Menschen im Bundestag
Ein Chor lebt von der Leidenschaft
Zarko Bulajic
arbeitet am Tage in der Kleiderkammer des Bundestages. Am Abend tut
er, was er tun muss: Singen.
Zarko Bulajic hat ein Problem. Ihm fehlen Stimmen. Nun ist er
kein Politiker, dem es an Zuspruch mangelt. Zarko Bulajic braucht
nur ganz bestimmte Stimmen. Die von Männern.
Männern, denen es Spaß machte, "Va pensiero ..."
anzustimmen oder gar: "Oh, welche Lust, in freier Luft den Atem
leicht zu heben". Sie müssten nicht singen können wie
Pavarotti, aber Freude am Singen haben und vielleicht einen
ausbaufähigen Bariton oder Tenor. Solche Männer sucht
Zarko Bulajic, Chorleiter und Mitarbeiter des Deutschen
Bundestages. Er singt mit Leuten, und er zieht Leute an. Letzteres
hauptberuflich, als Verwalter der Kleiderkammer des Deutschen
Bundestages. Für manchen erscheint beides etwas
ungewöhnlich: dass der Bundestag eine eigene Kleiderkammer hat
ebenso, wie die Tatsache, dass es im Hohen Haus einen Chor
gibt.
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Dabei hat dieser Chor eine mehr als fünfzigjährige
Tradition. 1951 nämlich wurde im Bundestag ein Männerchor
gegründet. Der trat das erste Mal zur Nikolausfeier im Jahre
1952 auf. Sieben Bände füllt die Geschichte dieses
Männerchores. Die existieren heute noch und auch das Klavier,
das sich die Sangesfreudigen damals für 300 Mark kauften,
abgezahlt in monatlichen Raten von zehn Mark. Der Männerchor
aber hörte irgendwann in den Neunzigern auf zu existieren.
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Und hier kommt Zarko Bulajic ins Spiel. Der arbeitete zu jener
Zeit beim Plenarassistenzdienst und erfuhr von der Geschichte. Ganz
langsam entstand bei ihm die Idee, einen Neustart zu wagen. Er
hörte sich um, nahm Kontakt mit den einstigen Chorleitern auf,
ließ den schönen Gedanken reifen, legte ihn manchmal
beiseite, um ihn dann wieder vorzuholen und von allen Seiten zu
betrachten. Ja, so ein Chor im Bundestag wäre etwas für
einen Mann wie Zarko Bulajic. "Ich habe gedacht, so eine reiche
Tradition, so eine wunderbare Geschichte darf man nicht verlassen
und vergessen. Wer weiß, ob es noch andere
Parlamentschöre gibt. Vielleicht ist das hier ja
einmalig."
An dieser Stelle muss gesagt werden: Herr Bulajic, 43 Jahre alt,
von einnehmendem und offenem Wesen, ein Optimist, dem die
Melancholie nicht fremd ist, ist ein Mann der Musik.
In seiner Heimatstadt Belgrad hat er Musik studiert. Das lag
irgendwie nahe, denn der Vater sang zu jener Zeit im Staatlichen
Jugoslawischen Ensemble, und schon mit sieben Jahren hatte Zarko
Bulajic begonnen, Akkordeon zu lernen. Da stand Astor Piazzola,
dessen Musik Herr Bulajic liebt, schon seit zwanzig Jahren auf den
Bühnen. Zarko Bulajic liebte das Akkordeon, entschied sich
aber für das Studium Allgemeiner Musikpädagogik und
entschied sich auch für eine Frau, die ebenfalls Musik
studierte. Es kann also nicht überraschen, dass die beiden
Kinder der Bulajics ähnliche Wege einschlagen. Die Tochter
spielt Violine, der Sohn Klavier. "Wir sind ganz unangenehme
Nachbarn", sagt Zarko Bulajic und lacht. Das kann er auch nicht
ernst meinen.
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Nach dem Umzug des Bundestages von Bonn nach Berlin startete
Herr Bulajic durch. Er verschickte Hausmitteilungen und bat die
Sangeslustigen, sich zu melden. Irgendwann kam Guido Houben,
Mitarbeiter des SPD-Abgeordneten Friedhelm Julius Beucher, zu ihm
und schlug vor, eine Musikgemeinschaft zu gründen. Dem Mann
lag am Herzen, ein Orchester ins Leben zu rufen. Die
Musikgemeinschaft wird es nun auch bald geben, die SPD-Abgeordnete
Monika Griefahn wird ihr vorstehen.
Im Herbst des vergangenen Jahres fand die erste Zusammenkunft
des Chores statt. Es kamen all jene, die neugierig auf das Projekt
waren. "Das war ein verrücktes Treffen. Ich kannte niemanden.
