In den nächsten beiden Jahren werden 521 Lehrerstellen nicht wieder besetzt, auch wenn sie nicht aus dem Personalplan eliminiert werden. Semantisch finessenreich unterscheidet Rau zwischen Stellenstreichung und Nichtbesetzung, um so dem von SPD und Grünen erhobenen Vorwurf des Wahlbetrugs zu begegnen. Doch wie auch immer: Es wird in den Schulen 521 Pädagogen weniger geben.
Vor den Landtagswahlen im Frühjahr war Günther Oettinger mit einem echten Wahlkampfknüller durch Schwaben und Baden gezogen, der vor allem der SPD viel Wind aus den Segeln nahm: Trotz absehbar sinkender Schülerzahlen und trotz einer harten Rotstiftpolitik angesichts des gewaltigen Schuldenbergs im Etat würden in Baden-Württemberg keine Lehrerstellen gestrichen, verkündete der CDU-Ministerpräsident. Im Regierungsprogramm der Union hieß es, rechnerisch frei werdende Lehrerstellen würden für die Förderung der frühkindlichen Bildung, für den Ausbau von Ganztagsschulen und für eine bessere Qualitätssicherung benötigt. Tja, die reichen Schwaben haben trotz allem immer noch Geld, mag man in den unter Sparzwängen stöhnenden Kultusressorts anderer Bundesländer sinniert haben. Oettinger aber wollte sich im Wahlkampf bildungspolitisch profilieren und den Ruf des von ihm proklamierten "Kinderlands" Baden-Württemberg untermauern.
Ein halbes Jahr später schaut die Welt etwas anders aus. Die Schülerzahlen werden noch stärker als bisher angenommen zurückgehen, und der massive Spardruck macht auch um Raus Ministerium keinen Bogen. 2007 und 2008 will Finanzminister Gerhard Stratthaus die Ausgaben im Haushalt um drei Milliarden Euro kürzen. Da rückt ein gewisses Wahlversprechen ein wenig in den Hintergrund. Der Verzicht auf die Beschäftigung von 521 Pädagogen beschert Rau in den nächsten beiden Jahren Einsparungen in Höhe von rund 50 Millionen Euro. Wie aber diesen Einschnitt mit den Wahlzusagen in Einklang bringen? Eben so: Die 521 Posten werden ja nicht aus dem Personalplan getilgt, sondern halt nicht besetzt. Rau präsentiert dies sogar als Erfolg: Stellen, die gestrichen würden, seien für alle Zeiten weg. Beruhigend meint der Ressortchef, die Unterrichtsversorgung bleibe "stabil auf einem guten Niveau". Zudem seien die Mittel für Programme wie den Ausbau der Ganztagsschulen oder den Start des Projekts "Schulreifes Kind" gesichert.
Die empörte Opposition sieht das natürlich ganz anders. "Der Wahlbetrug ist nun amtlich", kritisiert Ute Vogt. Die SPD-Fraktionsvorsitzende spricht von einem "Skandal" und prangert das "Herumlavieren des Kultusministers" an. Fakt sei, dass die 521 Lehrerstellen den Schulen nicht mehr zur Verfügung stünden. Oettingers Kinderland sei "abgebrannt". Einen "klaren Bruch des Wahlversprechens" attackiert auch die grüne Schulpolitikerin Renate Rastätter: "Lehrerstellen auf dem Papier nützen Eltern und Schülern nichts". Oettinger und Rau seien "bereits zu Beginn der Legislaturperiode auf dem besten Weg, ihre bildungspolitische Glaubwürdigkeit zu verspielen". Vogt beklagt, dass Qualitätsverbesserungen an den Schulen nun in weite Ferne gerückt seien. Speziell bei den Ausgaben für die Grundschulen liege Baden-Württemberg weit unter dem Bundesschnitt, so die SPD-Oppositionsführerin.
Die GEW ruft derweil Lehrer und Eltern zu Protestaktionen gegen das Vorgehen der CDU-Regierung auf. Keine Lehrerstelle sei verzichtbar, betont Rainer Dahlem. So komme bislang nur jeder zehnte Grundschüler in den Genuss einer Förderstunde, mahnt der GEW-Landesvorsitzende, und an den beruflichen Schulen fielen fünf Prozent des Unterrichts aus.