Einleitung
Die Stromerzeugung in Deutschland steht vor einschneidenden Veränderungen und einer deutlichen Strombedarfsdeckungslücke. Die Abbildung zeigt die Entwicklung des Kraftwerksparks in den vergangenen Jahren. Einem Rückgang bei Anlagen auf der Basis fossiler Energieträger und der Atomenergie steht eine Steigerung insbesondere bei Windkraftwerken gegenüber. Eine Projektion auf der Basis der Altersstruktur der Anlagen zeigt, dass in den kommenden 15 bis 20 Jahren eine Leistung in Höhe von rund 40 Gigawatt (GW) von neuen Kraftwerken aufgebracht werden muss. Wesentlicher Grund hierfür ist diealtersbedingte Stilllegung vonKohle- und Gaskraftwerken sowie die gesetzlich geregelte Stilllegung von Atomkraftwerken und der Ersatzbedarf bei Windkraftwerken mit ihrer wesentlich kürzeren Lebensdauer.
Bei diesen Neubaunotwendigkeiten, die immerhin ein Investitionsvolumen von rund 50 Milliarden Euro repräsentieren, sind die Auswirkungen des Verbrauchswachstums noch nicht berücksichtigt. Steigender individueller Komfort produziert steigenden Stromverbrauch: So hat sich etwa die Wohnfläche in Quadratmetern pro Bundesbürger seit 1960 glatt verdoppelt, die Zahl der Single-Haushalte verdreifacht, der Gerätebestand vervielfacht - mit entsprechenden Auswirkungen auf den durchschnittlichen Stromverbrauch pro Bürger.
Dieser Verbrauchsentwicklung stehen steigende Anforderungen an Klimaschutz und Ressourcenschonung gegenüber. In den vergangenen 100 Jahren betrug die globale Erderwärmung rund 0,7°C, der Kohlendioxid (CO2)-Anteil in der Erdatmosphäre erhöhte sich von 280 auf 380 ppm (parts per million). Betrachtet man eine Zunahme der Erderwärmung um etwa zwei Grad als klimapolitisch maximal akzeptable Obergrenze, dann sind bestenfalls noch 70 ppm an Anteilserhöhung "frei".
Auch hinsichtlich der Beschaffungsseite der Primärenergie steigt der Handlungsdruck. In Anbetracht der geophysikalischen Verteilung von Energierohstoffen sieht sich Deutschland einer steigenden Importabhängigkeit bei fossilen Primärenergieträgern (Gas, Öl und Kohle) ausgesetzt; die Braunkohle ist nur eine begrenzt beruhigende Ausnahme. Handlungsbedarf besteht also im Sinne einer zunehmend wichtiger werdenden geostrategischen Diversifikation der deutschen Primärenergiebezüge - "Energie-Außenpolitik" wird zum neuen Politikfeld.
Schließlich hat der veränderte Ordnungsrahmen (die grenzüberschreitende Öffnung der Märkte bei damit einhergehender Regulierung der Übertragungs- und Verteilnetze als natürliche Monopole) ökonomische Auswirkungen. Die Zielsetzung eines europäischen Binnenmarktes für Energie, die sich in eine weltweite Deregulierung der großen Infrastruktursektoren einordnen lässt, verändert paradigmatisch die Spielregeln von Stromerzeugung und -versorgung. Nicht an die Stelle, wohl aber an die Seite der Sicherheit und Zuverlässigkeit des "Strom-Wirtschaftens" tritt als wesentlicher Erfolgsfaktor die Markteffizienz. "Markt" ist dabei keineswegs eine singuläre Erscheinung, sondern durchgängiges Prinzip: (Primärenergie-)Beschaffungsmärkte sind ebenso relevant wie Kapital-, Absatz-, Technologie- und Knowhow-Märkte.
Welchen Anforderungen muss die Stromerzeugung der Zukunft genügen? Grundsätzlich muss sich diese Frage am dreifachen energiepolitischen Ziel einer sicheren, preisgünstigen und umweltverträglichen Stromversorgung ausrichten. Dabei müssen die Interessen einer nachhaltigen Entwicklung einerseits, einer kurz- und mittelfristig wirksamen Standortentwicklung andererseits und schließlich einer Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ausbalanciert werden - mit eindeutigen Antworten ist dies kaum möglich.
