Goldgelbe Kolben, gesunde Blätter, hochgewachsene Pflanzen - mit bloßem Auge lassen sich die Unterschiede der Maisfelder in der Agrargenossenschaft Wulfen in Sachsen-Anhalt nicht erkennen. Links wird konventioneller Mais angebaut, rechts eine aus gentechnisch verändertem Saatgut gezogene Sorte: MON 810. Nur eine Brachfläche von 20 Metern Breite trennt die beiden Felder in der Gemeinde zwischen Schönebeck und Köthen.
Vor elf Jahren ging der amerikanische Saatgutkonzern Monsanto mit der ersten gentechnisch veränderten Sorte Mais auf den Markt. Die Bundesrepublik Deutschland hat den drei Linien der Maissorte MON 810 erst im August grünes Licht gegeben. Das Saatgut mit dem suspekten Kürzel wurde mit einem Gen des Bodenbakteriums Bacillus thuringiensis (Bt) ausgestattet, durch das es automatisch ein für die Maiszünsler-Raupen tödliches Eiweiß produziert. Und schon jetzt können sich die deutschen Landwirte darauf einstellen, dass bald auch die von der Europäischen Union freigegebenen Pflanzen mit den Namen MON 863, GA 21 und 863x810 auf deutsche Äcker dürfen.
Während MON 810 und MON 863 durch ein neues Gen ein eigenes Insektizid produzieren, sind die beiden Sorten GA 21 und MON 863x810 mit einem Gen ausgestattet worden, das sie gegen das Herbizid "Round up Ready" widerstandsfähig macht. Wird ein Feld damit besprüht, bleiben einzig die gentechnisch veränderten Maisstauden am Leben. MON 863x810 behält darüber hinaus die Produktion eines eigenen Insektizids bei - ist also doppelt gegen Insekten gefeit.
Die Vorbehalte gegenüber der Gentechnik in den Nahrungsmitteln sind bei der Bevölkerung allerdings groß. Mehr als 70 Prozent der Deutschen lehnen den Verzehr gentechnisch veränderter Produkte ab. Ähnlich sehen es andere Europäer. Ganze Regionen erklären sich mittlerweile zu gentechnikfreien Zonen. Die Stadt München hat beschlossen, auf ihren Äckern kein modifiziertes Saatgut zu verwenden und auch in ihren Ställen kein Futter aus dem Genlabor auszuteilen.
"Die Risiken sind einfach zu hoch. Minister Seehofer hat mit der Freigabe der Maissorten in Deutschland einen großen Fehler gemacht", so Henning Strodthoff von Greenpeace. "Gerade beim schädlingsresistenten Mais ist noch gar nicht endgültig geklärt, ob er für Umwelt und Verbraucher sicher ist." Der Hamburger Umweltschützer kämpft seit vielen Jahren für eine gentechnikfreie Umwelt. Zu den bislang größten Erfolgen seiner Organisation zählt, dass sie den Saatguthersteller Monsanto zur Veröffentlichung seiner Studienergebnisse über die Maissorte MON 863 zwingen konnte. Fütterungstests mit MON 863 hatten ergeben, dass mit dem Genmais gefütterte Ratten nachhaltig geschädigt wurden. Die veränderte Maissorte hatte bei den Nagetieren zu starken Veränderungen im Blutbild und an den Organen geführt.
Die Wissenschaft ging lange Zeit von der Regel aus: harmlose Pflanze plus harmlose Eigenschaft gleich neue harmlose Pflanze. "Doch wir sind mittlerweile weiter. Die Natur ist viel komplexer", so Greenpeacer Strodthoff. Im Dezember vergangenen Jahres gingen Greenpeace-Aktivisten in der Europa-Hauptstadt Brüssel auf die Strasse. Eine zehn Jahre dauernde australische Studie der Commonwealth Scientific and Indus-trial Research Organisation (CSIRO) mit gentechnisch veränderten Erbsen kam zu brisanten Erkenntnissen. Die Hülsenfrüchte waren mit einer Resistenz gegen den Erbsenkäfer ausgestattet. Einer eigentlich für Säugetiere gutverträglichen Bohne wurde das Gen entnommen und in die Erbse transferiert - mit verheerenden Folgen. Die Mäuse, die damit gefüttert wurden, starben an Lungenentzündung.
