Normalerweise macht man Bilder in glücklichen, schönen Momenten - wenn jemand Geburtstag feiert, im Urlaub, bei Hochzeiten. Doch Elisa Dietrich hat auch die traurigsten Momente des Lebens fotografiert: die Krankheit und das Sterben ihrer Schwester Valeska. Wo andere lieber wegschauen, hat sie ganz genau hingesehen und ihre Eindrücke festgehalten: Valeskas schmaler, bleicher Fuß, in dem eine Kanüle steckt. Eine Blutkonserve, auf der ihr Name steht. Der Vater, der am Bett sitzt und Valeskas Hand hält. Ihr von der Chemotherapie gezeichnetes Gesicht. Und schließlich: der Sarg.
Insgesamt rund 500 Bilder sind so entstanden. Berührend intensive Fotos, die Valeskas Kampf und ihre Niederlage gegen die Fanconi-Anämie zeigen, eine seltene, lebensbedrohliche Form des Knochenmarkversagens. Sechs der Aufnahmen hat Elisa im März beim Deutschen Jugendfotopreis eingereicht. Kürzlich wurde sie zur Siegerin in ihrer Altersklasse gekürt.
"Valeska war gerade zwei Monate tot - und ich voller Schmerz", erzählt die 23-Jährige. "Ich dachte damals nur: Ich will nicht, dass Valeska vergessen wird! Es kann doch nicht sein, dass wir das alles ertragen haben und niemand weiß davon." Elisa spricht langsam, denkt nach, bevor sie antwortet. Ihre Stimme klingt belegt, erschöpft. Sie berichtet von Valeskas Krankheit, erzählt, wie ihre Schwester dagegen kämpfte und doch starb. Und warum sie Valeskas Leiden mit Bildern dokumentierte. "Wenn man weiß, dass die Zeit knapp ist, dann will man so viele Momente wie möglich festhalten", sagt sie. "Fotografieren bedeutet für mich, sich erinnern zu können."
Die Fragen nach Valeska, der Krankheit, schließlich ihrem Tod strengen Elisa an, wühlen auf, treiben immer wieder Tränen in ihre Augen. "Ich habe mich schon gar nicht mehr geschminkt", sagt sie und versucht sofort wieder zu lächeln. Die Erinnerung an Valeska schmerzt. Aber Elisa möchte es nicht anders. "Ich will mich nicht wegducken", sagt sie. Die Einsendung der Bilder sei ihr Weg zu sagen: Seht her! Das ist passiert!
Die Geschichte der Familie Dietrich aus dem kleinen Ort Unna-Siddinghausen, am südöstlichen Rand des Ruhrgebietes gelegen, ist die Geschichte eines Kampfes gegen einen unsichtbaren, zunächst unbekannten Feind: die Fanconi-Anämie. Ein Gendefekt, den der Schweizer Arzt Guido Fanconi 1927 erstmals entdeckte. Er äußert sich nicht immer gleich: Manchmal in Kleinwuchs, Fehlbildungen der Daumen, Arme und Nieren, Herzfehlern oder auch in Hautverfärbungen. Gravierender jedoch ist, dass sich bei der Mehrzahl der Betroffenen schon im Kindesalter das Knochenmark zurückbildet. Die Blutwerte sinken. Schwächeanfälle, Blutungen und Infekte häufen sich. Am schlimmsten ist aber der Krebs. Zehn bis 20 Prozent der Betroffenen erkranken an Leukämie. Auch andere Formen von Krebs sind wahrscheinlich, je älter ein Patient wird. Doch trotz Fanconis Beschreibungen erkennen manche Ärzte die Krankheit nicht sofort und stellen Fehldiagnosen. Sie wissen zu wenig darüber, so selten ist diese Anämie. Die Eltern der Betroffenen zeigen keine Symptome - und nur wenn beide Eltern das defekte Gen in sich tragen, können sie es vererben. Bei den Dietrichs wurde die Krankheit bei zwei von drei Töchtern diagnostiziert: Die älteste, Ninja, war sieben, die jüngste, Valeska, zwei Jahre alt. Nur bei Elisa wurde der Gendefekt nicht festgestellt, sie ist gesund. Doch auch sie lebt mit der Krankheit. Denn seit fast 20 Jahren bestimmt der Kampf gegen die Fanconi-Anämie den Alltag der Familie: Die Dietrichs gründeten eine Selbsthilfegruppe, vernetzten sich mit anderen Betroffenen, gingen sogar mehrfach in die Öffentlichkeit und sammelten Spenden, damit die nahezu unbekannte Erbkrankheit besser erforscht werden kann.
