Da Gentechniker von Anbeginn ihrer ersten technologischen Durchbrüche - also seit den frühen 70er-Jahren - im Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik stehen, wundert es nicht, dass sie immer wieder versuchen, jene revolutionären Zugriffe auf das Erbgut lediglich als eine moderne Variante einer im Grunde genommen doch uralten Technik darzustellen. Das neue Arbeitsfeld wird daher auch gern pauschal als die Summe aller Methoden definiert, die sich mit der Isolierung, Charakterisierung, Vermehrung und Neukombination von Genen (notfalls auch über Artgrenzen hinweg) beschäftigen. So gesehen hat der Mensch in der Tat bereits seit Urzeiten "Gentechnologie" betrieben, indem er etwa bei der Tier- und Pflanzenzüchtung bestimmte Eigenschaften bewusst zu fördern suchte. Mehr noch, selbst unsere eigene Fortpflanzung gerät somit nolens volens in den Dunstkreis herkömmlicher "Gentechnologie". Schließlich bedeutet Partnerwahl im streng biologischen Sinne nichts anderes als "Zuchtwahl", also den Versuch, möglichst Nachwuchs mit genetisch vorteilhaften Neukombinationen zu zeugen. Doch wer der weitverbreiteten Unsitte folgen will, jede Weitergabe von Genen, die nicht mehr auf ganz zufällige Weise geschieht, bereits zur "Gentechnologie" zu erheben, der schadet den Bemühungen um gesellschaftliche Akzeptanz. Die beträchtlichen Vorbehalte der Bevölkerung gegenüber der Gentechnologie lassen sich jedenfalls durch unklare Definitionen kaum abbauen.
Will man den Begriff also schärfer fassen, so bietet sich folgende Zuordnung an: Während man unter Biotechnologie ganz allgemein den Einsatz biologischer Sys-teme im Rahmen technischer Prozesse und industrieller Produktionen versteht, bezeichnet Gentechnologie die Anwendung spezieller molekularbiologischer Methoden zur Änderung der genetischen Eigenschaften von Organismen.
Die Grundlage aller Gentechnik ist die Universalität des genetischen Codes: Menschen, Tiere und Pflanzen sind nach dem Baukastenprinzip aus Zellen aufgebaut. Doch diese Zellen sind einander sehr viel ähnlicher als die kompletten Organismen. Und auf molekularem Niveau nimmt diese Ähnlichkeit sogar noch zu, sodass beispielsweise die Baupläne für Hormone wie das Insulin bei Tier und Mensch beinahe identisch sind. Doch nicht nur die chemische Struktur der Erbsubstanz ist allen Organismen gemeinsam, auch der genetische Code selbst. Das heißt, in der ganzen Biosphäre wird nicht nur das gleiche Alphabet verwendet, sondern zudem auch noch in der gleichen Sprache geschrieben. Deshalb sind alle Organismen prinzipiell auch für den Austausch genetischer Information prädestiniert.
Die in der Desoxyribonukleinsäure (DNS, international DNA genannt) festgelegte Erbinformation wird bei gentechnologischen Verfahren gezielt re- oder neukombiniert. Die "rekombinante DNA-Technologie" gestattet jedoch nicht nur den konkreten Zugriff auf das Erbgut von Lebewesen beziehungsweise Viren, sondern auch Eingriffe in grundlegende biochemische Steuerungsvorgänge. Ziel ist stets die Erkundung oder bereits auch die Veränderung des Erbgutes. Hierbei werden Gene ausgeschaltet oder hinzugefügt, sodass sich unendlich viele Zwecke in Medizin, Landwirtschaft, Umweltschutz und Grundlagenforschung verfolgen lassen. Die Gentechnik vermag schon heute Gene von einem Lebewesen auf ein anderes zu übertragen - mit dem verblüffenden Ergebnis, dass erfolgreich übertragene Gene dem so genannten transgenen Organismus zu neuen Eigenschaften und Fähigkeiten verhelfen.
So setzen Gentechniker mittlerweile Pilzgene in Pflanzen ein, Mausgene in Bakterien oder menschliche Gene in Schafe. Und "Gen-Designer" können, zumindest theoretisch, sogar vollkommen neue Gene konstruieren. Gene also, die es in der Natur noch nie gegeben hat. Der gentechnischen Manipulation stehen also nicht nur arteigene und artfremde Gene zur Verfügung, sondern möglicherweise schon bald auch synthetisch hergestellte Erbanlagen. Die künftigen Nutzungsmöglichkeiten der Gentechnologie sind daher - sieht man einmal von gesetzlichen Einschränkungen oder gesellschaftlichen Tabus ab - im Grunde genommen allein durch die menschliche Phantasie begrenzt.
Für die verschiedenen Anwendungsbereiche der Gentechnik hat sich im öffentlichen Sprachgebrauch folgende "Farbenlehre" etabliert: Die Anwendung gentechnischer Methoden in der Pflanzenzüchtung, die Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen in der Landwirtschaft und im Lebensmittelsektor wird als Grüne Gentechnik bezeichnet. Bei der Roten Gentechnik handelt es sich um medizinische Anwendungen - etwa die Entwicklung neuartiger Arzneimittel sowie diagnostischer und therapeutischer Verfahren. Bei der Grauen, beziehungsweise Weißen Gentechnik geht es um die Nutzung gentechnisch veränderter Mikroorganismen zur Herstellung von Enzymen oder Feinchemikalien für industrielle Zwecke, in der Mikrobiologie und der Umweltschutztechnik.
