Wahr oder falsch? Die Europäische Kommission schafft neue Arbeitsplätze für die Kleinsten: 100 Kinder unter 51 Monaten sollen im Rahmen eines EU-Testverfahrens Einwegfeuerzeuge ausprobieren, um zu prüfen, ob diese auch kindersicher sind. Der Stühlchenabstand zwischen den jungen EU-Bürgern soll beim Testverfahren jedoch mindestens 15 Zentimeter voneinander betragen, so der europäische Rechtstext.
Die Verordnung über kindersichere Feuerzeuge, die jüngst vom Bundesrat gekippt wurde, entspricht der Wahrheit, auch wenn sie sich eher nach einem Aprilscherz anhört. An diesem Beispiel hätte Harald Greib sicherlich seine helle Freude gehabt. Denn auch sein Roman "Berlin, mit der Bitte um Weisung" beginnt mit einem Aprilscherz. Kurz vor Beginn der deutschen Präsidentschaft schlägt der deutsche Beamte Thomas Menzel am 1. April in einem Anfall von Übermut die Einrichtung einer "Beobachtungsstelle für die Effizienz der Europäischen Polizeizusammenarbeit vor". Doch Humor ist bekanntlich eine äußerst schwierige Angelegenheit, vor allem auf dem internationalen Parkett. So nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Mit minutiöser Detailkenntnis beschreibt Greib, wie aus einem kleinen, nationalen Spaß großer, europäischer Ernst wird. Nicht zuletzt durch die Initiative seines französischen Beamtenkollegen Thierry Delarue, einem geklont wirkenden Produkt des französischen Bildungswesens, wird der Vorschlag zum Meilenstein der deutsch-französischen Zusammenarbeit erklärt. Jetzt ist der Irrweg des immer dicker werdenden Papiers durch die Mühlen der deutschen und der europäischen Bürokratie nicht mehr aufzuhalten.
Mit bitterer Ironie beschreibt Greib die Eigendynamik des europäischen Systems, das sich wohl aber auch in anderen Verwaltungen und Beamtenapparaten lässt. Einer Welt, in der nicht immer nach der Sinnhaftigkeit gefragt, sondern oftmals aus Angst oder nach persönlichen Macht- oder Karriereinteressen entschieden und gehandelt wird - einer Welt, in der hochbezahlte Beamte nur zu gerne eines abgeben möchten: die eigene Verantwortung.
Dem Roman ist deutlich anzumerken, dass der Autor selbst einmal ein Rädchen dieses Systems war. Zehn Jahre hat Greib als Referent im Bundesinnenministerium, als Mitarbeiter der Ständigen Vertretung bei der EU und als Austauschbeamter im französischen Innenministerium gearbeitet. Großartig gibt er beispielsweise wieder, welche geistigen Höhenflüge nötig sind, um aus einer dreizeiligen E-Mail ein korrektes, zweiseitiges Schreiben mit Bezug, Betreff und unverständlichen Formulierungen - aber bitte in der richtigen Schriftgröße - zu machen. Und der Leser durchleidet mit ihm auf amüsante Weise stundenlange Sitzungen und Besprechungsrunden, in denen das europäische Rad täglich neu erfunden wird. Dabei kennt der europäische Beamte fast keinen Feierabend. Nach Büroschluss, weiß Greib in der parallel erzählten Beziehungsgeschichte zu berichten, geht es heiter weiter: Feste bei Landesvertretungen, Lobbyveranstaltungen oder Vernissagen, auf denen nicht nur junge Praktikanten und Praktikantinnen versuchen, ihr ganz persönliches Glück zu finden.
Nach diesem ungeschminkten Einblick in das "europäische Panoptikum" erstaunt es den Leser nicht, dass der Autor heute in einem kleinen Dorf in Frankreich lebt. Von dort aus klagt er via Internet, dass "Europa zu einem reinen Wirtschaftsprojekt verkommen ist".
Die Tatsache, dass Greib mit seinem Buch offenbar nachtäglich mit Europa abrechnen will, schmälert nachträglich ein wenig den Genuss der gelungenen Persiflage ein wenig. Denn dieses Europa hätte nach der Lektüre vor allem eines bitter nötig: Beamte mit Herz, Menschenverstand und viel Humor.
Harald Greib: Berlin, mit der Bitte um Weisung. Roman. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2006; 270 S., 22 Euro.