Das Parlament: Die letzte große Gentechnikdebatte ging 2001 als Sternstunde des Parlaments in die Geschichte ein. Heraus kamen ein Kompromiss und das Stammzellimportgesetz. Hat sich diese Regelung aus Ihrer Sicht bewährt?
Ernst-Ludwig Winnacker: Sie war am Anfang ein wichtiger Kompromiss, weil sie ermöglicht hat, dass auch deutsche Wissenschaftler mit menschlichen embryonalen Stammzelllinien in begrenztem Umfang erstmals arbeiten dürfen. Das ist jetzt vier Jahre her und überholungsbedürftig. Die Stichtagsregelung erlaubt nur mit Stammzellen zu arbeiten, die vor dem 1. Januar 2002 hergestellt worden sind. Inzwischen gibt es neue Entwicklungen. Bei den adulten Stammzellen hat sich die Hoffnung, dass man sie beliebig ineinander umwandeln kann, nicht bewahrheitet. Zellen des blutbildenden Systems lassen sich nicht in Gehirnzellen umwandeln. Andererseits ist es gelungen, mit den richtigen adulten Stammzellen aus einer einzigen Brustzelle eine ganze Brustdrüse in der Maus zustande zu bringen.
Das Parlament: Heißt das, in Deutschland muss Ihrer Ansicht nach die Forschung an embryonalen Stammzellen ausgeweitet werden?
Ernst-Ludwig Winnacker: Die Unterscheidung zwischen adulten und embryonalen Stammzellen ist für die Wissenschaft kein richtiger Ansatz. Man versucht zu verstehen, wie sich Zellen entwickeln. Weshalb sich aus wenigen embryonalen Zellen später mehrere hundert verschiedene Zelltypen entwickeln können. Die Verzweigungspunkte sind uns noch unbekannt, deswegen muss man von beiden Seiten her daran forschen können: Vom embryonalen Stadium her genauso wie von der fertig differenzierten - adulten - Zelle her.
Das Parlament: Die Unterscheidung der Politik zwischen den beiden Zelltypen ist für die Wissenschaft also hinderlich?
Ernst-Ludwig Winnacker: Sie ist nur für die Politik hilfreich. Weil man für die einen Zelltypen Embryonen braucht, die gesetzlich geschützt sind. Vielleicht wird man embryonale Stammzellen dereinst auch "rückwärts" herstellen können, also von einer differenzierten Zelle zurück zur embryonalen. Der Übergang ist extrem fließend. Es ist aber immer noch nicht ganz klar, in welche therapeutische Anwendung es gehen wird. Ob man im Einzelfall embryonale Stammzellen verwenden wird. Das Argument, dass diese Tumoren bilden, stand dem entgegen. Inzwischen ist es gelungen, embryonale Stammzellen der Maus zu kultivieren und zu Hirnzellen zu machen, die dann keine Krebszellen mehr bilden, was embryonale Stammzellen an sich gerne tun.
Das Parlament: Unterscheiden Sie in der DFG-Forschungsförderung zwischen embryonalen und adulten Stammzellstudien?
Ernst-Ludwig Winnacker: Nein, wir haben einen Stammzellschwerpunkt, so wie es ein Stammzell-Netzwerk in Nordrhein-Westfalen gibt. Aber für deutsche Wissenschaftler ist es wegen der deutschen Gesetze schwierig, international mitzuarbeiten. Außerdem werden die vier Jahre alten Stammzelllinien bald nicht mehr benutzt werden können. Man wird darüber nachdenken müssen, die Stichtagsregelung in eine nachlaufende zu ändern oder sie abzuschaffen. Noch etwas hat sich als äußerst hinderlich herausgestellt. Die Strafbewehrung im Gesetz muss weg, sie hat sich überhaupt nicht bewährt.
Das Parlament: Warum nicht?
Ernst-Ludwig Winnacker: Sie hindert junge Forscher daran, überhaupt in dieses Gebiet zu gehen. Denn der Arm des deutschen Gesetzgebers reicht weit über die Grenzen Deutschlands hinaus. Die rechtliche Unsicherheit führt dazu, dass junge Leute letztlich nicht wissen, was sie dürfen. Dann bleiben sie lieber gleich diesem Bereich fern. Das verhindert die internationale Zusammenarbeit. Ich glaube, dass es auf diesem Felde zu einer Konsolidierung kommen wird. Man braucht nicht ständig neue Zelllinien. Es gibt in der Krebsforschung Zelllinien, die schon seit 50 Jahren benutzt werden. Man wird sich auch auf dem Stammzellgebiet weltweit auf einige Zelllinien einigen. Damit ist dann auch die Vergleichbarkeit gesichert. Es gibt unter Federführung Großbritanniens ein internationales Stammzellforum, bei dem wir mitarbeiten, soweit wir dürfen. Dort werden 60 Stammzelllinien optimiert, charakterisiert und standardisiert. Die werden immer wieder eingesetzt werden. Wir können leider nur beobachten, werden aber nicht richtig ernst genommen, weil wir nichts Neues beitragen können. Das merkt man bei den internationalen Debatten, und das muss sich ändern.
