Richard Hilmer und Rita Müller-Hilmer verorten dieses Ergebnis nicht als Absage an Reformen, sondern als Aufforderung an die Politik, an einer solidarisch ausgerichteten Gesellschaft festzuhalten und in wichtigen innen- wie außenpolitischen Fragen Kontinuität zu wahren. Insofern standen auch (wieder), so die Autoren, eindeutig Sachthemen und nicht Personen im Vordergrund.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur vorzeitgen Bundestagsauflösung und Neuwahl kommentiert Florian Edinger und mahnt, dass die "auflösungsgerichtete" Vertrauensfrage des Kanzlers keinesfalls zum taktischen Instrument der "politischen Inszenierung" fiktiver Vertrauensverluste faktischer Mehrheitskanzler werden darf.
Er sieht kaum noch Bedarf für ein Selbstauflösungsrecht des Bundestages und wird darin von Karlheinz Niclauß unterstützt, der noch weiter ausholt und die Verfassungsberatungen des Parlamentarischen Rates zu dieser Frage sowie die Pro- und Kontra-Argumente der gegenwärtigen Debatte in einer beeindruckenden Analyse Revue passieren lässt. Der in Bonn lehrende Autor schlägt vor, durch einen neuen Artikel 68a im Grundgesetz den Bundeskanzler zu ermächtigen, die Frage nach der Auflösung des Bundestages unmittelbar zu stellen.
Zwei Landtagswahlen hatten den Boden für die Neuwahl des Bundestages bereitet. Thomas Saretzki und Ralf Tils analysieren, wie auch in Schleswig-Holstein nicht aktiv für einen Wechsel votiert wurde; vielmehr bescherten die Wähler dem Landtag im Februar 2005 ein Patt. Nolens volens schlossen CDU und SPD in Kiel eine große Koalition unter christdemokratischer Führung - im Rückblick ein Signal für die Bundespolitik.
In Nordrhein-Westfalen konnte sich die letzte rot-grüne Landeskoalition dem Trend massiver Kritik an der Bundesregierung nicht mehr entgegenstemmen. Ursula Feist und Hans-Jürgen Hoffmann zeigen - die Annahme wachsender Personalisierung einmal mehr widerlegend -, dass nicht die Popularitätswerte des Regierungschefs und seines Herausforderers, sondern sachpolitische Kompetenzzuweisungen an die Parteien ausschlaggebend für den Sieg der CDU waren.
Wahlsystemfragen sind Fragen demokratischer Gleichheit und Gerechtigkeit. Paul Tiefenbach erörtert die kontroversen Positionen zum Kumulieren und Panaschieren und berichtet über bisherige Erfahrungen in der Bundesrepublik. Ein höchst polarisierendes Thema nimmt sich Bettina Westle vor: das "Wahlrecht von Geburt an". Sie resümiert den rechtlichen und politischen Sachstand und zeigt, welche Verirrungen, gar Entgleisungen in der öffentlichen Diskussion vorgekommen sind.
Karl Schmitt untersucht einen "Glücksfall für die Demokratieneugründung" in der ehemaligen DDR. Er beleuchtet, wie die beiden Kirchen dort - nicht nur beim Systemumbruch, sondern bis heute Wirkung zeigend - zum Rekrutierungsreservoir für qualifiziertes politisches Personal wurden. Einen weiteren Baustein zur Parlamentssoziologie tragen Heinrich Best und Stefan Jahr bei. Auf Grundlage von Karrierestruktur- und Befragungsdaten deutscher Parlamentarier kommen sie zu dem Schluss, dass Politiker eine "prekäre Beschäftigung", also keine Profession im berufssoziologischen Sinne ausüben. Dennoch erwarten Bürger von ihren politischen Repräsentanten Professionalität. Brigitte Geißel erhellt diesen fraglichen Konnex mit empirischen Daten von der kommunalen Ebene.
Es stellt sich damit einmal mehr die grundsätzliche Frage nach dem Zusammenhang zwischen den objektiven Kriterien von Professionalität und der vom Bürger geschätzten Performanz seiner Politiker. Wie erklärt sich die Wertschätzung politischer Leistungsfähigkeit bei gleichzeitigem Misstrauen, sogar Geringschätzung politischer Professionalität? Offenkundig bleibt der Parlamentswissenschaft noch reichlich theoretischer und methodologischer Klärungsbedarf gegenüber landläufigen, weil scheinbar evidenten Aussagen zur Politik- und Politikerverdrossenheit.
Deutsche Vereinigung für Parlamentsfragen
Zeitschrift für Parlamentsfragen 1/2006.
VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006; 250 S.,
Einzelheft: 14,- Euro, Jahresabonnement (4 Hefte) 40,-
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