Nach der serbischen Parlamentswahl vom 21. Januar haben in
Belgrad Koalitionsgespräche begonnen, deren ungewisser Ausgang
an die Zeit nach der vorigen Abstimmung vom Dezember 2003 erinnert.
Damals führten erst langwierige Verhandlungen zur Bildung der
Minderheitsregierung von Ministerpräsident Kostunica. Zwei
Gründe stehen der raschen Bildung einer neuen Regierung in
Belgrad entgegen. Zum einen ist die nationalistische Serbische
Radikale Partei des vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag
angeklagten ehemaligen Freischärlerführers Seselj
wiederum die stärkste politische Kraft des Landes geworden.
Bemerkenswert an ihrem Erfolg ist, dass sie auch in der Hauptstadt
Belgrad sowie in der an Kroatien, Ungarn und Rumänien
grenzenden Nordprovinz Vojvodina - von den Demokraten früher
als Hochburg angesehen - die stärkste Partei wurde. Wollen die
dem demokratischen Block zugerechneten Parteien Serbiens ihr Land
nicht in die Isolation treiben, müssen sie eine Regierung
unter Ausschluss der Radikalen bilden.
Doch was rechnerisch möglich ist - die Parteien des so
genannten demokratischen Blocks verfügen über eine
stabile Mehrheit der Sitze in der neuen Skupstina (Parlament) -
wird sich nicht ohne Schwierigkeiten in die Tagespolitik
übersetzen lassen. Denn die Demokratische Partei (DS) von
Staatspräsident Tadic und die Demokratische Partei Serbiens
(DSS) Kostunicas sind bisher stets als Gegner aufgetreten.
Tadic und seine Partei haben Kostunica oft beschuldigt, den
Reformprozess in Serbien zu verschleppen. Nachweisbar ist
tatsächlich, dass Kostunica, der gemeinhin als
"gemäßigter Nationalist" apos-trophiert wird, schon als
Präsident Jugoslawiens in der Nachfolge von Slobodan Milosevic
fast alle Reformen seines später ermordeten Widersachers Zoran
Djindjic zu verhindern suchte. Kostunica war es auch, der einige
Akteure des gestürzten Regimes von Milosevic stützte und
die Kooperation mit dem Haager Tribunal verschleppte. In scharfen
Worten und mit populistischer Berechnung protestierte er im Juni
2001 gegen die von Djindjic betriebene Auslieferung Milosevics nach
Den Haag, mit der Serbien seinen internationalen Verpflichtungen
nachkam.
Hinzu kommt, dass Kostunica den Anspruch erhebt,
Regierungschef zu bleiben, obwohl seine DSS mit 47 Sitzen in einem
etwaigen Bündnis mit der DS von Tadic (64 Sitze) nur der
Juniorpartner wäre und beide Parteien überdies einen
dritten Partner benötigen, um überhaupt eine
Regierungsmehrheit herstellen zu können. Seit Tagen
spekulieren die Belgrader Zeitungen über den möglichen
Ausgang dieses Koalitionspokers. Als wahrscheinlichstes Ergebnis
gilt Beobachtern eine Regierung aus der DSS, der DS und der vor
allem auf Wirtschaftsreformen spezialisierten Partei G17Plus des
Finanzministers Dinkic. Einige Funktionäre der DS haben
erkennen lassen, dass die Partei Tadics auch bereit ist, auf den
Posten des Ministerpräsidenten zu verzichten, sofern mehrere
wichtige Ressorts der neuen Regierung - etwa das Innenministerium -
von ihren Ministern übernommen werden.
Doch es sind nicht allein die grundlegenden Unterschiede
zwischen den beiden großen Parteien jenseits der Radikalen,
die eine Einigung schwierig erscheinen lassen. Der zweite Grund
für die schwierige Ausgangslage liegt in den
außenpolitischen Begleitumständen, unter denen die
Verhandlungen in Belgrad stattfinden.
Wenige Tage nach den Parlamentswahlen hat der UN-Vermittler
Martti Ahtisaari seine bis dahin zurückgehaltenen
Vorschläge für eine Lösung der Statusfrage des
Kosovos vorgelegt. Der ehemalige finnische Präsident
plädiert für eine überwachte Unabhängigkeit der
laut Völkerrecht noch immer Serbien zugehörigen Provinz.
Demnach soll die Souveränität Serbiens über das
Kosovo aufgehoben, der neue Staat aber künftig von einer
internationalen Mission unter Führung der EU beaufsichtigt
werden. Diese Aufsicht soll vor allem sicherstellen, dass die
Rechte der nichtalbanischen Minderheiten in einem Staat Kosovo
gesichert werden. Dabei geht es vor allem um die serbische
Volksgruppe, die weniger als acht Prozent der etwa zwei Millionen
Einwohner zählenden Provinzbevölkerung ausmacht.
Die größeren serbischen Enklaven sollen laut
Ahtisaaris Plan umfangreiche Selbstverwaltungsrechte erhalten. Eine
solche Lösung liegt zwar auch im Interesse Serbiens, das damit
von einer Last befreit wäre, die es längst nicht mehr
schultern kann. Da es bisher jedoch die offizielle Politik Belgrads
und insbesondere Kostunicas ist, den Verbleib der Provinz bei
Serbien zu fordern, stellt sich die Frage, wie attraktiv es
für einen serbischen Politiker ist, in den kommenden Monaten,
die eine Abtrennung des Kosovos erwarten lassen, die
Regierungsverantwortung zu tragen. Ausgeschlossen ist deshalb
nicht, dass es die Politiker in Belgrad auf Neuwahlen ankommen
lassen. Der Zeitplan dafür ist in der neuen Verfassung
geregelt: Die konstituierende Sitzung des Parlaments muss demnach
spätestens einen Monat nach der Verkündung des
Endergebnisses der Wahl stattfinden. Einigt sich das Parlament dann
innerhalb von 90 Tagen nicht auf eine Regierung, wird es
aufgelöst.
Ahtisaari-Plan
- Sonderrechte für die Serben Die serbische Minderheit im
Kosovo soll großzügige Sonderrechte erhalten. Der
geplante Minderheitenschutz bezieht sich auf die Justiz, den
Bildungssektor, die Polizei und das Parlament.
- Kosovo-Status Die abtrünnige südserbische Provinz,
die fast nur noch von Albanern bewohnt ist, soll eine international
überwachte Souveränität erlangen. Eine
ausdrückliche Unabhängigkeit ist im Ahtisaari-Plan nicht
vorgesehen. Kosovo soll eine eigene Verfassung, Flagge und Hymne
erhalten, internationale Abkommen schließen und sich um
Mitgliedschaft in internationalen Organisationen bemühen
können. Amtsprachen sollen Albanisch und Serbisch sein.