Gestorben ist George Washington im Jahr 1797. In den Staaten, die aufgrund ihrer ungebrochenen Geschichte die Anfänge nie aus dem Auge verloren haben, besagt das wenig. Zudem findet sich Washingtons Konterfei auf jeder Ein-Dollar-Note; die Bundeshauptstadt trägt seinen Namen, ein Bundesstaat ebenso und 33 Landkreise, sieben Berge, neun Hochschulen und 121 Postämter. Seit langem residiert der Revolutionsgeneral und erste Präsident der Vereinigten Staaten unangefochten im Olymp der patriotischen Folklore. Mount Vernon, seine Farm am Potomac, ist eine nationale Pilgerstätte; schon der Nachwuchs im Kindergarten orientiert sich an Washington-Legenden.
In immer neuen Anläufen haben Zeitgenossen, Historiker und Journalisten versucht, die Idealgestalt des Anfangs in den Griff zu bekommen. Joseph J. Ellis ist es gelungen, hinter dem Übervatermythos den Landvermesser, Soldaten, Politiker und vor allem den Farmer Washington sichtbar zu machen, der experimentierte, spekulierte, Maultiere züchtete und vergleichsweise früh die Unrentabilität der Sklavenwirtschaft erkannte. Er verfügte, dass nach dem Tod seiner Frau alle Sklaven freigelassen und die älteren versorgt werden sollten. Er blieb der einzige der Sklaven haltenden Gründungsväter, der diesen Schritt tat.
Die Heirat mit der wahrscheinlich reichsten Witwe Virginias begründete Washingtons gesellschaftliche Stellung. Dass er in London Büsten von Alexander dem Großen, Julius Caesar, Karl XII. von Schweden und Friedrich dem Großen bestellte, lässt vermuten, dass das Selbstbewusstsein seine starke Seite war. Tatsächlich hatte die ungestüme Selbstsicherheit den gerade 20-jährigen, der das Soldatenhandwerk im Schnellkurs gegen Indianer und Franzosen erlernte, bereits hart an den Rand des Scheiterns geführt.
Im Revolutionskrieg war es der jämmerliche Zustand seiner Kontinentalarmee, der den Verzicht auf riskante Operationen erzwang. Ohne die gravierenden Fehler der britischen Befehlshaber und das Eingreifen der französischen Flotte hätte die amerikanische Revolution sehr wohl scheitern können. "Seine Exzellenz" - ein ungewöhnlicher Titel in revolutionärer Zeit - konnte in über acht Jahren keinen überzeugenden Sieg an seine Fahnen heften.
Dass Washington die außerordentlichen Vollmachten des Befehlshaber anschließend wie selbstverständlich zurückgab, sollte den frühen Heroenstatus nur steigern. 1787 musste er gedrängt werden, den Vorsitz jenes Konvents zu übernehmen, der die Artikel der Konföderation überarbeiten sollte, stattdessen aber eigenmächtig hinter verschlossenen Türen die immer noch gültige Verfassung der Vereinigten Staaten ausarbeitete. An den Debatten beteiligte sich der Vorsitzende kaum, indes verlieh seine Gegenwart dem riskanten Unternehmen den Anstrich der Legitimität.
Thomas Jefferson wollte das politische Gewicht stärker bei den Bundesstaaten belassen. Der Verfasser der Unabhängigkeitserklärung ernannte Washington nach der Wahl zum Präsidenten zum ersten Secretary of State, seinen vormaligen Adjutanten Alexander Hamilton zum Finanzminister. Der wiederum träumte von der künftigen wirtschaftlichen und politischen Größe der Vereinigten Staaten und setzte schon deshalb auf starke Bundesinstitutionen. Der Konflikt seiner engsten Mitarbeiter brach nach Washingtons Abschied vom Präsidentenamt voll aus und führte zum frühen Entstehen politischer Parteien, vor denen Washington ständig gewarnt hatte.
Man liest mit Staunen, dass Präsidenten nicht erst in der Neuzeit gegen Ende ihrer Amtszeit mit Aggressivität und Häme überschüttet werden. Indes ist am Urteil von Kriegsminister Henry Knox kaum zu rütteln, dass weniger die Verfassung als Washingtons Charakter die junge Nation zusammenhielt.
Joseph Ellis' Washington-Biografie gilt zu Recht als Erfolg. In einer Zweigstelle der Stadtbücherei am Rande Washingtons fand ich "His Excellency" gleich in drei Exemplaren im Regal. Warum die deutsche Ausgabe den umfangreichen Index auf ein schmales Personenregister verkürzt hat, ist unverständlich. Auch eine Landkarte hätte deutschen Lesern, die sich fragen, wo Trenton liegt und wo dort Washington kurz vor Weihnachten 1776 den Delaware überquerte, sehr geholfen. Die heroische Darstellung Emanuel Leutzes ist abgebildet; dass Leutze den patriotischen Schinken in Düsseldorf malte, erfahren auch die Leser der Originalausgabe nicht.
Joseph J. Ellis: Seine Exzellenz George Washington. Eine Biografie. Aus dem Amerikanischen von Martin Pfeiffer. Verlag C. H. Beck, München 2005; 386 S., 24,90 Euro