Vor allem sechs Herausforderungen spielen eine Rolle. 1. Die Stromerzeugung der Zukunft als Teil der Angebotsgestaltung muss Ziele, Potenziale und Optionen zur Gestaltung der Nachfrageseite (unter Effizienz- wie unter Volatilitätsgesichtspunkten) stärker ins Kalkül ziehen. 2. Sie muss die im Rahmen internationaler Vereinbarungen normierten Klimaschutzanforderungen technisch und wirtschaftlich umsetzen und deren Weiterentwicklung strategisch antizipieren. 3. Sie muss durch einen stärkeren Einsatz Erneuerbarer Energien (renewables) einen expansiven Beitrag zur längerfristigen Entwicklung und Umsetzung von Strategien zur Ressourcenschonung leisten. 4. Sie muss sowohl ihre Kosten als auch ihre Preise den Erfordernissen der jeweiligen Märkte entsprechend einstellen können und damit auch zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft beitragen. 5. Sie muss auch unabhängig von Marktkalkülen insgesamt sozialverträgliche Preise bieten können.
6. Sie muss schließlich sehr viel stärker als in der Vergangenheit Strategien und Instrumente zum "Hedging" (Abmilderung) der Brennstoffpreisrisiken entwickeln und zum Einsatz bringen.
Systementscheidung für Wettbewerb
2006 jährt sich nicht nur zum 20. Mal der Jahrestag des Reaktorunfalls von Tschernobyl - es ist auch fast 20 Jahre her, seitdem der damalige EU-Energiekommissar Cardoso e Cunha erste Entwürfe einer "Durchleitungsrichtlinie Strom" vorlegte. Und vor weniger als 20 Jahren sprach ein Vorstandsmitglied eines großen deutschen Stromversorgungsunternehmens vor dem Hintergrund der Diskussion um die Erleichterung des grenzüberschreitenden Stromhandels davon, dass Strom nun einmal "weder eine Ware noch eine Dienstleistung, sondern ein Gut besonderer Art" sei.
In der Zwischenzeit ist die Entscheidung gefallen: Aus der in den meisten europäischen Ländern und über die längsten Phasen der Entwicklung hinweg zumeist öffentlichen (staatlich oder kommunal verfassten) Aufgabe der Stromversorgung wurde als Ergebnis eines politischen Willensbildungsprozesses eine wirtschaftliche Betätigung - und dies im Wettbewerb.
Historisch und politisch standen die Ideen der "Daseinsvorsorge" bzw. in Frankreich des "Service publique" Pate für die jahrzehntelange öffentliche Ausgestaltung der Stromversorgung. Volkswirtschaftliche Überlegungen (die enorme Kapitalintensität der Infrastruktur-Investitionen, die den Gedanken eines "natürlichen Monopols" für die gesamte vertikal integrierte Stromversorgung nahe legten), aber auch industriepolitische Interessen unterstützten diese Form der Ausgestaltung. Erst im Zuge der technisch-wirtschaftlichen Entwicklung, des Verbrauchswachstums und auch der Erkenntnis, dass "Strom-Wirtschaften" nicht nur infrastruktureller Erfordernis, sondern eben auch unternehmerischem Gewinnstreben entspricht, entwickelten sich privatwirtschaftliche Betätigungen und "gemischt-wirtschaftliche" Organisationsformen.
