Als vor rund 100 Tagen Bremens Bürgermeister Henning Scherf die Regierungsführung an seinen SPD-Genossen Jens Böhrnsen abgab, mussten sich die Bremer zumindest in einem Punkt nicht umgewöhnen: Beide Bürgermeistergattinnen heißen mit Vornamen Luise. Auch sonst erinnert beim Neuen manches an den Vorgänger. Zum Beispiel steht das Rathaus weiterhin allen Bürgern offen: Böhrnsen lässt wie schon Scherf die Tür zu seinem Amtszimmer meistens geöffnet; auch künftig strömen viele junge Leute zur "Nacht der Jugend" in die Regierungszentrale. Und Bürgermeister Böhrnsen empfängt weiterhin Vertreter aller Religionen zur gemeinsamen Friedensandacht.
Aber der 56-jährige Arbeitersohn und Jurist wirkt bei alledem nicht so jovial und distanzlos wie der zehn Jahre ältere "Oma-Knutscher". "Er haut nicht so auf den Putz wie Henning, sondern macht es mit etwas leiseren Tönen", heißt es im Rathaus.
Als Böhrnsen noch die SPD-Bürgerschaftsfraktion leitete, da scheute er nie ein klares Wort zur rechten Zeit und rügte gerne mal den Koalitionspartner CDU - erst recht, als er mit Bildungssenator Willi Lemke um die Scherf-Nachfolge wetteiferte. Seitdem er aber gesiegt hat, wirkt er etwas weichgespült. Bloß nicht zu sehr anecken, scheint sein neues Motto zu lauten. Zum Beispiel äußert er keine Kritik mehr an den immer wieder umstrittenen Tierversuchen mit lebenden Makakenaffen an der Universität.
In einem Punkt ist er allerdings konfrontativer als sein harmoniebedürftiger Vorgänger: Böhrnsen will in der Koalition mehr SPD-Profil zeigen. Dazu gehört auch, dass er Investitionen in neue Gewerbeflächen und Straßenbauten zurückfahren möchte - das träfe vor allem die CDU-Ressorts Wirtschaft und Bau. Zwar will auch der Koalitionspartner die hohe Investitionsquote der vergangenen Jahre senken, aber wenn es dann konkret ans Streichen geht, ist es vorbei mit der Einigkeit.
Bei sich selbst übt Böhrnsen keinen Verzicht. Weil er gerne einen engen Fraktionsmitarbeiter ins Rathaus mitnehmen wollte, ließ er dort extra eine neue Stelle schaffen - "wobei eine Konkretisierung der Aufgabenwahrnehmung noch zu leisten ist", wie es in der pro forma nötigen Stellenausschreibung hieß. Das brachte ihm böse Kommentare ein. Was die Lokalpresse allerdings verschwieg: Der neue Posten verursacht keine Zusatzkosten, sondern wird durch Etat-Umschichtungen finanziert.
Eigene Akzente hat Böhrnsen in den ersten 100 Amtstagen nur selten gesetzt. Lediglich ein Konzept zur Rettung des hochverschuldeten Stadtstaates erregte größere Aufmerksamkeit. Es sieht vor, weiterhin Ausgaben zu senken, aber zugleich eine neue Verfassungsklage auf Teilentschuldung einzureichen und mit dem Bund und den anderen Ländern über einen günstigeren Finanzausgleich zu verhandeln.
Als der neue Regierungschef, der keine Richtlinienkompetenz besitzt, sein Rettungskonzept vorlegte, überraschte er damit nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch den Koalitionspartner. Der reagierte entsprechend verschnupft, denn er wäre gerne vorab einbezogen worden. CDU-Fraktionschef Hartmut Perschau: "Jens Böhrnsen ist als Teamchef angetreten, aber in erster Linie als Solist aufgefallen." Der Gerügte verteidigt seinen Alleingang: Er wolle "Motor der bremischen Politik sein" - und nicht nur Moderator oder "Frühstücksdirektor".
Im Allgemeinen legt Böhrnsen durchaus Wert auf Teamgeist. Anders als Scherf, der bei aller Leutseligkeit einen Hang zum Alleinherrschertum hatte, möchte der Neue möglichst viele Menschen in die Rettung des kleinsten Bundeslandes einbeziehen. Er lädt alle Bürgerinnen und Bürger zum Mitdiskutieren ein und ruft sie zu einem "Alle-Mann- und-Alle-Frau-Manöver" auf. Der überzeugte Sozialdemokrat verspricht Ehrlichkeit und will nicht "die Gute-Laune-Abteilung" sein, die das Finanzdesaster beschönigt. Böhrnsen geht auf Gewerkschaften und Personalräte zu, hat gerade eine Tour durch die Stadtteile begonnen und will auch das Parlament ernster nehmen als sein Vorgänger.
Grünen-Fraktionschefin Karoline Linnert zieht eine positivere 100-Tage-Bilanz als der Koalitionspartner CDU: Mit Böhrnsen sei im Vergleich zu Scherf "ein anderer Stil ins Rathaus eingezogen", findet sie. Trotz mancher Kritik lobt sie, dass der Neue "sich mit den Fakten auskennt und dafür ein bisschen weniger die Leute küsst".
Im kommenden Jahr wird die Bürgerschaft neu gewählt. Nach zwölf Jahren Elefantenehe dürfte Böhrnsen dann wohl zu Rot-Grün wechseln. Vorausgesetzt, es gelingt ihm bis dahin, die Herzen der Wähler so zu erobern, wie Scherf es geschafft hat. Wer Böhrnsen kennt, findet ihn meist sympathisch. Aber noch kennen ihn längst nicht alle Bremer.