Die beiden Schwestern bekamen viele Medikamente, die ältere, Ninja, mehr als 700 Bluttransfusionen. Vergeblich: Ninja starb 2001, im Alter von 21 Jahren. Als die Ärzte bei Valeska im vergangenen Frühjahr Leukämie feststellten, entschied sich die 20-Jährige für eine Knochenmarktransplantation. Ein Eingriff mit Risiko, das die ältere Schwester Ninja damals nicht mehr hatte eingehen wollen. Etwa die Hälfte der Patienten überlebt die Transplantation nicht. Gelingt sie aber, bietet sie die Chance auf weitere zehn, vielleicht sogar 20 Jahre Leben. Ohne sie droht der Tod in wenigen Monaten. Valeska wollte leben und sagte ja. Auch dazu, dass Elisa ihren Krankenhausaufenthalt mit der Kamera begleitete.
"Wir haben schon Ninja sterben sehen", sagt Elisa, "deshalb wollte ich bei Valeska alles mitnehmen, soviel wie möglich dokumentieren." Dass ihre Fotos letztlich eine Dokumentation des Sterbens wurde, war nicht geplant. Eher sollte es die eines erfolgreichen Kampfes werden. Valeska war wild entschlossen zu überleben. "Doch ich wusste, dass es schief gehen könnte", sagt Elisa. Und auch deshalb nahm sie ihre Kamera mit ins Krankenhaus, fotografierte Valeska, wie sie lachte oder Pläne schmiedete. Als sie schließlich ins Koma gelegt wurde, machte Elisa einfach weiter: "Während ich sie wusch, ihr vorlas oder erzählte, was über den Tag passiert ist, habe ich immer wieder zum Fotoapparat gegriffen und auf den Auslöser gedrückt", erzählt sie.
Unbewusst wurde die Kamera in dieser schweren Zeit zu einem Schutzschild: "Das Geschehen durch das Objektiv zu betrachten, hat mich ein Stück weit wegrücken lassen", sagt Elisa, "zwischen mir und der Situation war noch die Kamera". Das habe ihr Halt gegeben: "Ich habe manchmal mehr über einen bestimmten Bildausschnitt nachgedacht, als über die Situation, in der ich mich befinde: Dass ich nämlich vor meiner kleinen Schwester stehe, die im Koma liegt - und nichts dagegen tun kann." Doch oft ist Elisa zu berührt, um Fotos zu machen. Als Valeska am 27. Dezember 2005 stirbt, ist die Kamera nicht dabei. Wohl aber, als sie vor der Beisetzung aufgebahrt wird. Zwei Aufnahmen ihrer mit dem Deutschen Jugendfotopreis ausgezeichneten Bilderserie zeigen Valeska in ihrem Sarg. Sehr nah, sehr persönlich sind die, aber niemals voyeuristisch oder entblößend.
"Ich fotografiere den Tod nicht, um zu schockieren", sagt Elisa, "ich will ihn normalisieren." Der Tod gehöre zum Leben dazu, dennoch werde er in der Gesellschaft so häufig tabuisiert. Wie einige Bekannte auf den Tod der Schwester reagiert haben, hat sie erschreckt: "Manche halten sich die Augen zu, um den Toten nicht zu sehen, sie wollen am liebsten nichts hören, nichts damit zu tun haben", erinnert sich Elisa. "Der Tod ist furchtbar, sagen sie. Aber das stimmt nicht. Der Tod ist nicht furchtbar - und das sollen meine Bilder zeigen."