Das Parlament: Wie oft hören Sie Beschwerden von Forscherseite?
Ernst-Ludwig Winnacker: Die Stammzellgesetzgebung wird immer wieder angesprochen, gerade auch bei rückkehrwilligen Deutschen in den USA, die ihre Forschungsprojekte auch hier fortsetzen möchten.
Das Parlament: Wenn Sie die Stichtagsregelung abschaffen wollen, heißt das im Umkehrschluss, vom Gesetzgeber her gedacht, dass man das Embryonenschutzgesetz ändern muss?
Ernst-Ludwig Winnacker: Man müsste es schrittweise tun. Zunächst das Importgesetz ändern, dass man einen neuen Stichtag hat. Man würde keine neuen Zellen herstellen, aber sie importieren können. Das wäre schon mal was. Dann wären deutsche Wissenschaftler immer auf dem letzten Stand und könnten international vergleichbar arbeiten. Wir fordern nicht die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwe-cken. Es gibt genügend überzählige Embryonen auch bei uns im Land. Ob wir die in fünf Jahren überhaupt brauchen, ist unklar. Da muss man jetzt vielleicht nicht die Pferde scheu machen. Es geht zunächst darum, den Zugang der Wissenschaft zu ausländischen Zellen zu erleichtern.
Das Parlament: Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem Fall des koreanischen Klonforschers Hwang für Sie?
Ernst-Ludwig Winnacker: Der wollte zu früh in die therapeutische Anwendung gehen. Davon sind wir weit entfernt. Wissenschaft funktioniert anders. Man muss erst mal über die Grundlagen forschen können.
Das Parlament: Das heißt, Sie halten das Klonen zu Forschungszwecken, für das sich SPD- und die FDP-Politiker einsetzen, für verzichtbar?
Ernst-Ludwig Winnacker: Zurzeit ja. Man weiß noch nicht einmal im Maussystem, ob das etwas bringt. Weshalb sollte man dann schon an eine Übertragung auf den Menschen denken? Das Problem von Hwang und seinen Leuten war, auf Therapie zu setzen und damit bereits große Heilungserwartungen zu wecken. Diese Wissenschaftler hatten jeden Bezug zur Realität verloren.
Das Parlament: In die Grüne Gentechnik werden weltweit ebenso große Erwartungen gesteckt, wenn es um Ernährung und Insektenresistenz geht. Fördern Sie auch die Anwendung von Gentechnik bei Pflanzen?
Ernst-Ludwig Winnacker: Wir fördern nicht die Herstellung von neuen Sorten, sondern Grundlagenforschung - zum Beispiel wie Blätter und Blüten entstehen und sich Pflanzen entwickeln. Dabei wird dann überlegt, welche Technik man im Einzelfall braucht. Und dann werden diejenigen eingesetzt, die notwendig sind. Unter anderem selbstverständlich auch Gentechnik.
Das Parlament: Die geplante Umsetzung der Gentechnik-Richtlinie in Deutschland wird als nicht forschungsfreundlich genug kritisiert. Ist das auch Ihre Position?
Ernst-Ludwig Winnacker: Freisetzungsversuche müssen möglich sein, wenn dabei die Koexistenz von gentechnisch veränderten und nicht veränderten Pflanzen gewährleis-tet bleibt. Das ist der Rahmen, den die EU vorgegeben hat, um die Wahlfreiheit für den Verbraucher zu garantieren. Das wird auch gehen. Wenn es nicht ginge, dann würden sich auch bei der herkömmlichen Pflanzenzüchtung die Sorten ständig vermengen. Das ist aber nicht der Fall, wie jeder weiß. Es gibt bereits viele unterschiedliche Züchtungssorten. Aber man braucht die Freilandversuche, weil nicht alles im Gewächshaus erforscht werden kann.
Das Parlament: Was ist Ihnen dabei von Wissenschaftsseite wichtig?
Ernst-Ludwig Winnacker: Die Molekularbiologie an Pflanzen, also auch die Grüne Gentechnik, sollte in Deutschland weiterhin möglich sein, um wissenschaftliche Fragestellungen angehen zu können. Die Vorgaben des deutschen Gesetzgebers, so wie sie derzeit formuliert sind, lassen aber Forschung im Freiland kaum zu. Das muss man leider so sagen. Die bisher formulierte Haftungsregelung, also die verschuldens-unabhängige, gesamtschuldnerische Haftung, ist zweifellos ein Hemmschuh. Wenn man den Verursacher nicht genau herausfinden kann, der ein Feld eines Bauern "verunreinigt", dann haften alle in der Umgebung, die mit gentechnisch veränderten Pflanzen arbeiten. Diese Haftung kennt auch keine Obergrenze. Es gibt vermutlich keinen Verwaltungsleiter oder Kanzler einer Universität, der Forschungsvorhaben zulässt, wenn er nicht genau abschätzen kann, was da finanziell auf ihn zukommt. Es sollte einen Haftungsfonds geben wie in der Schweiz oder in Dänemark. Wir können uns auch vorstellen, dass die öffentliche Hand beteiligt wird, wenn es um von der öffentlichen Hand finanzierte Forschungsprojekte geht. Das hört sich sehr bürokratisch an, hat aber ernste Auswirkungen.