Die politische Entscheidung für die Ausgestaltung der Stromversorgung als wirtschaftliche Betätigung im Wettbewerb war keine "graduelle", sondern eine Systementscheidung, und kam einem Paradigmenwechsel gleich. Diese in der Erkenntnis höherer volkswirtschaftlicher Effizienz begründete Systementscheidung erfordert nach Jahrzehnten des technisch-wirtschaftlich, politisch, rechtlich und auch kulturell völlig anders orientierten "Strom-Wirtschaftens" Zeit - nicht nur für die Umsetzung, sondern vor allem auch für deren Wirksamwerden. Diese entwicklungsnotwendige und durch keine Willensakte welcher Eindringlichkeit auch immer substituierbare Zeit ist notwendig für den kulturellen Wandel in den Unternehmen, für die Anpassung technischer Systeme und unternehmerischer Geschäftsmodelle, für die Ausgestaltung der Austauschbeziehungen zwischen den Unternehmen der Stromwirtschaft und ihren Kunden - und auch für die Ausgestaltung der Beziehung zwischen "freier" wirtschaftlicher Betätigung und politischer Ziel- und Rahmensetzung.
Dieses Wirkungsverständnis von Politik und Wirtschaft spielt bei der Beantwortung der Frage, ob und inwieweit die Systementscheidung für den Wettbewerb die gewünschte Wirkung entfalten wird, eine entscheidende Rolle. Die wesentliche Herausforderung der Politik (auf allen Ebenen) ist es, eine ausreichende Qualität der Rahmenbedingungen und Zielsetzungen zu liefern. "Qualität" meint nicht in erster Linie die inhaltliche Dimension, sondern "bescheidet" sich mit eher formalen Ansprüchen. Die entscheidenden Qualitätsindikatoren sind Klarheit, Konsistenz und Kalkulierbarkeit.
Relevant in diesem Zusammenhang ist auch die Weiterentwicklung des wettbewerbspolitischen und insbesondere des kartellrechtlichen Verständnisses. Der europäische Binnenmarkt entsteht durch Handel ebenso wie durch länderübergreifend tätige "europäische" Unternehmen. In erster Linie entscheidend ist die Frage nach der Abgrenzung des relevanten Marktes. Bei einer konsequenten Orientierung am europäischen Binnenmarkt für Energie stellen sich sehr viele Fragen angesichts der trotz spektakulärer Übernahme- und Beteiligungsmeldungen nach wie vor stark fragmentierten europäischen Unternehmenslandschaft gar nicht mehr oder nur noch deutlich entschärft. Eine zweite Frage ist die des grundlegenden kartellrechtlichen Ansatzes: eine stärkere Fokussierung auf eine in ihrer Durchschlagskraft gestärkte Missbrauchsaufsicht und eine deutlich zurückhaltendere Fusionskontrolle würde dem Grundverständnis politisch "gelieferter" Ziel- und Rahmensetzungen und unternehmerisch ausgefüllter Handlungsspielräume sehr viel mehr Rechnung tragen als interventionistische Ad-hoc-Übungen.
Für die Zukunft der Stromerzeugung ist dieser Zusammenhang evident. Denn: Preiszyklen sind marktnotwendig und konstitutives Element funktionierender Märkte. Diese Preiszyklen durch politisch motiviertes staatliches Handeln zu kappen käme dem Versuch gleich, die Wirkungsmechanismen von Märkten zu suspendieren. Die Monopolwirtschaft des Stromsektors der Vergangenheit wies eher hohe Preise und niedrige Preisrisiken auf. Die Wettbewerbswirtschaft (eines Teils des Stromsektors der Zukunft) zeichnet sich dagegen eher durch niedrigere Preise und höhere Preisschwankungen aus. Die Politik darf angesichts dieser fundamentalen Wirkungsmechanismen von Wettbewerbs-Wirtschaften ihre Systementscheidung für den Stromsektor nicht ad absurdum führen. Sie darf nicht den Versuch machen, das Beste beider Welten zusammenzuführen in der Illusion, das niedrigere Preisniveau des Marktes und gleichzeitig die höhere Preisstabilität des Monopols erreichen zu können. Die Systementscheidung "Wettbewerb" für den Stromsektor darf in Anbetracht der langfristigen Wirkung von Investitionsentscheidungen nicht als kurzfristige "Preisminimierungs-Veranstaltung" missverstanden werden.
