Schon der Titel "Der nächste Präsident bin ich!" ist ein hingeworfener Fehdehandschuh: Das unter dem Pseudonym Catherine Médicis geschriebene Buch sorgte bei seinem Erscheinen vor einem Jahr in Frankreich für heftige Spekulationen, wer der Herausforderer oder die Herausfordererin sein könnte. Abtrünnige oder einfach enttäuschte Sozialisten? Ein lange in der Versenkung verschwundener Vertreter der bürgerlichen Parteien, vielleicht gar Alain Juppé? Oder ein über dem Links-Rechts-Schema stehender Populist? Die Teilnehmer eines französischen Internetforums zur Präsidentenwahl waren gar noch fantasievoller: Sie schlugen den Satiriker Dieudonné, den Autor André Bercoff, den Politiker, Schauspieler und Unternehmer Bernard Tapie und die ehemalige EU-Kommissarin Edith Cresson vor.
Der Autor oder die Autorin selbst gibt "taktische Gründe" für die Geheimnistuerei an und will sich am 5. Januar 2007 zu erkennen geben. Aber es ist auch ein symbolisches Datum: Die historische Catherine Médicis starb am 5. Januar 1589.
Zwar bemühte sich die Regentin Katharina von Medici, hinter deren französischer Namensversion sich der Autor oder die Autorin versteckt, jahrelang um Versöhnung zwischen Protestanten und Katholiken. Dennoch wird ihr Name in erster Linie mit dem von ihr ausgelösten blutigen Gemetzel an tausenden Hugenotten in der Bartholomäusnacht im August 1572 in Verbindung gebracht. "Wir wollen sie bluten sehen. Zerissen. (…) Wir wollen, dass Sarkozy und de Villepin durch den mehrere Monate andauernden Kampf ausgemergelt sind und auf der Matte liegen bleiben", schreibt Médicis über Frankreichs Innenminister und den Premier und will damit möglicherweise auf die Blutnacht der Medici anspielen. Glücklicherweise sind diese Sätze ein rhetorischer Ausnahmefall von Aggressivität im Buch.
Es finden sich zwar noch etliche hämische persönliche Attacken - zum Teil auch unter die Gürtellinie - auf diverse prominente Politiker des bürgerlichen und sozialistischen Lagers. Der größere Teil des Werkes beschäftigt sich jedoch mit einer Analyse der aktuellen Politik in Frankreich, die zwar oft mit Zynismus gewürzt ist, aber nicht völlig zum Pamphlet verkommt.
An der politischen Spitze Frankreichs sieht Médicis "monarchistische Geister", denen die Versorgung ihrer Klientel und die Sicherung ihrer Macht wichtiger ist, als das Angehen dringend zu lösender gesellschaftlicher Probleme. Hinter vorgehaltener Hand wüssten die Regierenden durchaus, wo das Land der Schuh drücke, doch "gefangen in ihren Zwängen, Parteiinteressen, unnatürlichen oder geheimen Allianzen" trauten sie sich nicht, das öffentlich anzusprechen. Einen Mangel an Mut, zu Überzeugungen zu stehen und unbequeme Entscheidungen zu fällen, konstatiert der anonyme Buchautor.
Kein gutes Haar lässt die Streitschrift auch an den großen Unternehmen. Sie hätten die Regel des Kapitalismus à la française verinnerlicht; Verluste zu verstaatlichen und Gewinne zu privatisieren. Die Opfer seien die Arbeitnehmer, die wie "unnützes Stück Abfall behandelt und einfach weggeworfen" würden. Die Journalisten "kitzelten" die Politiker nur noch, statt grundlegende Fragen nach solchen Missständen zu stellen. Deswegen seien die Politiker zwar ständig in den Medien präsent, die Zuschauer jedoch keineswegs besser informiert. In der Bevölkerung habe sich Resignation und ein "Gefühl behaglicher Ohnmacht" breit gemacht. Die Bürger hätten zwar nicht die Nase voll von der Politik, aber von den Politikern.
Die "monarchistischen Geister" vertreiben und "die Bewohner des Hauses Frankreich in Bewegung versetzen", will nun Médicis. "Die Zeit des autistischen Regierens muss vorbei sein." Zunächst müsste Frankreich schonungslos alle Bücher offen legen. In allen Bereichen solle Bilanz gezogen werden, alle Zahlen allen Bürgern vorgeführt werden, um den Franzosen klarzumachen, "dass man nicht alles und das Gegenteil von allem haben kann". Was einer solchen Bilanz an Lösungen folgen müsste, wird nur angedeutet. Ein Wahlprogramm will Médicis noch folgen lassen. Eine gewisse Faszination für die skandinavischen Politikmodelle mit relativ hohen Steuern, einer Mischung aus intensiver Hilfe und Sanktionen für Arbeitslose und gelockertem Kündigungsschutz ist spürbar. Es sei heute aberwitzig, noch zu glauben, dass Liberale ginge ohne das Soziale oder umgekehrt, schreibt Médicis. So richtig einordnen lässt sich Médicis aber nicht. Der Leser weiß bloß, dass er oder sie aus der Politik kommt. Denkt man beim Lesen gerade, die politische Ecke sei ausgemacht, kommt eine Spur zu viel Populismus, Nationalismus, Sozialismus oder Liberalismus ins Spiel und das Profil verschwimmt wieder.
Einen Wunsch macht der Präsidentschaftsanwärter jedoch klar: Die Reformer der großen Parteien sollten zusammen dem Konservatismus entgegentreten, um einen "echten Wandel" zu ermöglichen. "Achtbare Menschen", die angesichts der erschlaffenden Willenskraft des Landes nicht mehr nur Zuschauer sein wollten, hätten ihn zur Kandidatur aufgefordert. Auf die Enthüllung am 5. Januar darf man gespannt sein.
Catherine Médicis: Der nächste Präsident bin ich! Eine Abrechnung mit der französischen Politik. Aus dem Französischen von Alexander Drechsel. Militzke-Verlag, Leipzig 2006; 288 S., 19,90 Euro.