Anlass genug für Greenpeace, mit Mäusemasken vor den Sitz der EU-Kommission zu marschieren und ihren Protest kundzutun. "Generbsen machen Mäuse krank. Das kann auch den Menschen so gehen", lauteten die Schriftzüge ihrer Transparente. "Von der Europäischen Union verlangen wir, dass sie ihre Genehmigungsbehörde grundlegend reformiert", so Strodthoff, dem die EU-Zulassungsverfahren nicht ausreichend sind und der den Mangel an langjährigen Studien kritisiert.
Skeptiker befürchten vor allem, dass durch Nahrungsmittel aus genveränderten Pflanzen Allergien zunehmen könnten. Wer beispielsweise gegen Nüsse al-lergisch ist, müsste dann bald auf Schokoriegel insgesamt verzichten, weil die Gene von Nüssen auch in anderen Bestandteilen des Riegels vorkommen könnten. Und wenn mit neuen Eigenschaften auch ganz neue Stoffe in die Nahrung kommen, von denen man nicht genau sagen kann, wie sie einmal wirken werden, erhöht sich auch das Risiko einer höheren Konzentration bereits vorhandener Allergene. Außerdem befürchten die Gengegner, dass sich in dem komplizierten Wechselspiel der Inhaltsstoffe doch etwas verschieben könnte, das Krebs oder andere Krankheiten auslöst.
"Wir müssen etwas pragmatischer sein", sagt dagegen der Abgeordnete des EU-Parlamentes und Vorsitzende des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit, Karl-Heinz Florenz. "Auch natürliche Nutzpflanzen haben eine intensive Kultivierung hinter sich." Und das Eiweiß, das jetzt durch MON 810 selbst von der Pflanze produziert wird, wurde bislang von vielen biologischen Landwirten gespritzt, ist also nichts Neues.
Wenig Lücken bei der Erprobung gentechnisch veränderter Produkte sieht denn auch Lothar Willmitzer vom Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenbiologie, der sich hauptberuflich mit den Lebensvorgängen innerhalb von Pflanzen beschäftigt. "Heute werden gentechnisch gezüchtete Pflanzen vor der Zulassung viel strikter auf Allergene oder bedenkliche Stoffe untersucht als herkömmliche Lebensmittel." Dies hält der Wissenschaftler für ausreichend und durch gentechnische Misserfolge belegt, "aus denen dann die richtigen Schlüsse gezogen wurden. Die Ausnahme bestätigt die Regel." Seit Jahren konsumieren Millionen Menschen Lebensmittel aus gentechnisch verändertem Mais oder Soja - ohne dass Gesundheitsprobleme aufgetaucht sind. "Ein gewisses Restrisiko kann man nie ausschließen", so Willmitzer, der seine eigenen Kinder nicht vor Genfood warnt.
Der Sprecher des Konzerns Monsanto fühlt sich durch die wissenschaftlichen Erkenntnisse ebenfalls genügend bestätigt. "Wir können nicht auf die fünfmillionste Studie warten, bis wir endlich mit dem Fortschritt anfangen", so Andreas Thierfelder. "Ertragssichere, qualitativ hochwertigere und schädlingsresistentere Pflanzen liegen vor uns." In den Entwicklungsländern könnten beispielsweise Pflanzen mit geringerem Wasserbedarf angepflanzt werden. Das würde auch Konflikte um die in Zukunft wertvollste Ressource verhindern. In diesem Jahr hat Monsanto die ersten Freisetzungsanträge für Mais gestellt, der weniger Wasser verbraucht. "Wer dann kritisiert, wir würden die Bauern von uns abhängig machen, der verkennt die landwirtschaftlichen Realitäten im Zeitalter der Globalisierung", so Thierfelder. "Die Stigmatisierung der Grünen Gentechnologie behindert die wissenschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung und mindert die Chance, etwas gegen den Hunger in der Welt zu tun."