In unmittelbarem Zusammenhang mit der Systementscheidung für den Wettbewerb steht die grundlegend höhere Bedeutung der Kapitalmärkte für die Zukunft der Stromerzeugung. Sie bewerten Renditeaussichten vor dem Hintergrund der sektor-, länder- und unternehmensspezifischen Risiken. In der "alten" Welt der Monopolwirtschaft konnten diese Risiken naturgemäß geringer veranschlagt werden als in der "neuen" einer wettbewerblich orientierten Stromwirtschaft. Dabei sind aus Sicht der Kapitalmarktpartner aber nicht nur das generell gestiegene Risiko und die damit einhergehenden Auswirkungen auf die Kosten der Kapitalbeschaffung zu sehen. Fast noch entscheidender sind die Relationen der Chancen-/Risikoprofile der verschiedenen Nachfrager. Wie steht das einzelne Unternehmen, das eine Investition in Stromerzeugungsanlagen plant und sich zu dessen Finanzierung des Kapitalmarktes bedienen will, da, bezogen etwa auf Effizienz und Diversifikation seiner Stromerzeugungsanlagen?
Für den Investor stellt sich sehr viel stärker als in der Vergangenheit die Frage, wie er sein Erzeugungsportfolio nach Technologien, Primärenergien sowie regionaler und zeitlicher Verteilung der Anlageninvestitionen gestalten kann, um dem Kapitalmarkt ein attraktives Chancen-/Risikenprofil anbieten zu können. In der Konsequenz wird diese Erfordernis der Effizienz und Diversifikation dazu beitragen, den Konzentrationsgrad in der Stromerzeugung zu erhöhen. In einem größeren Portfolio fällt es grundsätzlich leichter, ein vom Kapitalmarkt honoriertes, gut diversifiziertes Erzeugungsportfolio zu entwickeln.
Politische Instrumente
Zur notwendigen Klarheit, Konsistenz und Kalkulierbarkeit bezüglich Ziel- und Rahmensetzung gehören ganz wesentlich auch die auf die Strommärkte einwirkenden politischen Instrumente wie beispielsweise die Zertifikatssysteme des europäischen Emissionshandels. Der grundsätzlich außerordentlich positiv zu bewertende Weg, mit der Einführung des Europäischen CO2-Zertifikatshandelssystems dem knappen Gut "Klima" durch Preise einen Wert zu geben, muss konsequent weiter beschritten werden. Die Notwendigkeit einer effizienteren Abstimmung der Allokationspläne innerhalb der EU, die Einbeziehung aller Sektoren in den CO2-Handel, die verstärkte Einbeziehung der Nachfrageseite ("weiße" Zertifikate, z.B. im Gebäudebereich) und die Überprüfung der Emissionshandelspflicht von Kleinanlagen sind dabei generelle Zukunftsforderungen. Wichtig, gerade auch im Sinne der Kalkulierbarkeit von Ziel- und Rahmensetzungen, erscheint die Beibehaltung der Reduktionsziele zur Erfüllung der Kyoto-Verpflichtungen und auch die Verfahrensvereinfachung für internationale Klimaschutzprojekte. Bei der Ausgestaltung der Zuteilungsregeln erscheint die Idee einer Auktionierung (von gesetzlich maximal zulässigen zehn Prozent der Emissionsberechtigungen) in Anbetracht des damit einhergehenden administrativen Aufwandes und der wahrscheinlich sehr geringen Steuerungswirkung kaum zielführend. Stattdessen sollten hier konsequent die ökonomischen Mechanismen des Systems durch die Streichung einer Vielzahl von Sonder- und Übertragungsregelungen gestärkt werden.
Derzeit werden Zertifikate zunächst kostenlos verteilt. Aufgrund der Preisbildung am Markt werden diese Preise in den Strompreis eingerechnet und durch die Lieferkette an die Verbraucher weitergegeben. Weil Energie auch besteuert wird, kommt es für die Verbraucher zu einer Doppelbelastung. Auf Dauer wirken aber Zertifikate nur dann, wenn ihr Preis die Vermeidungskosten der Akteure richtig wiedergibt - dazu ist es notwendig, dass alle Zertifikate durch eine Auktion in den Markt eingespeist werden und der Staat die damit verbundenen Einnahmen zur Senkung der Energiesteuern einsetzt.
