Das Wort Bedeutung atmet Subjektivität und ist daher leicht zum Missbrauch vorherbestimmt. Die Sozialwissenschaften arbeiten mit Indikatoren, wenn sie einen komplexen, selbst nicht quantifizierbaren Sachverhalt objektivieren, durch Zahlen abbilden wollen. So steht auch beim Gentechnologiebericht die Indikatorenanalyse im Mittelpunkt.
Die Indikatorenanalyse ist das Besondere an diesem Bericht, der sich um Objektivität bemüht, um dem aufgeladenen Disput über die Gentechnologie die Emotion zu entziehen. Wie leicht lässt sich von der wirtschaftlichen Bedeutung der Gentechnologie in unserem Lande reden, wenn man keine Indikatoren vorweisen muss! Wirtschaftliche Bedeutung lässt sich durch Input- und Outputindikatoren beschreiben, durch Kapital, Beschäftigte, Aufwändungen für Forschung und Entwicklung und durch Umsätze, Gewinne, Patente, Produkte.
Beschreibt man sie jedoch mit Zuwächsen (sie waren bisweilen beträchtlich), oder mit der Anzahl der neugegründeten Firmen, die ihr Geld primär mit Gentechnologie verdienen - es gibt davon inzwischen Hunderte -, dann kann man leicht zu falschen Schlüssen kommen. Erst die Summe der Indikatoren, gesehen im gesamtwirtschaftlichen Kontext, gibt ein objektives Bild (das im konkreten Fall eher betrüblich aussieht).
Komplizierter wird die Indikatorenanalyse zum Beispiel im medizinischen Bereich: Die Emotionen fürchten den "Gläsernen Menschen", wenn es um Gendiagnostik geht; von "Enhancement" und "Slippery Slope", wenn von Genanalyse und Pränataldiagnostik die Rede ist. Hier - und immer, wenn es um ethische und rechtliche Fragen geht - ist es nicht ganz leicht, Indikatoren zu finden, die zur Versachlichung des von unterschiedlichen Interessen motivierten Disputs führen. Die Arbeitsgruppe der Akademie wagt hier einen Anfang und kommt zu teilweise ganz unerwarteten Ergebnissen.
Der Bericht ist ein Anfang. Er soll fortgesetzt werden und aktualitätsbezogen weitere Gebiete in seine Analyse einbeziehen. Die vorliegende Ausgabe beschränkt sich auf Fallbeispiele der vier wichtigsten Anwendungsfelder der Gentechnologie: Das wohl optimistischste Kapitel beschäftigt sich mit der Bedeutung der Gentechnologie in der Grundlagenforschung und beschreibt den "Fall" Genomforschung.
Fallbeispiel des medizinischen Kapitels ist die Gendiagnostik; Gentherapie und Stammzellforschung sind demnächst erscheinenden Ergänzungsbänden vorbehalten. Am problematischsten ist in Deutschland noch immer die sogenannte Grüne Gentechnologie, die der BBAW-Bericht als Fallbeispiel für die "Anwendung rekombinanter DNA" (so die wissenschaftliche Definition des Berichtsgegenstandes) im Agrarbereich auswählte. Mit Indikatoren wie der Anbaufläche genetisch veränderter Nutzpflanzen oder der Akzeptanz von "Gen-Food" lässt sich hier der Stand der Entwicklung in Deutschland recht präzise beschreiben. Das Fallbeispiel der neuen Gentechnologiefirmen (Start-ups) im Kapitel "Ökonomische Bedeutung der Gentechnologie" rundet den Bericht ab.
Der Gentechnologiebericht versteht sich jedoch keineswegs als ausschließlich wissenschaftliches Werk. Er möchte ein Monitoringsystem für eine innovative und kontroverse Technologie werden. Die Akademie beabsichtigt, mit ihm ein "Observatorium" etablieren. Das Instrument für die Observation wäre die Indikatorenanalyse. Regelmäßig erhobene Daten zu validierten Indikatoren ermöglichen die Darstellung von Zeitreihen, d.h. von Filmen der Entwicklungen und Fehlentwicklungen anstelle von Momentaufnahmen.
Der Bericht kommt zu konkreten Kernaussagen und schreckt vor der Formulierung von Handlungsbedarf zu diversen Themen nicht zurück. Er ist ein Zustands- und Trendbericht einer Zukunftstechnologie, deren wirkliches Potenzial noch keineswegs ausgeschöpft und in Teilbereichen noch nicht einmal eindeutig sichtbar ist. Für die Wissenschaft wie für die Politik wird es gleichermaßen spannend sein, wenn dieses Potential in der nahen Zukunft erschlossen werden wird.
Gentechnologiebericht - Analyse einer Hochtechnologie in Deutschland. Mit Beiträgen von Klaus Brockhoff, Wolfgang van den Daele, Kristian Köchy, Jens Reich, Hans-Jörg Rheinberger, Bernd Müller-Röber, Karl Sperling, Anna Wobus, Mathias Boysen, Meike Kölsch und Ferdinand Hucho. Reihe "Forschungsberichte der Interdisziplinären Arbeitsgruppen der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften". Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2005; 580 S., 59,- Euro