Tagesläufe
Der ewige Reisende
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Der
F.D.P.-Abgeordnete Jürgen Koppelin. |
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Schiffe bauen, Bier erfinden, Monster
fliegen lassen - der F.D.P.-Abgeordnete Jürgen Koppelin
bereist in seiner Wahlkreisarbeit ein ganzes Bundesland. Da geht
die Arbeit nie aus, und die Kraft muss lange reichen.
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Drachen über
Dünen. |
In einem Kinospot liefe das Ganze vielleicht so ab: Die beiden
Flensburger Originale – der Große und der Kleine –
tränken am Wegesrand gemütlich ein Bier. Plop. Dann
käme ein junger smarter Mann im schnellen Auto und mit dem
Headphone seiner Freisprechanlage vor dem Mund. "Wo ist hier die
Grenze?", fragte er die beiden. Die schauten sich stumm an, der
Große nähme seine Kapitänsmütze, setzte sie auf
und hielte die Hand auf. Der Autofahrer zeigte ihm den Pass und
rauschte danach zufrieden von dannen. "Grenze is doch nicht mehr",
sagte der Kleine zum Großen. "Wenn's ihn glücklich
macht", antwortete der Große und nähme die
Kapitänsmütze ab. Plop.
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Kollund, Verlassenes
Strandhotel. |
Die Grenzen vom Wahlkreis des Abgeordneten Jürgen Koppelin
auszumachen, ist nicht mehr so einfach. Europa macht's möglich
– man fährt nach Dänemark, um sich dort mit dem
Abgeordneten zu treffen, nimmt im ersten dänischen Ort den
falschen Abzweig und ist fünf Minuten später schon wieder
in Deutschland. Wechsel der Fahrtrichtung und erneute Einreise nach
Dänemark. Europa ist schön.
Die ganze Angelegenheit ändert aber nichts daran, dass der
Abgeordnete Jürgen Koppelin ein ewiger Reisender ist. Sein
Wahlkreis ist eigentlich ein Wahlland, das nördlichste der
Bundesrepublik, 15.729 Quadratkilometer groß, im Norden an
Dänemark, im Osten an die Ostsee und Mecklenburg-Vorpommern,
im Süden an Hamburg und Niedersachsen und im Westen an die
Nordsee grenzend. In Schleswig-Holstein gibt es sanfte Hügel,
Deiche, die das Marschland schützen, Förden und Buchten,
Inseln und Halbinseln, durch die Eiszeit geprägte
Landschaften, als seien sie dem Bilderbuch entnommen. Eine Menge
Lokale heißen "Utkieck", eine Menge Kräne sehen aus wie
Dinosaurier, eine Menge Schiffe wecken die Sehnsucht nach der
Ferne, eine Menge Meer macht Lust auf Abenteuer.
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Kollund,
Gespräche mit Nordschleswigern. |
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Manchmal ist für Jürgen Koppelin das Land ein bisschen
zu groß. Es gibt Tage, da fährt er vom nördlichsten
Zipfel in die südlichste Region – von Neukirchen nach
Elmshorn vielleicht oder von Schwarzenbeck nach Eckernförde.
"Wenn Ihr erst 18 Prozent habt", wird er in diesen Tagen
häufig geneckt, "gibt's ja ein paar mehr von Euch hier in
Schleswig-Holstein." "Klar", antwortet Jürgen Koppelin und
grinst, "bald ist es so weit."
Die Woche im Wahlkreis beginnt für den Abgeordneten im
dänischen Kollund. Dort ist er im Haus "Quickborn" mit
Vertretern des Bundes deutscher Nordschleswiger verabredet. Der
Bund vertritt die deutsche Minderheit in Dänemark, rund 20.000
Menschen. Es gibt 24 deutsche Kindergärten und 17 deutsche
Schulen in Nordschleswig, die Tageszeitung "Der Nordschleswiger",
die 8,50 Kronen kostet, elf deutsche Pastoren, viele
Künstlerinnen und Künstler. Der Bund ist so was wie ein
Zuhause, verantwortlich dafür, dass soziales und kulturelles
Leben gefördert wird und Geld für diese Arbeit
bereitsteht. Der dänische Staat und die dänischen
Kommunen, das Land Schleswig-Holstein und die Bundesrepublik
Deutschland leisten Zuschüsse für den Haushalt der
deutschen Volksgruppe in Nordschleswig.