Das Parlament: Geht es nur um die Haftungsregelung?
Ernst-Ludwig Winnacker: Nein! Es gibt beispielsweise eine zentrale Zulassungsbehörde, die ZKBS, die in zwei Bereiche geteilt werden soll. Wir wären dagegen. In Labor- und Freilandversuche aufzuteilen, das ist eigentlich anachronistisch. In der Forschung unterscheidet man nicht zwischen Freiland und Labor. Wenn ein Experiment geplant wird, etwa wie sich ein bestimmter Stoffwechselweg in einer Pflanze verhält, werden die Untersuchungen sowohl im Gewächshaus als auch im Freiland gemacht. Das kann man nicht auseinander dividieren.
Das Parlament: Bisher zeigen Feldzerstörungen, dass es an öffentlicher Akzeptanz fehlt.
Ernst-Ludwig Winnacker Dieser Vandalismus ist sehr beklagenswert. Beispielsweise wurde beim Max-Planck-Institut in Potsdam ein solches Feld zerstört, das einen Wert von 250.000 Euro hatte, alles Steuergeld. Da stellt sich die Frage, ob man diese Flächen in einem öffentlichen Register angeben muss. Betroffene, Nachbarbauern müssen natürlich Zugang zu diesen Informationen haben. Aber darüber hinaus müsste es reichen zu sagen, dass in einem bestimmten Ort Freilandversuche stattfinden, ohne direkt den Schlag zu nennen.
Das Parlament: Ist es bei der Grünen Gentechnik aus Ihrer Sicht ebenso zwingend wie bei der Roten, als Land in der Forschung vertreten zu sein? Ginge es nicht auch ohne?
Ernst-Ludwig Winnacker: Hier geht es um die Einheit der Forschung. Außerdem findet die Debatte über Grüne Gentechnik vor dem Hintergrund statt, dass die jährliche Fläche, auf der weltweit gentechnisch veränderte Organismen angebaut werden, pro Jahr um 20 Prozent zunimmt. Also drei Mal die Fläche von der Größe der Bundesrepublik wird zurzeit so genutzt. Es gibt große Forschungsvorhaben dazu, ein EU-Programm "Plants for the Future". Deutschland muss da von der wissenschaftlichen Seite her mitmachen, das geht nicht anders. Mich erinnert die Debatte an die Diskussionen über die gentechnische Herstellung von Medikamenten in den 80er-Jahren. In zehn Jahren wird die Methode als solche keine Rolle mehr spielen. Man wird nur noch fragen, ob die neuen Sorten preisgünstig, gut und sicher, und nicht, ob sie gentechnisch oder genetisch verändert sind.
Das Parlament: Haben Sie dazu keine Kontroverse im Haus? Greenpeace und andere Umweltorganisationen befürchten, dass die Vermischung von beiden Anbautypen stattfindet, wenn die Haftungsregelung weniger streng ist.
Ernst-Ludwig Winnacker: Natürlich wird über diese Fragen intensiv diskutiert. Es gab dazu eine parlamentarische Anfrage an die rot-grüne Bundesregierung, welche Risiken zu benennen sind. Die Bundesregierung musste einräumen, dass es im Prinzip keine benennbaren Risiken gibt. Das würde ich von der gesundheitlichen Seite her so sehen. Von den Szenarien, die von der Kritiker-Seite entwickelt werden, ist nichts belegt, etwa dass beispielsweise gehäuft Allergien auftreten sollen.
Das Parlament: Sie waren Mitglied im Nationalen Ethikrat - was beobachten Sie zurzeit an der Ethik-Diskussion über Rote und Grüne Gentechnik? Findet die überhaupt statt?
Ernst-Ludwig Winnacker: Sie findet auf neuen Feldern statt. Ein heißes Thema ist die Frage der Gendiagnostik, das Recht auf Nichtwissen. Was dürfen Versicherungen über einen Menschen wissen? Es geht eher um individuelle Rechtsfragen. Darf sich jemand weigern, über seine individuelle genetische Dis-position Auskunft zu geben? Viele andere Themen liegen hinter uns. Für die Wissenschaft stehen die grundgesetzlich geschützte Menschenwürde und das Recht auf Leben im Vordergrund. Wir als DFG sind dabei, unsere Position zur Forschung an Stammzellen zu überarbeiten. Da müssen wir flexibler werden. Die Entwicklung ist reif dafür, in den nächsten Monaten an das Parlament heranzutreten. Wir haben eine neue Geschäftsgrundlage. Die Forschung ist weiter als 2001. Dem gilt es sich auch in Deutschland anzupassen.
Das Interview führte Corinna Emundts. Sie arbeitet als freie Politikkorrespondentin in Berlin.