Es ist bereits eine Art Ritual geworden. Zum zwölften Mal in Folge hat sich der Europäische Rechnungshof geweigert, die Haushaltsführung der EU-Kommission abzusegnen. Vor allem Beihilfen der Union für Landwirte und schwache ländliche Regionen seien wie auch im Vorjahr schlampig oder fehlerhaft abgerechnet worden, erklärte der Präsident des Europäischen Rechnungshofes Hubert Weber bei der Vorstellung des Berichts am 24. Oktober in Brüssel.
Bereits vor der Veröffentlichung des aktuellen Berichtes ging die Kommission zum Gegenangriff über und kritisierte, der Rechnungshof arbeite mit einem unseriösen System. Zwar erklärte die Prüfbehörde den knapp 105 Milliarden Euro schweren EU-Haushalt des vergangenen Jahres als insgesamt zuverlässig, einzelne Vorgänge darin sind jedoch nach Meinung der Rechnungprüfer fehlerhaft bis betrügerisch abgewickelt worden. Bis zu zwei Drittel des Budgets sind laut Prüfbericht von Unregelmäßigkeiten betroffen. Nicht korrekte Unterlagen, fehlende Dokumente und eventuelle Betrugsfälle seien beim Abrechnen der EU-Gelder für ärmere Regionen gefunden worden. Zudem hätten Landwirte, lokale Behörden und Projektmanager überzogene Forderungen nach Brüssel geschickt.
Die Mitgliedstaaten selbst hätten jedoch nur schlampig kontrolliert. Auch die EU-Kommission habe in etlichen Fällen gepatzt. Lediglich die Angaben zu den EU-Einnahmen, die Mittelbindungen, Verwaltungsausgaben und die meisten Beihilfen für die EU-Beitrittsländer wurden als korrekt bewertet.
Bereits seit der ersten Prüfung 1994 hat der Rechnungshof den Brüsseler Finanzverwaltern eine schlampige Buchführung vorgeworfen. Milliardenbeiträge versickerten im Dickicht aus Bürokratie und Betrug, lautete stets das Urteil. Konkrete Zahlen nannte Rechnungshof-Präsident Hubert Weber bei der Vorstellung des Berichts im Europäischen Parlament jedoch nicht. Dies sei schwierig, da die meisten Fehler beim Auszahlen der EU-Gelder durch die Mitgliedstaaten gemacht worden seien.
Der Bericht wird jetzt dem EU-Parlament und den Finanzministern vorgestellt. Er dient als Basis für die Entlastung der Kommission, die spätestens im April 2007 vorliegen muss. Folgen hatte das negative Urteil der Prüfer jedoch bisher erst ein Mal: 1999 gaben auch die EU-Parlamentarier der EU-Haushaltsführung kein grünes Licht, was zum Sturz der Kommission unter Jacques Santer führte. Für die seit Ende 2004 amtierende Kommission von Präsident José Manuel Barroso ist der Haushalt 2005 der erste, den sie voll verantworten muss. Gegen die Vorwürfe des Rechnungshofes wehrte sie sich daher vehement.
"In Einzelfällen lassen sich immer Fehler finden", kritisierte EU-Verwaltungs- und Betrugsbekämpfungskommissar Siim Kallas die auf Stichproben basierende Arbeitsweise des Rechnungshofes. Die Prüfer hätten lediglich in den von ihnen untersuchten Fällen Fehler gefunden und rechneten diese auf das gesamte Budget hoch. Nur wenige hundert von mehreren Millionen Transaktionen seien unter die Lupe genommen worden. Zudem hätten verspätete Zahlungen oder unvollständige Belege keine Auswirkungen auf den EU-Haushalt, würden aber so bewertet, so Kallas.
Der Schwarze Peter liege aber vor allem bei den für das Auszahlen von 75 Prozent der EU-Subventionen zuständigen Mitgliedstaaten, argumentierte der Kommissar. Die Länder wiederum ließen sich vom Rechnungshof nicht in die Karten gucken. Kallas verwies auch darauf, dass die Kommission im Vorjahr mehr als 2 Milliarden Euro an unrechtmäßig erhaltenen Zuschüssen von den EU-Ländern wieder eingetrieben habe. Diese Rückflüsse kann der Rechnungshof in seinen Jahresbericht jedoch nicht aufnehmen, denn der ist vorher fertig. Das Rechnungsjahr 2005 war auch das erste volle Haushaltsjahr für die im Mai 2004 um zehn Länder erweiterte EU. Die Kontrolle in den neuen Mitgliedstaaten sei zwar eine große Herausforderung, sagte Rechnungshof-Chef Weber, dennoch hätten die zu beanstandenden Stellen im EU-Haushalt seit dem Großbeitritt nicht zugenommen. Das Ganze entwickele sich allmählich zu einem "peinlichen Trauerspiel" kommentierte EU-Parlamentarierin Ingeborg Gräßle die Befunde der Prüfbehörde. Herbert Bösch, österreichischer Sozialdemokrat und Vorsitzender des Haushaltskontrollausschusses sagte, die Kommission solle sich "nicht in Schutzbehauptungen flüchten". Und sein christdemokratischer Ausschusskollege Daniel Caspary forderte ein "härteres Auftreten gegenüber den Mitgliedstaaten", damit diese mehr als bisher ungerechtfertigt ausgezahlte Gelder auch wieder eintreiben. Seine Kollegin Ingeborg Gräßle forderte stärkere Bemühungen bei der Rückforderung unrechtmäßig gezahlter Gelder und kritisierte: "Die Sanktionen der EU sind ein Witz."