Antony Gormley: Feeling material
Installation "Steht und Fällt" von Antony Gormley
© DBT/Erfurt
Transfuser III
© Stephen White
Feeling Material XXIX
© Stephen White
Eröffnung der Ausstellung
Samstag, den 15. September 2007 um 13.00 Uhr
im Kunst-Raum im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus
Zugang über die Spree-Uferpromenade
Schiffbauerdamm, 10117 Berlin
Begrüßung durch die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Petra Pau
Einführung in die Ausstellung durch den Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages, Dr. Andreas Kaernbach
Der Künstler ist anwesend.
Öffnungszeiten
Dienstag bis Sonntag von 11.00 bis 17.00 Uhr
"Steht und Fällt" - Menschliches Maß für den abstrakten Raum
Der Deutsche Bundestag verdankt dem britischen Bildhauer Antony Gormley eines seiner bemerkenswertesten Kunst-am-Bau-Projekte: die Installation "Steht und Fällt" aus dem Jahre 2001. Im Jakob-Kaiser- Haus, dem Haus der Abgeordnetenbüros, hat Gormley einen Innenhof vollständig geflutet. Nur ein Steg führt noch über das Wasser in den Hof hinein. Im Wasser spiegeln sich fünf Skulpturen, die senkrecht zu den Wänden des Hofes angebracht sind und diese hinaufzulaufen scheinen.
Erst durch diese Installation gewinnt der Innenhof ein ganz
eigentümliches Leben: Ohne die Skulpturen und ihre
Spiegelbilder wäre er ein durch geometrische
Architekturelemente umschriebener, abstrakter Raum. Nun verleihen
ihm die Skulpturen als Bezugsgrößen menschliches
Maß. Ein sonst unbelebter Raum wird für den Betrachter
sinnlich und geistig erfahrbar durch die Irritation, die die
senkrecht zur Wand in den Hof ragenden Skulpturen auslösen.
Die Figuren sind Abgüsse vom Körper des Künstlers,
in Gußeisen ausgeführt. Die Fertigungsspuren sind gut zu
erkennen: die Gußnähte, -grate und -kanäle. Die
Figuren haben eine rostige Patina angesetzt und beziehen auch auf
diese Weise eine trotzige Gegenposition zur glatten Perfektion der
Architektur, oder in Worten Gormleys aus einem Interview von 1994:
"... what I love most is when
there is a sense of an architectural structure which has within it
notions of opposition." So spiegelt diese Installation das
ästhetische und soziale Anliegen des Künstlers, die
Menschen durch seine Skulpturen wieder eine
körperlich-räumliche Beziehung zu ihrer Umwelt gewinnen
zu lassen, in der sie sich selbst oft als fremd
empfinden.
Skulpturen wie organisches Gebilde
Der britische Bildhauer gehört zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart. Bekannt wurde Gormley 1994, als er den Turner-Preis der Tate Gallery für eine Serie von Installationen mit dem Titel "Field" erhielt: In weltweiten Ausstellungen hatte er mit zahlreichen Mitarbeitern, die er vor Ort engagierte, kleine Tonfiguren gefertigt, die die gesamte Ausstellungsfläche belegten. Der Betrachter konnte den Ausstellungsraum nicht betreten, sah sich aber von hunderten oder tausenden Augenpaaren der Skulpturen fixiert, von Figuren, die einander ähnlich und doch individuell waren und die das Ergebnis eines kollektiven Schaffensprozesses bildeten.
Ähnliches Aufsehen erregten die 20 Meter hohe Skulptur "Angel of the North" (1998) mit einer Flügelspannweite von 54 Metern, die weithin sichtbar die Landschaft bei Gateshead im Nordosten Englands zu umfassen scheint, oder die ein Jahr später fertiggestellte 30 Meter hohe Skulptur "Quantum Cloud" in der Nähe des Millennium Domes am Ufer der Themse. So sind seine Gestaltungen einem ständigen Wechsel unterworfen, stellen jedoch immer wieder den menschlichen Körper als Medium zur Raum- und Welterfahrung in den Mittelpunkt, integrieren ihn in ein Koordinatensystem sozialer und ästhetischer Beziehungen.
Diese Grundidee des Künstlers lassen die aktuellen
Skulpturen in fragiler Schönheit auf neue Weise Bild werden.
Gormleys Körper ist nur
noch als Leerform in der Mitte der Skulptur zu erahnen, gleichsam
eine entmaterialisierte Gloriole, deren Strahlen sich in den Raum
hinein entwickeln als fein ziselierte Zeichnung im Raum. Diesen
Skulpturen ist nicht ein bestimmter Blickwinkel eigen. Jede
Veränderung seines Standortes erschließt dem Betrachter
neue Perspektiven auf ein Gebilde, das ein Paradoxon schlechthin
ist: sowohl Zeichnung als auch Skulptur, leeren Raum
umschließend und doch wieder Raum greifend, zerbrechlich und
zugleich voller Energie, scheinbar fest und doch geradezu
kinetisch, Skulptur zwar, aus Metall gefertigt, und doch wie ein
organisches Gebilde wuchernd.
Neuer Blick auf Raum und Körper
"Feeling Material", die Skulptur, die der Ausstellung den Namen gegeben hat, löst den Körper geradezu in Energieschwingungen konzentrischer Kreise auf und erinnert an Oskar Schlemmers Bauhaus- Figurinen und das vibrierende Lebensgefühl der zwanziger Jahre. Die hierzu gezeigten Zeichnungen variieren das Spiel zwischen Drei- und Zweidimensionalität, in das durch den Schwung der Bewegungen auch noch die Zeit gewissermaßen als vierte Dimension einfließt und den Zeichnungen und Skulpturen Ereignischarakter verleiht.
So bieten die aktuelle Ausstellung im Deutschen Bundestag anläßlich der Verleihung des Bernhard-Heiliger-Preises für Skulptur an den Künstler durch die Bernhard-Heiliger-Stiftung sowie die parallele Ausstellung im Georg-Kolbe-Museum einen Blick auf den derzeit bedeutendsten britischen Bildhauer und die Entwicklung seiner Arbeit. Sie zeigt, dass Antony Gormley in seinen Skulpturen das Phänomen des menschlichen Körpers nicht nur variiert, sondern mit seiner Gestaltung einen gänzlich neuen Blick auf Raum und Körper eröffnet und ein neues Empfinden für die Beziehungen des Menschen zur Umwelt, zu Raum und Zeit vermittelt.