge wurde das Gegenteil bewirkt: PSA-Beschäftigte konnten aufgrund dieser Tätigkeit später in den Arbeitsmarkt integriert werden als vergleichbare andere Erwerbslose. Der Einsatz dieses arbeitsmarktpolitischen Instruments ist seit Anfang des Jahres bereits eingeschränkt, nunmehr muss nicht mehr jedes Arbeitsamt eine PSA einrichten.
Ohne nennenswerten Erfolg seien auch die im März 2002 eingeführten Vermittlungsgutscheine für private Arbeitsvermittler geblieben. Im Jahr 2004 hätten weniger als ein Zehntel der ausgegebenen Gutscheine zu einer erfolgreichen Vermittlung geführt. Auch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) stellten kein geeignetes Instrument zu einer besseren Integration Erwerbsloser in den ersten Arbeitsmarkt dar.
Eher negativ fällt auch das Urteil über die Förderung älterer Arbeitsloser aus. Als möglichen Grund benennen die Forscher, dass die einzelnen Instrumente weder bei den Vermittlungsfachkräften der Arbeitsagenturen noch in den Unternehmen ausreichend bekannt seien. Dies gelte beispielsweise für den Beitragsbonus, der "lediglich von gut informierten und im Umgang mit Fördermitteln erfahrenen Betrieben genutzt" worden sei.
Bewährt haben sich nach Einschätzung der Experten die Zuschüsse für Existenzgründungen (Ich-AG und Überbrückungsgeld). Dem Bericht zufolge unterstützte die BA 2004 mehr als 350.000 Arbeitslose beim Schritt in die Selbstständigkeit. Arbeitslose, die sich als Ich-AG selbstständig machen, erhalten drei Jahre lang eine abgestufte Förderung (600 Euro monatlich im ersten Jahr, 360 im zweiten Jahr und 240 im dritten Jahr). Beim Überbrückungsgeld gibt es eine auf ein halbes Jahr befristete Anschubunterstützung. Von den Förderungen seien 48 Prozent auf den Existenzgründungszuschuss der Ich-AG entfallen. Überdurchschnittlich positiv habe sich dieses Instrument auf die Zahl der Existenzgründungen von Frauen ausgewirkt, heißt es in dem Bericht. Der Anteil der Frauen an den neu gegründeten Ich-AG habe deutlich über dem beim Überbrückungsgeld und auch über ihrem Anteil an den Neugründungen insgesamt gelegen. Die Bundesregierung hat angekündigt, die unterschiedlichen Existenzgründungshilfen zum 1. Juli zu bündeln.
Die Eingliederungszuschüsse, also die bis zu 50 Prozent des Lohns betragenden Beihilfen an die Arbeitgeber bei Einstellung von Arbeitslosen, zählen laut Bericht zu den "wichtigsten und erfolgreichsten arbeitsmarktpolitischen Instrumenten". Bewährt hat sich laut Bericht zudem die Neuregelung der Zeitarbeit. Dazu zählt etwa die Aufhebung des Befristungs- und Wiedereinstellungsverbots.
Die "Creaming" genannte strengere Auswahl bei der beruflichen Weiterbildung und die Einführung von Bildungsgutscheinen habe zwar zu besseren Chancen der geförderten Arbeitslosen am Arbeitsmarkt geführt, jedoch sei die Zahl der jährlich neu begonnenen Weiterbildungsmaßnahmen stark gesunken, nämlich von 520.000 im Jahr 2000 um gut 64 Prozent auf 185.000 im Jahr 2004.
Bei den Mini-Jobs, die für Arbeitnehmer steuer- und sozialabgabenfrei sind und für die der Arbeitgeber eine Pauschale von 25 Prozent zahlt, gab es einen regelrechten Boom. Im Juni 2005 habe es etwa 6,7 Millionen Mini-Jobber gegeben, 2,6 Millionen mehr als vor der Reform Ende März 2003. Allerdings seien davon 740.000 bisher voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse gewesen. Demnach betrug der tatsächliche Zuwachs an Mini-Jobbern seit der Reform 1,8 Millionen, davon 700.000 an ausschließlich geringfügig Beschäftigten und 1,1 Millionen Nebenerwerbstätigen. Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass die Mini-Jobs keine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt bildeten.
Bei den so genannten Midi-Jobs, also Beschäftigungsverhältnissen mit einem Entgelt von 400 bis 800 Euro, habe es einen leichten Zuwachs gegeben. Bis Mitte 2004 habe die Reform in diesem Segment 125.000 Jobs gesichert beziehungsweise geschaffen.
Der Umbau der BA geht nach Auffassung der Wissenschaftler "insgesamt in die richtige Richtung". Herzstück der Organisationsreform bilden die neuen Kundenzentren, die Erwerbslose räumlich und inhaltlich durch den Arbeitsagentur-Dschungel lotsen sollen. Einfache Anliegen, für die keine Akten erforderlich sind, sollen sofort im Eingangsbereich der Arbeitsagenturen geklärt werden. Der Zugang zu den Arbeitsvermittlern erfolgt grundsätzlich nur nach Terminvereinbarung. Zu einer größeren Kundenzufriedenheit hat die Strukturreform laut Bericht jedoch nicht beigetragen: Bei den Arbeitslosen hat sie sich danach sogar eher verschlechtert, bei Arbeitgebern dagegen tendenziell verbessert. Erhöht hätten sich Effizienz und Transparenz der BA. Dazu hätten die Einführung eines systematischen Controllings und die Einrichtung der Kundenzentren beigetragen.
Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II im Rahmen von Hartz IV wird in der Expertise nicht behandelt. Die Wirkung dieses Reformschrittes soll in einer separaten Analyse bis Ende 2008 untersucht werden. Allerdings ließ vor wenigen Tagen eine Mitteilung des Bundessozialgerichtes (BGS) die Politik aufhorchen. Bereits im ersten Jahr nach Inkrafttreten von Hartz IV Anfang 2005 seien rund 52.000 Verfahren bei den Sozialgerichten registriert worden, erläuterte der BGS-Präsident Matthias von Wulffen. Bei den Sozialgerichten seien rund 36.700 Klagen und mehr als 15.400 Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz eingegangen. Am häufigsten würden die Regelungen von Hartz IV zur Einkommensanrechnung und zur Bestimmung einer Bedarfsgemeinschaft angefochten.