Wer jetzt über das "starke Stück" und "ganzheitliche Verständnis der Liebe" in der ersten Enzyklika von Papst Benedikt XVI. staunt, der kennt die Antrittsvorlesung noch nicht, die Joseph Ratzinger als junger Professor für Fundamentaltheologie im Juni 1959 an der Bonner Universität gehalten hat. Sie ist jetzt wieder aufgelegt worden; Herausgeber ist der dritte Nachfolger auf jenem Lehrstuhl für Fundamentaltheologie, Heino Sonnemans, der ein sachkundiges Nachwort, auch über die Tradition dieses Lehrstuhls, geschrieben hat.
Schon damals ging es Ratzinger um den Kern und das Fundament des Glaubens, ohne ein dogmatischer Fundamentalist zu sein. Er sprach und schrieb schon damals aus dem Geist der Wahrheit und der Frage nach der Einheit der menschlichen Vernunft. Auf sie sieht er Theologen und Philosophen gleichermaßen verpflichtet, und er weiß, dass beide letztlich nur Annäherungen leisten können. Auch dem Papst ist Gott ein Rätsel geblieben; er zitiert 2006 Augustinus: "Wenn du ihn verstehst, dann ist er nicht Gott."
Die Problemstellung von 1959, ob die Begegnung von Evangelium und griechischer Philosophie der Erkenntnis Gottes dient oder einen Abfall vom biblischen Gott bedeutet, ist in der Gegenwart besonders aktuell: In einer globalisierten Welt stellt sich immer stärker die Frage nach der Begegnung des biblischen Gottes mit zunächst fremden Kulturen und nichteuropäischen Denkstrukturen, wie Peter Weinmann auf der Internetseite des Stadtmuseums Bonn zutreffend anmerkt.
Kardinal Joseph Ratzinger hatte 2004 geschrieben: "Als ich den Text wieder las, wurde mir erst vollends bewusst, wie sehr die damals gestellten Fragen der Leitfaden meines Denkens geblieben sind". Diese Antrittsvorlesung kann also ein Schlüssel für seine erste Enzyklika "Caritas est deus" sein. So stolz die Katholische Theologische Fakultät auf ihr Mitglied (1959 bis 1963) ist, so wenig kann sie sich wegen ihres damaligen Verhaltens ihm gegenüber brüsten. Vor allem der Alt-Testamentler Johannes Botterweck rühmte sich angesichts des Wegganges Ratzingers nach Münster, dass er ihn vergrault habe. Bei der Kandidatur als Dekan der Fakultät erhielt Ratzinger nur eine Stimme, Professor Johann Auer dagegen acht. Mehrere Doktoranden Ratzingers wurden zurückgesetzt. Sein Eintreten für den fortschrittlichen Moraltheologen und späteren Rektor der Universität, Franz Böckle aus der Schweiz, fand zunächst ebenfalls wenig Gegenliebe.
Heinz-Josef Fabry hat jetzt anhand der Akten der Fakultätssitzungen das Spannungsverhältnis des jungen Professors Ratzinger zur Bonner Fakultät rekonstruiert. Was nichts am schönen Bonn-Bild, wie es Ratzinger in seinem Erinnerungsbuch "Aus meinem Leben" gezeichnet hat, ändern kann. Erst recht nichts an der Aktualität seiner Antrittsvorlesung.
Joseph Ratzinger Benedikt XVI.
Der Gott des Glaubens und der Gott der Philosophen.
Hrsg. Von Heino Sonnemans.
Johannes-Verlag Leutesdorf 2005; 67 S., 4,- Euro