Anfang Februar 2006 machen wir eine kleine Reise in den Südwesten der Stadt. Als wir ankommen, haben wir das Jahr 1998. In der ehemaligen Kolonie Lichterfelde, wo vermögende Berliner einst ihre Sommerfrische verbrachten und Großstädter noch heute bei bester Verkehrsanbindung ruhig und gediegen wohnen, scheint die Zeit ein wenig stehen geblieben zu sein. Aber die Uhr tickt in der Boothstraße 20a tatsächlich anders, und zwar nach dem Äthiopischen Kalender. Briefe und Berichte scheinbar verjährten Datums liegen auf dem Tisch von Genet Berhanu, die sie an diesem Tag mit dem Computer erstellt hat, in Schriftzeichen, die an mystische Steininschriften erinnern.
Amharisch ist Geschäftssprache in der alten Villa, in der die Botschaft der Demokratischen Bundesrepublik Äthiopien residiert. Gerade hat Botschafter Hiruy Amanuel für ein paar Tage Amt und Land verlassen, um in Äthiopien eine neue Aufgabe in der Terrorismusbekämpfung anzunehmen. Der Nachfolger wird voraussichtlich erst im April kommen. Das großzügige helle Büro mit Gartenblick liegt verwaist da, die schwere Sitzgarnitur wartet auf neue diplomatische Gespräche, großflächig liegt der rote Teppich aus. Der Austausch mit den Deutschen ist rege, Vertreter beider Länder machen sich gerne die Aufwartung. Der Besuch Kaiser Haile Selassies 1954 war einer der ersten Staatsbesuche für die noch junge Bundesrepublik Deutschland.
Seit dem Kaiserreich pflegen Äthiopien und Deutschland diplomatische Beziehungen, die traditionell eng und freundschaftlich sind. 1905 wurde ein bilaterales Abkommen geschlossen, in dem vereinbart wurde, sich gegenseitig Grundstücke und Gebäude für Botschaften zur Verfügung zu stellen. Deutschland bekam ein Grundstück in Addis Abeba, für die Diplomaten vom Horn von Afrika erfüllte sich später das Abkommen sogar doppelt in beiden Teilen Deutschlands. Der "Deutsch-Äthiopische Freundschafts- und Handelsvertrag" ist bis heute Basis der Beziehungen beider Staaten. Und noch immer ist Deutschland der größte Importeur äthiopischen Kaffees.
Die Berliner Botschaft ist ein offenes Haus. Ohne Sicherheitskontrollen, das Tor weit geöffnet, liegt sie in einer ruhigen Straße, die nach dem Baumschulenbesitzer John Booth benannt ist. Dem haben das Viertel und auch der Grunewald ihre Eichen, Linden und Kastanien zu verdanken. Nebenan zeugt ein herrschaftliches Anwesen noch von wilhelminischer Pracht, das zugehörige Land ist inzwischen parzelliert und bebaut. So kam in den 30er-Jahren auch die Villa hinzu. Nach dem Krieg nutzten die Amerikaner das Gebäude und hinterließen ein schönes Andenken im Keller. "Puppet Show Room" steht an einer Eisentür im Heizungskeller. Für wen hier Puppentheater gespielt wurde, bleibt aber ein Rätsel.
Seit 2000 gehört das Gebäude der Republik Äthiopien. 2003 wurde angebaut, weil der Altbau nicht über genügend Platz für alle Bedürfnisse einer Botschaft verfügte und auch nicht zu stark verändert werden sollte. Der Altbau, 1936/37 von Otto Ortel erbaut, entspricht dem Villenstil ihrer Entstehungszeit mit der breiten Freitreppe zur repräsentativen Eingangstür, seinen Rundbogenfenster und dem dekorativen Balkon. Innen empfangen den Besucher edle Steinfußböden und eine geschwungene Treppe. In der ersten Etage hat Tesfaye Abate, zweiter Botschaftsrat, sein Büro mit Blick auf den Anbau, der architektonisch als eigenständiges Element im Garten liegt.
Der Neubau ist durch einen schwebenden Glasgang mit der alten Villa verbunden, formal aber ein eigenes Gebäude mit zwei Geschossen, das sich kleiner macht als die Villa, doch innen dank der schönen klaren Gliederung geräumig wirkt. Es ist funktional, harmonisch mit interessanten Blickwinkeln. Einladend wirken das kaffeebraune Parkett, die weißen Wände mit Bildern und Fotos aus Äthiopien und eine Galerie, die die Büros des Botschafters erschließt. Die Fassade mit ihren großen Fenstern und rotbraunen Holzpaneelen ergeben eine schöne Struktur und verjüngen die in die Jahre gekommene Nachbarschaft. Ein bisschen Afrika tut dem Berliner Südwesten offenbar gut.