So positiv der "Zertifikatsweg" auch zu sehen ist, so wichtig ist es auch, die derzeit geltenden und mitunter bunt nebeneinander stehenden und gegeneinander wirkenden Instrumente ("Ökosteuer", Förderung über das Erneuerbare Energien-Gesetz/EEG, Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung/KWK und der Emissionszertifikatehandel) zu sichten, zu bewerten und neu zu ordnen. Diese Neuordnung des Nebeneinanders von Steuer-, Förder- und Zertifikatssystemen ist umso dringender, als mit diesem "politischen Allerlei" die Steuerwirkungen begrenzt, Fehlallokationen provoziert und letzten Endes die Standortentwicklung und die internationale Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt werden. Für alle wirtschaftlich tätigen Akteure sind die Belastungen der Energiepreise durch staatliche Instrumente wettbewerbsverzerrend, soweit sie im internationalen Wettbewerb stehen. Dies gilt insbesondere für energieintensive Unternehmen. Unter Allokationsgesichtspunkten ist dies für die Volkswirtschaft schädlich. In der Politik dominieren aber häufig Verteilungsgesichtspunkte.
Fast schon die "Hohe Schule" (angesichts des vorstehend beschriebenen Kleinen Einmaleins der für die Zukunft der Stromerzeugung relevanten Klimaschutzinstrumente) ist es, ein "einheitliches Währungssystem" der gängigen und denkbaren Zertifikate zu entwickeln: Zertifikatssysteme für CO2-Emissionen, für regenerative Energien und für Energieeffizienzmaßnahmen brauchen eher über kurz als über lang klare "Umtauschparitäten" - auch im Sinne der Kalkulierbarkeit künftiger Erzeugungsinvestitionen.
Für die Stromerzeugung der Zukunft von essenzieller Bedeutung ist eine klimaschutz- und ressourcenpolitisch motivierte "Transformationslogik", die sich an den eingangs diskutierten Zielen und Anforderungen orientiert. Geht man von der Strombedarfsdeckungslücke aus und betrachtet dabei sowohl die nachfrage- wie die angebotsseitigen Maßnahmen, müssen nachfrageseitige Maßnahmen Vorrang genießen. Nach Lage der Dinge kann aber ihr Beitrag kaum über die Mehrbedarfsdeckung hinausgehen: Die Verbrauchszuwächse können über Energieeffizienzmaßnahmen gedeckt werden, vielleicht auch noch ein bisschen mehr - keinesfalls aber die durch die Stillegung bestehender Kraftwerkskapazitäten entstehende Lücke.
Auf der Angebotsseite stellt sich (insbesondere auf der Grundlage des bestehenden Atomausstiegsgesetzes) grundsätzlich eine "Weggabel" dar: dem Kosten- resp. Preiskriterium folgend stellt der Einsatz von Kohle angesichts deren sicherer und relativ preisstabiler und ausreichend diversifizierter Verfügbarkeit die erste Wahl dar. Nicht so aber beim Anlegen des Klimaschutzkriteriums: Dieses korrespondiert grundsätzlich mit einer Minimierung des Einsatzes fossiler Brennstoffe. Hier sind Erneuerbare Energien erste, dem Kostenkriterium folgend aber teurere Wahl.
Mit der bisher überwiegend national ausgerichteten Förderpolitik werden mögliche Kostenvorteile durch verstärkte internationale Arbeitsteilung im Bereich der Erzeugung aus Erneuerbaren Energien nicht wirksam. Es erscheint merkwürdig, dass ausgerechnet in dem Bereich, in dem naturbedingte Kostenunterschiede eine große Rolle spielen, der europäische Markt kaum wirksam wird. Europa hat sich für die Ausweitung des Beitrags Erneuerbarer Energien hohe Ziele gesetzt. Damit diese wirtschaftsverträglich umgesetzt werden können, ist eine europaweite Arbeitsteilung eine wesentliche Voraussetzung. Dies erfordert auch eine Harmonisierung der Förderinstrumente.
