In den mehrstündigen Debatten, die parallel in beiden Kammern verliefen, zeigte sich: Die als "Jahrhundertwerk" und "Mutter aller Reformen" im Vorfeld gepriesene Neujustierung des Bund-Länder-Verhältnisses ist noch längst nicht in trockenen Tüchern. Denn vor allem im Parlament wurde erheblicher Beratungsbedarf festgestellt. Die Hauptstreitpunkte waren Bildung, Umwelt, Dienstrecht und Strafvollzug.
Dabei hatten vor allem die Großkoalitionäre und die meisten Ministerpräsidenten Anfang vergangener Woche noch den Eindruck erweckt, die Modernisierung der bundestaatlichen Ordnung, wie das umstrittene Reformvorhaben offiziell genannt wird, sei so gut wie beschlossen. Am 6. März hatten die Bundesregierung, die Koalitionsfraktionen und 15 Ministerpräsidenten bereits grünes Licht für die Einbringung der Reform gegeben. Lediglich Mecklenburg-Vorpommern enthielt sich in der Sondersitzung der Ministerpräsidentenkonferenz der Stimme. Um wie geplant Anfang 2007 in Kraft treten zu können, muss die Reform in Bundestag und Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden. Noch in dieser Wahlperiode sollen in einem weiteren Schritt die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu geordnet werden.
Das Reformpaket sieht vor, dass die Zahl der Gesetze, die der Zustimmung der Länderkammer bedürfen, um rund ein Drittel reduziert werden soll. Statt derzeit 60 Prozent sollen künftig "nur" noch 30 bis 40 Prozent der Bundesgesetze zustimmungspflichtig sein. Damit sollen die Rechte des Bundestages gestärkt und die Gesetze schneller beschlossen werden. Gleichzeitig sollen die Verantwortlichkeiten beider Verfassungsorgane für die Bürger transparenter werden.
So soll der Bund ausschließlich zuständig sein für die Atomenergie, die Abwehr von Terrorgefahren, das Melde- und Ausweiswesen und den "Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland". Der Bund kann laut Entwurf künftig das Umweltrecht in einem Umweltgesetzbuch zusammenfassen. Allerdings dürfen die Länder ab 2010 in einigen Bereichen von den Bestimmungen abweichen. Im Gegenzug erhalten die Länder unter anderem die Zuständigkeiten im Besoldungs- und Versorgungsrecht für Landesbeamte, für den Strafvollzug, das Versammlungsrecht und vor allem in der Bildungspolitik, aus der sich der Bund weitgehend zurückziehen will. Einzige Ausnahme ist hier eine neue Bundeskompetenz zur Regelung der Hochschulzulassung und der Hochschulabschlüsse, von der die Länder allerdings abweichen können. Die bisherige Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau entfällt. Die bislang vom Bund aufgebrachten Mittel werden zu 70 Prozent auf die Länder übertragen, die restlichen 30 Prozent gibt der Bund künftig für "überregionale Fördermaßnahmen im Hochschulbereich" aus. Besonders umstritten ist, dass der Bund Bildung künftig nicht mehr finanziell fördern darf.
Die Warnungen der Landesfürsten zu Beginn der vergangenen Woche, man solle das Paket nicht mehr aufschnüren, sonst platze der sorgfältig ausgehandelte Kompromiss, riefen Kritiker vor allem aus den Reihen der SPD-Fraktion auf den Plan. Das parlamentarische Verfahren dürfe nicht nach dem Motto "friss Vogel oder stirb" ablaufen, so Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse. Im Verlauf der Woche spitzte sich die Auseinandersetzung zu. Hintergrund für das Tauziehen vor der ersten Lesung war das Verfahren für die weiteren Beratungen. Die Koalitionsfraktionen setzten mit ihrer Mehrheit durch, dass die Federführung allein beim Rechtsausschuss liegen wird, da dieser für Verfassungsfragen zuständig sei. Damit verhinderten sie die Wünsche der Opposition, Anhörungen in den Fachausschüssen anzusetzen. Stattdessen soll im Mai eine einzige, allerdings mehrtägige Anhörung von Bundestag und Bundesrat (ein Novum in der Geschichte) stattfinden. Die Opposition sah darin ihre Rechte als Minderheit beschnitten (siehe auch Seite 3). Die Zustimmung bröckelte vor allem bei den SPD-Abgeordneten, auf deren Stimmen - bei der Union steht bislang die "Front" - die Koalition angewiesen ist. Höchs-tens 38 "Abweichler" kann sie sich bei der Abstimmung im Bundestag leisten.
Kein Wunder, dass sich vor allem Peter Struck als Fraktionsvorsitzender der SPD in der Bundestagsdebatte bemühte, die Wogen zu glätten. Das Ergebnis des parlamentarischen Verfahrens sei ergebnisoffen, sicherte er den Kritikern zu. Falls notwendig, werde es "auch Änderungen im Gesetzestext" geben. Unionsfraktionschef Volker Kauder konzentrierte sich mehr auf die Verteidigung des Vorhabens. Ohne diese Reform könne Deutschland im globalen Wettbewerb nicht bestehen. Übereinstimmend mit Struck sagte er, durch die klarere Aufgabenteilung überwinde Deutschland seine Selbstblockade in der Gesetzgebung. Davon profitierten alle. Die Anhörung werde keine Schaufensterveranstaltung werden, so Kauder. Ähnlich CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer: Ein Feinschliff im Parlament könne die Reform zu einem "Brillanten" machen.
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast kritisierte die Pläne als "Stümperwerk". Gerade in der Bildung könne sich Deutschland keine Kleinstaaterei leisten. Bodo Ramelow, Fraktionsvize der Linkspartei, bezeichnete die Pläne als "Rolle rückwärts in die feudale Länderstruktur" und sprach sich gegen einen Wettbewerbsföderalismus aus. Dagegen signalisierte Guido Westerwelle für die FDP prinzipielle Zustimmung, knüpfte sie aber an Bedingungen. So müsse der Bund-Länder-Finanzausgleich bis Jahresende neu geordnet werden. Das Gelingen der Reform hängt von der Zustimmung der Liberalen im Bundesrat ab. Dort stieß sie trotz Kritik an Details grundsätzlich auf breite Zustimmung. In ungewohnter Allianz warben Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) - neben Franz Müntefering (SPD) der Hauptarchitekt der Reform - und der Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) um Zustimmung. Dagegen sagte der Regierungschef von Mecklenburg-Vorpommern, Harald Ringstorff (SPD), das vorliegende Paket könne "noch nicht das letzte Wort sein".
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