Noch werden die Wirkungsmöglichkeiten der Gentechnik vor allem dadurch eingeschränkt, dass die meisten Gene der meisten Lebewesen noch gar nicht entdeckt und beschrieben worden sind. Auch wenn sich heute bereits vielfach Gene von einem Organismus auf den anderen übertragen lassen, so ist doch zumeist noch unbekannt, was bestimmte Gene an bestimmter Stelle in einer bestimmten Situation überhaupt zu leisten vermögen. Für diese Fragen ist ein weiterer Mitspieler im biotechnologischen Trio - die Genomik - zuständig. Die Genomik kartiert die Gene der Organismen, ermittelt die jeweilige individuelle Struktur und versucht herauszufinden, was genau und in welcher Weise ein Gen bewirkt. Je erfolgreicher die Genomik ist, desto leistungsfähiger wird auch die Gentechnologie.
Was also der Weltöffentlichkeit im Februar 2001 gemeinsam vom US-amerikanischen Genforscher J. Craig Venter und dem internationalen Humangenomprojekt präsentiert wurde, war nichts Geringeres
als die erste Genkarte des Menschen. Doch um ein weit verbreitetes Missverständnis auszuräumen: "Entschlüsselt" wurde das menschliche Genom keineswegs, allenfalls "entziffert". Gewissermaßen liegt trotz weiterer Fortschritte immer noch nicht viel mehr als eine Erstfassung vom "Buch des Lebens" vor. Man kann noch nicht einmal darin lesen - höchstens buchstabieren.
Welche dieser entzifferten Buchstaben nun sinnvolle Silben und Wörter bilden, muss erst noch erforscht werden. Und dieser Text des menschlichen Lebens ist lang, sehr lang sogar. Unser Genom - Bauplan und Betriebsanleitung der "Biomaschine Mensch" - besteht aus einer etwa drei Milliarden Glieder langen Kette, einer ständig wechselnden Folge der Buchstaben A, C, G und T. So heißen die Kürzel jener vier DNA-Basen (Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin), die den Hauptbestandteil des Erbmoleküls bilden. Ausgedruckt auf Papier entspräche die Buchstabenfolge unseres Genoms mehreren hunderttausend lückenlos beschriebenen Seiten dieser Zeitung. Und dennoch liegt dieser Bauplan in jedem Kern unser Körperzellen als winzig zusammengefaltete Kopie vor.
Doch erst das Klonen verschafft die Möglichkeit, das ungeheure Potenzial von Gentechnik und Genomik auf Pflanzen, Tiere und auch auf den Menschen anzuwenden. Denn nur über
das Klonen lassen sich die gewünschten genetischen Untersuchungen und Eingriffe in der erforderlichen Präzision vornehmen. Für eine erfolgreiche genetische Manipulation braucht man nämlich zum einen möglichst viele Zellen und zum anderen Zellen, die frei zugänglich sind. Am besten also Klone aus Zellkulturen, die man in einer so genannten Petrischale - einem flachen Glasschälchen - unter das Mikroskop stellen kann.
Klone aus einer solchen Kultur lassen sich beliebig vermehren und vor allem daraufhin untersuchen, ob die gewünschte Genveränderung auch tatsächlich gelungen ist. Erst wenn der Erfolg der Manipulation gesichert ist, werden Klone beispielsweise zur so genannten Rekonstruktion eines Embryos verwendet und können sich dann zu einem vollständigen Organismus entwickeln.
Bereits im Sommer 1996 wurde das wohl berühmteste Schaf aller Zeiten geboren: das Klonschaf Dolly. Einer britischen Arbeitsgruppe war es gelungen, erstmals einen genetisch identischen Nachkommen aus dem Zellmaterial eines erwachsenen Säugetieres zu züchten. Dolly steht somit für einen beispiellosen Durchbruch sowohl in der Gentechnologie als auch in der Reproduktionsbiologie. Ein Durchbruch, den Experten frühestens in einigen Jahrzehnten erwartet hatten. Die meisten Wissenschaftler glaubten sogar, dass es niemals möglich sein werde, aus einer beliebigen Körperzelle eines Säugetieres einen vollständigen und lebensfähigen Organismus zu züchten. Denn dazu müsste man einer ausgewachsenen und somit bereits spezialisierten Haut-, Leber- oder Muskelzelle die ursprüngliche Entwicklungsfähigkeit einer embryonalen Stammzelle zurückgeben. Genau das aber ist den Wissenschaftlern mit Dolly gelungen.
Gewissermaßen wurden jene im Kern der differenzierten Zelle längst abgeschalteten Gene wieder aktiviert. Es gelang also, die ausgewachsene Zelle zu reprogrammieren, sodass sie die längst verlorene embryonale Potenz wiedererlangte. Inzwischen konnten nach der Dolly-Methode auch Mäuse, Rinder, Ziegen und Schweine geklont werden. Und da es prinzipiell möglich ist, aus einem winzigen Stückchen Haut oder einer ausgerissenen Haarwurzel einen ganzen Menschen zu klonen, sind nunmehr auch Entwicklungen denkbar, die einen "Menschen nach Maß" entstehen lassen würden. Auch Menschenklone lassen sich nach Gutdünken "optimieren" - indem man sie in einem frühen Entwicklungsstadium gentechnisch auf unerwünschte Eigenschaften untersucht, um sie dann wie in der Tierzucht gegebenenfalls zu selektieren oder zu verändern.
Dolly, darüber besteht keinerlei Zweifel, wird unser Leben verändern. Alle kommenden Jahrhunderte werden von den Konsequenzen dieses gentechnologischen Experiments geprägt sein. Und alle Bemühungen um eine "Entschleunigung" oder gar Kontrolle des Fortschritts können nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Grunde genommen allein die weiteren "Durchbrüche" des biotechnologischen Trios den Takt der Entwicklung angeben - zumeist ohne Rücksicht darauf, wie viele Menschen überhaupt bereit sind, diesem Takt zu folgen.