Glaubt man den Befürwortern der Technologie, kann die Grüne Gentechnik noch viele andere Ernährungsprobleme lösen. So stirbt laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedes fünfte Kind an den Folgen von Mangel an Vitamin A. Das sind jährlich etwa eine Million Menschen. Eine halbe Million erblindet darüber hinaus daran. Doch mit Hilfe von Gentechnik haben Forscher beispielsweise die Reissorte "Golden Rice" entwickelt, die besonders viel Vitamin A erzeugt. Ihr Beta-Carotin-Gehalt sei 23 Mal höher als der anderer Reispflanzen, bestätigt eine Forschergruppe in der Zeitschrift Nature Biology. Selbst im wissenschaftlich ungünstigsten Fall könne mit der neuen Reissorte ein substanzieller Beitrag zur Verbesserung der Ernährung geleistet werden, rechnete der Journalist Dirk Maxeiner in einem Bericht der Zeitung "Die Welt" aus und kritisierte vor diesem Hintergrund die Torpedierungen von Forschung und Versuchen. Maxeiner plädiert dafür, Unternehmen nicht als organisierte Verbrechenskartelle zu denunzieren, sondern anzuerkennen, dass die Forscher ihre Erkenntnisse im Falle des "Golden Rice" sogar den Kleinbauern in den Entwicklungsländern geschenkt haben.
Allerdings gibt es Argumente, die selbst hartgesottene Befürworter der Technik nicht völlig wegwischen können. Als es in Kanada zum flächendeckenden Anbau von Genraps kam, konnte kein Bioraps mehr angebaut werden. Fleißige Bienen sammelten ohne Unterschied den Honig aller Pflanzen und transportierten die Pollen zwischen Bio- und Biotechpflanzen hin und her - zum Ärger der Biobauern und Ökoimker. "Die Natur kennt weder Gesetze noch irgendwelche Grenzen", so Ruth Brauner vom Öko-Institut, die sich in der Diskussion um die Gentechnik in der Landwirtschaft nicht auf eine Seite schlagen will, aber in Bezug auf den Anbau deutlich vor den Risiken warnt. "Pflanzen, die es heute noch gibt, könnten für immer verloren sein. Beispielsweise haben wir noch gentechnikfreien Raps. Wenn allerdings bald eine andere Sorte kommt, wird sich spätestens in 20 Jahren alles vermischt haben und eine hundertprozentige Reinheit nicht mehr zu finden sein", so die Biologin.
Derzeit sieht der Vorschlag zum Gentechnikgesetz die so genannte verursacherunabhängige Haftung vor. Sobald ein auf Bio- oder den konventionellen gentechnikfreien Landbau setzender Bauer eine Verunreinigung von mehr als 0,9 Prozent seiner Produkte feststellt und dadurch einen geringeren Preis auf dem Markt erzielt, kann er Entschädigung einfordern. Von wem ist allerdings unklar, denn alle an der "grünen Revolution" Beteiligten lehnen derzeit ab, in einen Fonds einzuzahlen. Die Saatguthersteller brandmarken diese Regelung als Bürokratieversessenheit und Anreiz für Klagewellen und Versicherungsbetrüger. Die Bauern wollen nicht allein für alles aufkommen, und die Bundesregierung hat ohnehin kaum Geld.
"Die Einrichtung eines Ausgleichsfonds kann zwar Verluste von auf Gentechnik verzichtenden Betrieben ausgleichen. Der Natur, deren Wildpflanzen ebenso bedroht sind, zahlt jedoch niemand einen Euro", so Ruth Brauner, die auch auf die Konsequenzen für die Artenvielfalt hinweist. Einerseits produzieren Maissorten wie MON 810 auch dann Gifte, wenn der Hauptschädling der Pflanze gar nicht zuschlägt, und das geschieht in Deutschland nur durchschnittlich alle drei Jahre. Damit wird - so Brauner - die Natur unnötig belastet und es können sich schnell Resistenzen bilden. Andererseits verbreiten sich gentechnisch veränderte Pflanzen in der Natur viel besser und lassen ihren "wilden" Pendants damit keine Chancen mehr.