Mich kannte niemand. Ich wollte niemanden vorsingen lassen, weil es
erst einmal egal war, ob jemand Noten konnte oder nicht, eine
ausgebildete Stimme hat oder ganz und gar ungeschult ist. Es sollte
alles ganz freudvoll sein. Schließlich hatte ich mir einen
Traum erfüllt. Endlich war es so weit, und ich war im Himmel
vor Glück."
Zum ersten Treff kamen rund 50 Neugierige und Entschlossene.
Männer und Frauen. Heute probt Zarko Bulajic mit 27 festen
Ensemblemitgliedern. 25 Frauen und zwei Männern. Das ist kein
wirklicher Frauenchor, aber auch kein richtig gemischter Chor.
Niemand kann Zarko Bulajic die Frage beantworten, wo die
Männer geblieben sind. Es wäre gegen alle Erfahrung,
gäbe es im Bundestag nur Frauen, die singen können. Doch
egal, 27 Menschen, die gern singen, sich an jedem Mittwoch im
Clubraum des Reichstagsgebäudes treffen und ihre Feuerprobe
bereits bestanden haben, sind ein richtig guter Anfang. Ein erstes
Konzert im Paul-Löbe-Haus, gemeinsam mit dem
Bundestagsorchester, fand großen Zuspruch und viel
Anerkennung.
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Zarko Bulajic will keinen Gesangsverein, Volkslieder stehen
nicht auf dem Programm. Zurzeit übt man das Trinklied aus "La
Traviata", ein Stück aus der "Zauberflöte" und den
Gefangenenchor aus "Nabucco". "Va pensiero, sull'ali dorati" zu
singen, ist eine große Herausforderung. Man wird sie meistern.
Jeden Tag bereitet sich Zarko Bulajic ein bis zwei Stunden auf die
nächste Chorprobe vor. Manchmal, wenn am Mittwoch die
Sängerinnen und Sänger nach ihrer Arbeit im Bundestag zur
Probe kommen, sind sie müde und ein bisschen ausgepowert.
"Jetzt", sagt Zarko Bulajic dann zu ihnen, "vergessen Sie das
Büro. Sie sind hier, um zu singen. Singen macht Spaß.
Beginnen wir einfach mit ein paar Entspannungsübungen."
Und dieser Moment ist dann auch für ihn gut, denn er hat
einen weiten Weg hinter sich, vom Arbeitsplatz zum Proberaum im
Reichstag.
Zarko Bulajic arbeitet im Referat ZT 2, Beschaffung, und ist
verantwortlich für die Kleiderkammer. Die befindet sich in
Spandau, und Kammer ist auch nicht das richtige Wort dafür. In
zwei großen Hallen hängen und liegen, beschriftet und
teilweise verpackt, Bekleidungsstücke für rund 400
Bedienstete des Bundestages: Pförtner, Boten,
Plenarassistenten, Sicherheitsdienst, Haustechnik,
Reinigungskräfte. Dunkelblaue Anzüge, Kittel, Westen,
Kostüme, Blaumänner, Jacken, Mützen, Gürtel,
Krawatten, Hemden gehören zum Bestand der Kleiderkammer. Die
Sachen werden geholt und gebracht, müssen gereinigt und
geändert oder repariert, neu geordert oder aussortiert
werden.
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Zarko Bulajic kennt also sehr viele Leute im Bundestag, und von
vielen natürlich die Konfektionsgröße. Damit
könnte er eigentlich in "Wetten dass?" auftreten, aber das
wäre der Seriösität dieser Arbeit wohl nicht
angemessen. "Alle sollen schön und gut und gepflegt aussehen.
Schließlich repräsentieren sie den Bundestag. Man muss
einen Kompromiss zwischen Dienstkleidung und eigenem Geschmack
finden, damit sich jeder wohl fühlt." Für die Suche nach
solcherart Kompromissen ist Zarko Bulajic der richtige Mann. Er
weiß die Gefühle anderer zu schätzen. Und die Musik,
die in jedem ist. Egal, ob sie sich über Gesang oder
Körpersprache mitteilt.
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Und er liebt diese Augenblicke, in denen der Chor jenes
ausgelassene Stück aus "La Traviata" anstimmt und fast, fast
alles gelingt: "Godiamo, la tazza e il cantico, la notte abbella e
il riso; in questo paradiso ne scopra il nuovo di. – Auf
füllet die Becher, es schalle der Jubel. Die Freude vertreibe
die Nacht, des Liedes Begeisterung werde dem Morgen
entgegengebracht."
Text: Kathrin Gerlof/Fotos: studio
kohlmeier