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Kollund,
Gespräche mit Nordschleswigern. |
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Man muss und will also an diesem Montag Vormittag über die
weitere Finanzierung reden, drohende Kürzungen, Projekte,
inhaltliche Arbeit. Es ist ein Glückstag, denn die Sonne
scheint – bei allerdings nur acht Grad. Trotzdem, man wird
nicht, wie ursprünglich geplant, drinnen diskutieren, sondern
draußen, mit Blick auf das Wasser. Ist man zuvor ein bisschen
durch den Ort gefahren, weiß man, dass so ganz problemlos das
Leben nicht ist. Unweit vom Haus "Quickborn" verfällt das
einst malerische Strandhotel, von dem aus man rüber nach
Flensburg schauen kann. Mit dem Wegfall der so genannten
Butterfahrten versiegte der Gästestrom. Unten am Kai ist es
leer und still, oben am Hotel ebenso. Für einen Augenblick
sieht die Welt ganz anders aus.
Der Generalsekretär des Bundes deutscher Nordschleswiger,
Peter Iver Johannsen, der Hauptvorsitzende Hans Heinrich Hansen und
der Chefredakteur der Tageszeitung "Der Nordschleswiger", Siegfried
Matlok, kennen Jürgen Koppelin gut. Es ist kein
Anstandsbesuch, sondern eines der regelmäßigen Treffen,
bei dem man sich über die Arbeit austauscht und versucht,
Lösungen für Probleme zu finden. Und so sind die vier
Männer schnell eine Diskussionsrunde, in der zeitweise nur mit
Stichworten und Halbsätzen gearbeitet werden muss, um sich zu
verständigen.
Im Jahr 2002 werden dem Bund deutscher Nordschleswiger
voraussichtlich Mittel in Höhe von knapp zwei Millionen Mark
fehlen. Da muss man sich fragen, ob dagegen noch was getan werden
kann oder in welchen Bereichen man kürzen müssen wird.
Soll man die Schulen und Kindergärten weniger bedenken,
kulturelle Projekte nicht in Angriff nehmen, Jugendarbeit
reduzieren oder aus der Tageszeitung eine Wochenzeitung machen?
Für die Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen gelten die
dänischen Tarifabschlüsse, das heißt 15 Prozent
Lohnerhöhung pro Jahr. In der Finanzierung der Arbeit des
Bundes ist dies bislang nicht bedacht.
Jürgen Koppelin sitzt im Haushaltsausschuss des
Bundestages. Er beschreibt den Fahrplan des Gremiums und diskutiert
mit den drei Männern darüber, wann und an welchem Ort das
Thema der Finanzierung auf die Tagesordnung gesetzt werden kann.
Der Abgeordnete kann nichts versprechen. Das sagt er auch so offen.
Schließlich wissen die Anwesenden, dass er ihre Interessen im
Bundestag bislang immer gut und engagiert vertreten hat. Und hier
geht's ja nicht darum, Komplimente zu verteilen. "Ihr solltet den
Berichterstatter zum Thema aus dem Bundesministerium des Inneren
nach Kopenhagen einladen, um die Lage darzustellen. Aber schnell
muss es gehen, am besten noch nächste Woche einen Termin
vereinbaren", schlägt Jürgen Koppelin vor. "Man muss
immer überlegen, welche Leute die Interessen am besten
vertreten können. Solche wie ich zum Beispiel", sagt er und
zwinkert den Männern zu.
Wenn Du hier Urlaub machst, verspricht der Chefredakteur zum
Abschied, "kriegst Du jeden Tag die Zeitung. Und wo geht's jetzt
hin", fragt er. Rüber nach Flensburg, zur Werft.
Zweitwichtigster Wirtschaftszweig im Bundesland, erklärt der
Abgeordnete unterwegs. Ganz vorn stehe natürlich die
Landwirtschaft, vor allem Milchwirtschaft, die Zucht von Rindern,
die in alle Welt exportiert werden, Schafe und Schweine. "Da wissen
Sie ja, was hier in den vergangenen Monaten los war", sagt der
Abgeordnete. "Die Themen BSE und MKS haben uns nicht losgelassen,
alle waren verunsichert und in Angst." Ganz kurz klingt eine kleine
Müdigkeit an. Nicht immer ist sofort ein Plan für
veränderte Realitäten da, und manchmal ist guter Rat
wirklich teuer – im wahrsten Sinne des Wortes.