An zweiter Stelle rangiert das Erdgas. Für dessen relative Umweltverträglichkeit muss aber in gleich zweifacher Bedeutung ein hoher Preis gezahlt werden: Bei der künftigen Preisentwicklung muss zum einen von hohen Preisvolatilitäten ausgegangen werden, zum zweiten sind die weltweit verfügbaren und absehbaren Vorkommen begrenzt und sollten möglichst ressourcenschonend eingesetzt werden.
Schließung der Bedarfslücke
Versucht man diese Erkenntnisse in ein pauschales "Basis-Ranking" umzusetzen, ergibt sich zur Deckung der durch die Stillegung bestehender Kraftwerkskapazitäten entstehenden Bedarfslücke folgendes Bild: Zunächst sollten (nachfrageseitig) alle Potenziale der Energieeffizienz ausgeschöpft werden. Auf der Angebotsseite sollten dann die Potenziale der Erneuerbaren Energien, gefolgt von einem Mix aus Kohle und Erdgas, eingesetzt werden. Der in Deutschland seit 2001 bestehenden gesetzlichen Regelung zum Ausstieg aus der Atomenergie folgend, wird in diesem "Basis-Ranking" kein weiterer Beitrag dieser Energie zur künftigen Strombedarfsdeckung unterstellt.
Große Bedeutung für die "Transformationslogik" kommt der Frage der zeitlichen Ausgestaltung zu. "Je später - umso mehr Spielraum" lautet die Faustregel. Je länger bestehende Anlagen bzw. getätigte Investitionen genutzt werden können, umso niedriger sind die durchschnittlichen Kapitalkosten pro erzeugter Kilowattstunde, und umso größer sind die preispolitischen Spielräume. Je später Neuinvestitionen notwendig werden, umso mehr Zeit steht für die technologische Entwicklung der Anlagen und Systeme und zu deren optimiertem Einsatz zur Verfügung. Je "reifer" Anlagen und Systeme eingesetzt werden, umso größer ist der Beitrag zum Klimaschutz und zur Ressourcenschonung.
Diskutiert man vor dem Hintergrund dieser Transformationslogik die nachfrageseitigen Optionen (als Beitrag zur Vermeidung bzw. Verminderung zukünftiger Stromerzeugungsinvestitionen), lohnt sich eine Fokussierung auf die Energieeffizienzpotenziale bei der Energieanwendung und -nutzung in Haushalten, Industrie und öffentlichen Einrichtungen. Vorhandene Potenziale sind noch nicht ausgeschöpft. Durch den Einsatz von dezentralen KWK-Anlagen besteht ein zusätzliches Potenzial im Gebäudebereich, sofern die Weiterentwicklung der dezentralen Techniken im Hinblick auf Investitionskosten und technische Zuverlässigkeit gelingt. Auch angebotsseitig sind wesentliche Energieeffizienzpotenziale, besonders bei der Umwandlung von Primärenergieträgern (Verbesserung der Brennstoffausnutzung und Erhöhung der Anlagenwirkungsgrade), zu sehen.
Bei den Erneuerbaren Energien (gemeint ist hier nicht die Wasserkraftnutzung in Österreich, der Schweiz oder den skandinavischen Ländern) klaffen große Lücken zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen zugeschriebener Attraktivität und tatsächlichem Beitrag, zwischen empfundenem Bedürfnis und artikuliertem Bedarf. Trotzdem: Die technisch-wirtschaftliche Entwicklung der verstärkten Nutzung der Erneuerbaren Energien ist eine der großen Herausforderungen für die Stromerzeugung der Zukunft. Jenseits der technologiespezifischen Entwicklungsaufgaben, die hier nicht weiter diskutiert werden können, besteht die Herausforderung vor allem in der Integration der "Erneuerbaren" in die stromwirtschaftlichen Systeme (Stichworte: Einspeisemanagement, Weiterentwicklung der Transportfunktion der Übertragungsnetze, Konzeption bidirektionaler Netze), aber auch in weitergehenden Systemfragen der Integration von Strom etwa aus fluktuierender Einspeisung ("Schattenkraftwerke" zur Leistungssicherung, Regelenergiebedarf, Weiterentwicklung der Speichersysteme). Längerfristig kann die Wasserstofftechnologie durchaus eine Option zur Optimierung der Integration regenerativ erzeugten Stroms in die Versorgungssysteme darstellen. Noch klafft jedoch eine große Lücke zwischen Marktfähigkeit und Kosten bei vielen Erneuerbaren Energien.