Auch die so genannte Terminator-Technologie, die die Saatguthersteller erfunden haben, um die Nachzucht ihrer patentrechtlich geschützten gentechnisch veränderten Pflanzen zu verhindern, macht vor diesem Hintergrund immer wieder Schlagzeilen. Sie macht die Saat bestimmter Pflanzen nur für eine Verwendung nutzbar. Danach werden die Körner unfruchtbar. Vor dem Verlust von Nahrungssicherheit und Hungerkatastrophen warnen neben Greenpeace mehr als 30 andere Nichtregierungsorganisationen. Gerade die Entwicklungsländer könnte es hart treffen, wenn sich die Eigenschaften der sterilisierten Saat auf unmanipulierte Pflanzen ausbreiten. Vor allem die Menschen in Afrika sind auf die Verwendung eines Teils ihrer Ernte als Saatgut angewiesen. Mehr als 1,4 Milliarden Menschen werden damit versorgt. Weil sie den vollkommenen Verlust ihrer Unabhängigkeit fürchteten, lehnten sogar von Hungerkatastrophen heimgesuchte Länder wie Mosambik oder Malawi die Einfuhr von genmanipuliertem Mais in Notsituationen ab.
Die Diskussionen um Chancen und Risiken der Gentechnik verlaufen also äußerst kontrovers oder, wie manche meinen, sogar hysterisch. Der ehemalige Kulturstaatsminister und Münchner Philosophie-Professor Julian Nida-Rümelin konstatiert in den Debatten um die neuen Technologien die Dominanz von Euphorikern und Apokalyptikern. Es würde ideologisiert, tabuisiert und kategorisch ausgeschlossen - ohne abzuwägen oder vernünftige Risikokriterien aufzustellen.
In der Tat gelingt es Umweltorganisationen wie Greenpeace leicht, das Misstrauen in der Bevölkerung zu schüren und mit kernigen Argumenten Unterstützung in ihrem Kurs gegen die Biotechnologie zu gewinnen. Sie verfügen einerseits über die Deutungshoheit in dieser Frage, andererseits über lange Erfahrungen, sich Gehör zu verschaffen. So sind in deutschen Supermärkten Produkte, die direkt aus gentechnisch veränderten Lebensmitteln entstanden sind, nur äußerst selten in den Regalen. Greenpeace, das neben dem Schutz der Regenwälder und der Wale nun auch den Schutz der Reinheit unserer Nahrungsmittel auf seine Fahnen geschrieben hat, fand bei einer Razzia in 40 Städten genau 100 Tage nach der Verkaufserlaubnis durch die Bundesregierung lediglich vier gentechnisch veränderte Produkte. Und sie alle waren gekennzeichnet.
"Gentechnik ist in Deutschland ein Pisa-Problem", konstatiert Manfred Nüssel, Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes, dessen Mitgliedsunternehmen deutsche Bauernhöfe mit Futtermitteln versorgen. "Weil der Biologieunterricht an deutschen Schulen versagt, sind Kampagnen gezielter Verunsicherung und Angst so erfolgreich", kritisiert er und verweist auf eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Emnid, bei der herauskam, dass rund die Hälfte der Befragten überzeugt ist, gentechnikfreie Lebensmittel enthielten keine Gene. "Wie wollen Sie da noch argumentieren?"
Aufgrund der ablehnenden Haltung der Bevölkerung ist das Interesse der deutschen Landwirte an Genfood jedenfalls bislang noch gering. "Es besteht keinerlei Notwendigkeit, zur Gentechnik zu greifen", berichtet Jens Rademacher vom Deutschen Bauernverband. "Der Bauer pflanzt an, was der Verbraucher essen will." Und so kommt es, dass das Feld in Wulfen, auf dem der gentechnisch veränderte Mais so einträchtig neben dem herkömmlichen Viehfutter vor sich hin wächst, wohl noch lange ein seltenes Vorzeigebeispiel bleiben wird. Von den 108 Standorten, auf denen dieses Jahr der veränderte Mais wachsen sollte, wurde laut Greenpeace sogar schon eine Anmeldung zurückgezogen - dem Druck der Umweltschützer sei Dank.
Jérôme Cholet arbeitet als freier Autor zu den Themenschwerpunkten Lateinamerika und Afrika.