Es gab auch Zeiten, da war es bei der Werft in Flensburg ebenso.
Zu wenig Aufträge, fast war man am Ende, und die einzige
Chance lag darin, sich aus eigener Kraft aus dem Tal zu arbeiten.
Jürgen Koppelin hat mitgekämpft. Zwei große
Aufträge sind aus den hartnäckigen Bemühungen
entstanden, Zukunft war wieder in Sicht. An diesem Montag ist der
Chef der Werft für das Gespräch mit dem Abgeordneten
entschuldigt. Aus schönem Grund. In Kopenhagen verhandelt er
gerade über neue Aufträge. Zwei oder drei Schiffe,
vielleicht aber auch noch mehr. Der Vertrag steht kurz vor dem
Abschluss. Das sichert Arbeitsplätze in der Region, aber auch
im Süden der Republik, wo viele Zulieferbetriebe angesiedelt
sind.
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Flensburg,
Gespräche in der Brauerei. |
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So ein Schiff hat eine Lebensdauer von rund 25 Jahren. Wer so
haltbare Produkte produziert, kriegt nicht einfach neue
Aufträge. Vor dem Gespräch in der Werft klärt
Jürgen Koppelin auf dem Parkplatz noch schnell und telefonisch
einige organisatorische Fragen. Er stellt sich ein wenig abseits
und malt mit der linken Hand eine entschuldigende Geste in die
Luft. Das Sommerfest des F.D.P.-Landesverbandes steht bevor.
Jürgen Koppelin ist Landesvorsitzender. Im Landtag ist die
Partei zurzeit mit der bislang größten Fraktion
vertreten, der drittstärksten im Landesparlament. "Das
erleichtert die Arbeit", sagt der Abgeordnete, "man kann einfach
mehr bewegen und mehr realisieren, wenn mehr Leute da sind."
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Flensburg,
Gespräche in der Brauerei. |
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Die beiden Herren von der Geschäftsführung der Werft
haben eine für diesen Produktionszweig angemessene
Größe – sie überragen alle in der Runde.
Wolfgang Bühr und Karl-Heinz Carstens schaffen es, ihren
Gästen zuliebe, in einer dreiviertel Stunde einen
systematischen und verständlichen Überblick über die
gegenwärtige Situation der Werftindustrie zu geben. Beim
Abgeordneten Koppelin allerdings rennen sie da offene Türen
ein. Er hat das Thema im Kopf und nicht nur das. Namen, Typen und
Eigenschaften von Schiffen sind ihm gut geläufig,
Produktionsabläufe bekannt, Hintergründe, Zahlen und
Fakten nichts Neues. Man redet über die Werftenhilfe und
darüber, wie klug es ist, dieses Geld nicht zu
"verfrühstücken".
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Flensburg, in
der Brauerei. |
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Die Flensburger Schiffbau-Gesellschaft investiert jährlich
ca. 6,5 Millionen Mark – das entspricht in etwa der Höhe
der Werftenhilfe. Es zahlt sich aus. Der Auftrag aus Kopenhagen
wurde gegen die Mitbewerber aus China, Finnland und Polen
erkämpft. "Unser Angebot", so Karl-Heinz Carstens, "sind
umweltfreundliche Schiffe. In deren Entwicklung stecken wir
Forschungskapazitäten. Wenn wir den Auftrag aus Kopenhagen
unter Dach und Fach haben, sind wir bis 2003 gesichert und haben
unser Unternehmensziel, langfristig 600 Arbeitsplätze zu
sichern, übererfüllt." Der Abgeordnete Koppelin stellt
Fragen. Eine Menge Fragen. Vielleicht liegt das auch daran, dass er
Journalist ist, vom NDR kommt und weiß, dass wer viel fragt,
auch viele Antworten bekommt.
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Flensburg,
Gespräche in der Brauerei. |
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Herr Carstens und Herr Bühr verteilen nach dem
Gespräch blaue Helme – nun sind sie noch ein Stück
größer – und führen die Besucher in die
Werfthallen. Das Schiff, das gerade gebaut wird, geht in die
Türkei. Natürlich wissen die Kollegen von der Werft, was
mit den Besuchern geschieht, wenn sie durch die riesigen Hallen
laufen, ständig den Kopf im Nacken, weil alles unvorstellbar
groß ist und geheimnisvoll. Sie sind nachhaltig beeindruckt.