Betrachtet man die Perspektiven der fossil gefeuerten Kraftwerke der Zukunft, darf - bei allen ökologischen Schatten - das Licht am Ende des Tunnels nicht übersehen werden. Natürlich stellt die Verbrennung fossiler Brennstoffe in Kohle- und Gaskraftwerken eine physikalisch unvermeidbare Freisetzung von Treibhausgasen dar. Die bereits erreichte Verbesserung der Brennstoffausnutzung und die damit einhergehenden Wirkungsgraderhöhung hat erhebliche Beiträge zur Reduktion der spezifischen CO2-Emissionen pro Kilowattstunde erzeugten Stroms geleistet. Die absehbaren weiteren Effizienzsteigerungsmöglichkeiten (etwa durch Optimierung der Dampfparameter) lassen einen Wirkungsgrad von 55 Prozent als realistisch erscheinen. Trotz dieser Maßnahmen bleibt das CO2-Thema die wesentliche Herausforderung einer kohle- (und, in geringerem Umfang, auch gas-) basierten Stromerzeugung der Zukunft.
Drei Lösungswege sind als Entwicklungspfade zu sehen: die CO-Sequestrierung, d.h. die Abscheidung des CO2 aus dem Rauchgas und dessen Einlagerung; die integrierte Kohlevergasung; die Verbrennung fossiler Brennstoffe unter reinem Sauerstoff. Insbesondere die CO2-Sequestrierung wird technologisch (Corretec-Programm der Bundesregierung) und in ersten Pilotanwendungen (Projekt der Vattenfall Europe AG) derzeit weiterentwickelt - ein großtechnischer Einsatz ist etwa ab 2020 denkbar.
Bei allen Ansätzen zur Effizienzsteigerung der Endenergiebereitstellung mit dem Ziel einer weitestgehenden CO2-freien Stromerzeugung besteht die grundlegende Herausforderung darin, die Verfahren an den "normalen" Kraftwerksbetrieb anzupassen und in geschlossene, ökonomisch und ökologisch optimierte Prozessketten zu überführen. Diese zwar herausfordernden, gleichwohl aber keineswegs illusionären Perspektiven erfahren durch die strategischen und ökonomischen Bedingungen des Einsatzes fossiler Brennstoffe, jedenfalls der Stein- und Braunkohle, noch eine zusätzliche Attraktivitätssteigerung. Die weltweiten Kohlevorkommenhaben nach derzeitigem Erkenntnisstand eine Reichweite von mindestens 400 Jahren, die Vorkommen sind geophysikalisch breit diversifiziert, insbesondere auch in Ländern mit geringem "Länderrisiko", die absehbaren Preisvolatilitäten stellen keine besondere Herausforderung dar, die Basistechnologie des Kohleeinsatzes in der Stromerzeugung ist ausgereift. Bis auf diesen letzten Punkt sind alle anderen Aspekte beim Erdgaseinsatz eher als Risikopunkte zu betrachten: Die Vorkommen sind begrenzt, die Förderung eher oligopolisiert, die Volatilitäten ausgesprochen risikoinvers - ein großflächiger Einsatz von Gas zur Stromerzeugung kann deshalb kaum eine Basisstrategie für die Zukunft sein.
Eine durchaus denkbare Nische für den Gaseinsatz stellen demgegenüber dezentrale Anlagen zur Stromerzeugung dar. Mit solchen Gasmotoren- oder -turbinenanlagen und in Zukunft auch Brennstoffzellen können verbrauchsnah Strom-, Wärme- und auch Dampf- und Kältebedarfe mit hoher Brennstoffausnutzung gedeckt werden.
