Das Parlament: Herr Falter, die Große Koalition erfreut sich immer größerer Beliebtheit. 42 Prozent der Deutschen sind inzwischen "sehr zufrieden" mit der Regierung, 68 Prozent finden, dass Angela Merkel einen guten Start hingelegt hat. Woher kommt dieser plötzliche Stimmungswandel?
Jürgen Falter: Die Stimmung ist insgesamt besser geworden, weil viele Leute einer Großen Koalition eine größere Durchsetzungskraft zutrauen, als einer kleinen. Sie besitzt ja im Bundestag eine enorme Stärke, wenn auch nicht im Bundesrat. Darüber hinaus vermittelt sie der Bevölkerung das Gefühl, dass sie sich primär der Sacharbeit verpflichtet fühlt, dass sie liegen gebliebene Aufgaben aufarbeitet und weniger als die Vorgängerregierung auf Showeffekte setzt. Die Leute hatten das bei Rot-Grün wohl ein wenig satt.
Das Parlament: Hat sich also der politische Stil verändert?
Jürgen Falter: Er hat sich sogar entscheidend verändert. Angela Merkel versucht, die Leute sehr nüchtern und sachlich zu überzeugen, und das kommt im Augenblick sehr glaubwürdig rüber. Sie ist eben eine typische Naturwissenschaftlerin, die in erster Linie versucht, mit Argumenten zu überzeugen. Eine Mehrheit in der Bevölkerung scheint diesen Politikstil unter den gegebenen Bedingungen vorzuziehen.
Das Parlament: Hat das auch etwas damit zu tun, dass mit Angela Merkel nun eine Frau regiert?
Jürgen Falter: Viel entscheidender ist, glaube ich, dass Frau Merkel Naturwissenschaftlerin ist und aus dem Osten kommt. Sie spielt daher bestimmte Formen des Politikspiels nicht in der Weise mit, wie das viele Politiker aus den alten Bundesländern gewohnt sind. Matthias Platzeck ist ja in dieser Hinsicht auch sehr anders, was man ihm in der eigenen Partei schon übel zu nehmen beginnt. Ein anderer Punkt ist, dass in dieser Koalition relativ viele nüchterne Sachpolitiker vereint sind. Peer Steinbrück und Franz Müntefering beispielsweise, Leute, die mit Angela Merkel sehr gut können. Sie sprechen die gleiche Sprache, packen die Dinge pragmatisch an, und das ohne großes Getöse.
Das Parlament: Aber wie ist zu erklären, dass zwei Parteien, die noch im Wahlkampf keine Gelegenheit ausließen, einander zu diffamieren, inzwischen in bemerkenswerter Eintracht zusammen regieren?
Jürgen Falter: Nun, diese Wahlkämpfe haben wegen ihres Wettbewerbscharakters immer auch ein inszenatorisches Element. Die Konflikte sind oft keineswegs so tiefgreifend, wie sie dargestellt werden. Dennoch ist die Große Koalition eine klassische Vernunftehe, bei der beide Parteien wissen, dass sie ihren Auftritt gut über die Bühne bringen müssen. Wenn sie es nicht gut machen, werden sie dafür bestraft - am härtesten derjenige, der den Spielverderber macht.
Das Parlament: Dann ist die viel beschworene Harmonie also in erster Linie inszeniert?
Jürgen Falter: Klar ist die Parole ausgeben worden, dass das Kabinett nach außen hin Einigkeit zeigen möge und Streit erst mal intern klären soll. Aber auch daran halten sich nicht immer alle Parteimitglieder außerhalb des Kabinetts. Streit gibt es also trotzdem, nur nicht so stark, wie wir das aus dem Wahlkampf kennen. Jetzt aber hat die Große Koalition ein gemeinsames Projekt: Sie will möglichst vernünftige Politik machen. Sie will den Koalitionsvertrag umsetzen und schrittweise, im kleineren Maßstab, Reformen durchführen. An diese Marschrichtung halten sich beide Partner im Augenblick - und das natürlich auch ganz bewusst, weil man gespürt hat, dass man damit bei der Bevölkerung besser ankommt.
Das Parlament: Kann das noch lange gut gehen?
Jürgen Falter: Jedenfalls so lange, bis die großen Meinungsverschiedenheiten wieder aufbrechen. Wichtige Reformen sind im Koalitionsvertrag ja bisher ausgespart worden, die Gesundheitspolitik beispielsweise, der Arbeitsmarkt oder die Steuerreform. In diesem Jahr wird die Regierung genug damit zu tun haben, das im Vertrag Festgeschriebene aufzuarbeiten. Mit der Föderalismusreform wird sie versuchen, einen Markstein zu setzen für einen erfolgreichen großen Reformschritt. Spätestens im nächsten Jahr aber werden die Konflikte viel deutlicher werden. Im dritten Jahr wird das Gezänk wohl wieder richtig losgehen.
Das Parlament: Ihr Resümee nach 100 Tagen Großer Koalition?
Jürgen Falter: Sagen wir es so: Ich hatte Schlimmeres befürchtet. Ich hatte gedacht, dass man sich in der Sachpolitik weniger einig sein würde und die Koalition gar nicht reformfähig sei. Vielleicht ist sie das auch nicht, das wird sich herausstellen. Vielleicht ist die halbe Föderalismusreform das Einzige, was sie am Ende hinbekommt. Zunächst aber bin ich, wie viele andere wahrscheinlich auch, durchaus "positiv enttäuscht".
Das Interview führte Johanna Metz