Jedes Mal. Wohin gehören die riesigen Stahlplatten mit den
kryptischen Zahlen, warum haben sie unterschiedliche Farben,
welchem Arbeitsgang sind welche Geräusche zuzuordnen und warum
– so die ganz kindliche Frage, die am Ende immer steht
– schwimmt dieser Koloss am Ende wirklich?
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Flensburg, in
der Brauerei. |
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Zu wenig Zeit für zu viele Bilder, die man betrachten kann.
Dabei wäre es doch gut, einfach mal eine halbe Stunde
zuzuschauen, wie eine Schweißnaht entsteht. Der Abgeordnete
Koppelin aber ist zu einem Gespräch in der Brauerei
angemeldet. Wenn er schon mal in Flensburg ist, sollte die Zeit
effektiv genutzt werden.
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Krabbenfischer. |
Auch wenn es sich "nur" um einen mittelständischen Betrieb
handelt, kennt doch so ziemlich jeder im Land das Flensburger Bier
in der Flasche, deren Bügelverschluss beim Öffnen immer
"Plop" macht, und die beiden schrägen Typen, die in der
Werbekampagne so wunderbar den Norddeutschen an sich darstellen.
Schweigsam und unwiderstehlich.
Jürgen Koppelin will wissen, wie sich konkret die Situation
für die Brauerei auf dem Markt darstellt. Vier Sorten Bier
sind im Angebot, seit März auch ein Weizenbier. Das ist ein
mutiges Unterfangen angesichts der Existenz von Bayern. Der
Verdrängungswettbewerb ist groß, der Bierverbrauch sinkt.
In Deutschland existieren über 5.000 Biermarken, gebraut in
rund 1.200 Brauereien. Das gibt's in keinem Land sonst. Ulrich
Beuth, Marketing-Direktor der Brauerei, erklärt die Strategie
des Unternehmens, sich am Markt zu halten. "Flensburger geht nicht
auf Masse, sondern auf Marke. Bier braucht Heimat", sagt der Mann
und lächelt. Das könnte klappen. Und Flensburg ohne
Flensburger Bier ist ja auch nicht so richtig denkbar.
Inzwischen ist es später Nachmittag. Der Abgeordnete
Koppelin hat noch einen langen Abend vor sich – Parteiarbeit
steht auf dem Programm. Es ist gerade noch Zeit für ein kurzes
Intermezzo in einer Raststätte, auf dem Weg von Flensburg nach
Kiel. Da redet der Abgeordnete, als liefe ihm die Zeit davon.
Über Bilder, die er im Kopf hat, wenn er an Schleswig-Holstein
denkt: die Brücken, von denen aus man den Nord-Ostsee-Kanal
sehen kann, für den es besser wäre, wenn mehr Schiffe
führen. Die Krabbenfischer an der Nordsee, die ihre
Familienbetriebe am Leben halten. Die vermeintlichen und wirklichen
Idyllen, von Touristen so gern fotografiert: Schafe auf den
Deichen, Windräder in Reih und Glied auf Rapsfeldern,
große Schiffe von kleinen Lotsenbooten in die sicheren
Häfen geleitet. Was wird aus den Lotsen, wenn weniger Schiffe
fahren, weil mehr Landwege gebaut werden? Ist die Gefahr von Maul-
und Klauenseuche wirklich gebannt? Stimmt es, dass in den
Windbäumen wertvolle Vögel verenden? Und alle Fragen
haben mit Arbeit zu tun. "Da tobst du durchs Land", sagt
Jürgen Koppelin, "und denkst manchmal – ein bisschen
kleiner wäre auch nicht schlecht."
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Nord-Ostsee-Kanal. |
Die Sonne scheint immer noch, aus den acht Grad sind
fünfzehn geworden, und es weht ein guter Wind. Der hatte am
Tag zuvor hunderte Menschen an den Strand nahe Kiel gelockt. Und
dann war der Himmel voller Drachen – kleine und große
Monster im Höhen- und Schönheitswettbewerb. Das
hätte dem Abgeordneten Koppelin sicher auch gut gefallen. Ein
Bild mehr im Kopf, wenn er danach gefragt würde.
Kathrin Gerlof