Zukunft der Atomenergie
Energiewirtschaft muss, auch in liberalisierten Märkten, grundsätzlich den Primat der Politik akzeptieren - mehr noch, ihn im Sinne klarer, konsistenter und kalkulierbarer Ziel- und Rahmensetzungen sogar einfordern. Dies gilt auch für das von der rot-grünen Bundesregierung beschlossene Atomenergieausstiegsgesetz. Nicht übersehen werden darf die breite gesellschaftliche Distanzierung von der Atomenergie - und häufig auch deren dezidierte Ablehnung. Wirtschaft insgesamt muss - jenseits von Argumenten und Interessen - solche Voten grundsätzlich akzeptieren, und jedes Unternehmen muss aus wirtschaftlichem Kalkül gesellschaftliche Akzeptanz auch in seinen Businessplänen einrechnen.
Problematisch wird es jedoch, wenn in der Diskussion um die Stromerzeugung der Zukunft politische Ziel- und Rahmensetzungen das "Spielfeld" der Energiewirtschaft definieren, die vielleicht klar, möglicherweise sogar kalkulierbar, aber alles andere als konsistent sind. Bislang ist eine schlüssige Antwort offen, wie der Ausstieg aus der Atomenergienutzung zu den definierten klimaschutzpolitischen Zielsetzungen (Kyoto), den getroffenen Primärenergie- und Technologiepräferenzen und -sanktionierungen, den standortpolitischen Zielsetzungen und nicht zuletzt zur im Rahmen internationalen "Strom-Wirtschaftens" erforderlichen Wettbewerbsfähigkeit passen soll.
Es ist eine Tatsache, dass die gesetzlich geregelte und zwischen Bund und Kraftwerksbetreibern vertraglich vereinbarte Laufzeitverkürzung deutscher Atomkraftwerke eine Form der Kapitalvernichtung (und damit eine volkswirtschaftliche wie unternehmensbezogene Belastung) darstellt, der keine entsprechende Veränderung der Sicherheitsparameter gegenübersteht. Fakt ist weiter, dass die durch die Laufzeitverkürzung erforderlichen Neubauinvestitionen nicht nur das "billige Ende" der vorzeitig abgeschalteten Kraftwerke ungenutzt, sondern durch die zuwachsenden Kosten neuer Anlagen die durchschnittlichen Stromgestehungskosten ansteigen lassen. Zudem können durch den Zeitpunkt der Neubauerfordernisse die bei einem längerfristigen Ersatz nutzbaren Effekte in der Entwicklung einzelner Technologien wie auch der Optimierung der Systemintegration (Erzeugung und Netz) nicht in dem möglichen Maße genutzt werden. Und nicht zuletzt: Nach Lage der Dinge wird der Ausstieg aus der Atomenergienutzung mit einem unvermeidlichen Anstieg der Treibhausgasemissionen einhergehen.
Damit sollen weder die gesellschaftliche Willensbildung, noch die bislang ungelöste Problematik der Endlagerung des Atommülls, noch unterschiedliche Sicherheitsbedürfnisse, noch die Problematik der Veränderung der internationalen Sicherheitslage bezüglich kerntechnischer Anlagen als ernsthaft zu berücksichtigende Argumente negiert werden. Aber genauso wenig dürfen klimaschutzpolitische Ziele und volkswirtschaftliche Erfordernisse aus dem Blick geraten. Es ist unvermeidlich, dass ein erheblicher Teil der wegfallenden Kapazität von Atomkraftwerken durch Anlagen auf fossiler Basis ersetzt werden wird. Angesichts der langen Lebensdauer solcher Anlagen (bis etwa 2060) lädt sich die deutsche Volkswirtschaft hier eine Hypothek auf, die zukünftig den verstärkten Einsatz dann verfügbarer neuer Technologien (z.B. Brennstoffzellen) erschwert und verzögert.
Im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung ist dies nicht. Die ehrliche Infragestellung der politisch motivierten Laufzeitverkürzung der bestehenden deutschen Atomkraftwerke unter Heranziehung höchster Sicherheitsstandards wäre vor diesem Hintergrund ein verantwortliches Gebot der Stunde.