Im Abgeordnetenhaus prallten in der vergangenen Woche bei der erster Lesung die unterschiedlichen Auffassungen zwischen rot-roter Mehrheit und vor allem der CDU-Opposition hart aufeinander. Für Nikolas Zimmer, Vorsitzender der CDU-Fraktion, gibt es keine bessere Lösung als ein Pflichtfach Religion oder Ethik. Dadurch werde am besten gewährleistet, dass der junge Mensch einen eigenen Standpunkt finde. Dies sei vor allem in einer Metropole wie Berlin mit ihrem "bunten Mischmasch" an Weltanschauungen dringend notwendig. Stefan Liebich, Vorsitzender der Fraktion Linkspartei.PDS, forderte die Kirchen auf, sich an dem neuen Fach Ethik zu beteiligen. So könne sie mehr Schüler erreichen als mit dem Religionsunterricht. Er gehe davon aus, dass auch nach der Einführung des Faches Ethik genauso viele Schüler den freiwilligen Religionsunterricht wie bislang besuchten. Ziel sei es, die jungen Menschen unter anderem über alle Religionen zu informieren.
Vorgelegt und vertreten wird der umstrittene Entwurf zum Ethikunterricht von Schulsenator Klaus Böger (SPD), von dem man weiß, dass er persönlich für eine Pflichtwahlfach Religion oder Ethik ist. Doch damit konnte er sich weder im Senat durchsetzen, wo auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) für ein Pflichtfach Ethik ist, noch in der eigenen Partei, trotz prominenter Unterstützer wie Wolfgang Thierse oder Richard Schröder. Das einzige Zugeständnis, das der rot-rote Senat in seinem Entwurf an die Kirchen macht, ist das Angebot der Beibehaltung des freiwilligen Religionsunterrichts der Kirchen und anderer Religionen wie beispielsweise des Islams. Dieser aber muss außerhalb des regulären Stundenplans angeboten werden. Immerhin soll dieser Unterricht auch weiterhin finanziell unterstützt werden. Im Gegensatz zum Pflichtfach Lebenskunde, Ethik und Religion (LER) in Brandenburg kann man sich nach dem Senatsentwurf vom Fach Ethik für die Klassen 7 bis 10 nicht zugunsten des Religionsunterrichts abmelden.
Das Land Berlin kennt im Gegensatz zu den meisten anderen Bundesländern keinen konfessionellen Religionsunterricht als Pflichtfach in allen allgemeinbildenden Schulen. Unter Berufung auf die grundgesetzlich genehmigte Ausnahme (Bremer Klausel) wurden im früheren Westberlin und nach der Wende in der wiedervereinigten Stadt Religion von den Kirchen und Lebenskunde vom Humanistischen Verband sowie neuerdings in einigen Schulen auch der Islam auf freiwilliger Basis unterrichtet.
Auch die frühere große Koalition aus CDU und SPD konnte sich auf ein Wahlpflichtfach Religion oder Ethik nicht einigen, weil die SPD - sie hat in Berlin starke Wurzeln in der Freidenkerbewegung - dies stets verhinderte. Dass die PDS an einem ordentlichen Religionsunterrichts nicht interessiert ist, versteht sich fast von selbst. Sie hat im Senat immer deutlich gemacht, dass ein von den Kirchen gewünschtes Wahlpflichtfach mit ihnen nicht zu machen sei.
Der neue Ethikunterricht, der von Klasse 7 bis zunächst Klasse 10 für alle Schüler angeboten werden soll, soll dazu beitragen, dass sich alle Schüler gemeinsam "mit Fragen von Toleranz und friedvollem Miteinander beschäftigen" so Schulsenator Böger. Dieser Unterricht soll weltanschaulich und religiös neutral sein, ist aber laut Böger dennoch kein "wertneutrales Fach". Im Mittelpunkt soll die Vermittlung der Werte des Grundgesetzes stehen. Im Vorfeld der Erstellung des Entwurfs hat man seitens des Senats den Kirchen die Mitarbeit angeboten, die jedoch von diesen abgelehnt worden ist.
IIn SPD und PDS und anderen Parteien, mit Ausnahme der CDU, gibt es Vorbehalte gegen einen von den Kirchen verantworteten Religionsunterricht. Man fürchtet, dass diese dadurch zu viel Einfluss gewinnen könnten. Die Wahlalternative Religion oder Ethik und Philosophie hat sich in anderen Bundesländern bewährt. Bischof Huber sieht in einer solchen Wahlpflicht-Freiheit nicht nur ein gutes Angebot für junge Menschen, sondern auch "gelebte Religionsfreiheit". Er schließt eine mögliche Verfassungsklage gegen das Pflichtfach Ethik nicht aus.
Gegenwärtig ergibt sich für Berlin folgende Situation: In der Grundschule, die in Berlin die Klassen 1 bis 6 umfasst, wird sich zunächst nichts ändern. Hier besuchen 58.000 Grundschüler den evangelischen und 15.000 den katholischen sowie 4.200 den islamischen Religionsunterricht auf freiwilliger Basis. Lebenskunde wird von 37.000 Grundschülern gewählt. Die anderen Schüler haben während dieser Zeit frei.
Ab Klasse 7 wird der freiwillige Religionsunterricht beziehungsweise Lebenskundeunterricht nur noch von einem geringen Teil der Schüler besucht. In konkreten Zahlen: 28.000 Schüler nehmen am evangelischen, 15.000 am katholischen, 100 am islamischen Religionsunterricht und 2.700 am Lebenskundeunterricht teil. Hier soll nun zunächst für das 7. Schuljahr der neue Pflichtunterricht Ethik an ihre Stelle treten. Offensichtlich will der Senat den Kirchen dadurch entgegenkommen, dass künftig auch in den weiterführenden Schulen Religionsunterricht auf freiwilliger Basis zusätzlich angeboten werden kann.