Was für ein Stoff: Kurz vor der Deponierung einer "Mini-Nuke" im Reichstag stoppt die Polizei ein islamistisches Terrorkommando - ausgerechnet ein israelischer Forscher hat diese atomare "Rucksackbombe" den Attentätern in die Hände geschmuggelt, um sich auf diese verrückte Weise am Land der Judenmörder zu rächen. Vor diesem Finale gehen Polizei und Geheimdienste fälschlicherweise davon aus, dass dieser in der Luft liegende Anschlag der Fußball-WM gilt. Horst Ehmke platziert sein neues Werk voll in der Aktualität. Sex fehlt natürlich auch nicht: Zwei türkische Agentinnen frönen lesbischer Leidenschaft. Eine der beiden, Ayse Güntürk, wird wie ihr Geliebter Andreas Basler, ein BKA-Ermittler, bei Einsätzen gegen Terroristen erschossen - die tragischen Helden des Buchs. In der Mensa der Humboldt-Uni lässt die Polizei einen islamistischen Unterstützertrupp von Terroristen hochgehen, Schießerei inklusive Toten und Verletzten. Deutsche Rechtsextremisten verkaufen Sprengstoff, der bei der Bundeswehr geklaut wurde, an islamistische Zirkel. In Nikosia gerät Basler ins Spinnennetz des israelischen Mossad, der über Ayse Güntürks Gespielin Sara Aksin mit den türkischen Diensten kungelt.
Kurzum: Es fehlt nicht an Ingredienzien für einen Polit-Thriller. Ehmke kennt sich als Chef des Kanzleramts unter Willy Brandt in der Welt der Geheimdienste ja auch aus. Allerdings will sich das Gefühl, in einen Krimi mit aufreibendem Nervenkitzel einzutauchen, nicht so recht einstellen. Erst in der Schlussphase kommt beim Anmarsch der Attentäter über die Berliner Gewässer Richtung Reichstag so etwas wie Aufregung auf.
Dem Buch fehlt der offene oder verdeckte Kampf zwischen Guten und Bösen als Spannungsbogen und durchgängige Handlungslinie. Die Terroristen bleiben schemenhaft im Hintergrund, sind keine aktiven Akteure, die Leser lernen sie als Menschen aus Fleisch und Blut mit diabolischer Energie und religiösen Wahn nicht kennen. Der "Jordanier", der über ein Berliner Antiquariat die Fäden zieht, und der "pakistanische Atomwissenschaftler" werden als Verschwörer nur indirekt über polizeiliche Ermittlungen eingeführt.
Im Grunde hat Ehmke keinen Thriller, sondern eine Art kritisches Polit-Lehrbuch geschrieben: Wie weit darf der Rechtsstaat beim Kampf gegen den Terrorismus gehen, wann unterminiert er seine eigenen Prinzipien? Diese Debatte verlagert der Autor in den Sicherheitsapparat hinein. Als Antagonisten lässt Ehmke den Ermittler Basler und dessen BKA-Mentor Walter Kuhlmann die Klingen kreuzen, diese beiden spinnen mit ihren Dialogen den roten Faden des Werks.
Der von Selbstzweifeln geplagte Basler tritt als Verteidiger strikter Rechtsstaatlichkeit auf: Auch gegenüber Terroristen dürfe der Staat nur unter bestimmten Voraussetzungen und ausnahmsweise Gewalt anwenden, schon gar nicht dürfe er Krieg führen. Der schwäbische Pfarrerssohn ist einst aufgrund seiner Erfahrung mit Gewalt und Gegengewalt in der APO-Zeit zur Polizei gegangen, um auf deren Seite Gewaltexzesse zu verhindern und zur Deeskalation beizutragen. Er fürchte, sagt Basler, dass eine falsche Reaktion auf den islamistischen Terror mehr Schaden anrichten könne als die Terroristen selbst: Gehe man zur "präventiven Repression" über, werde man "allen Radikalen ein Sympathisanten-Umfeld schaffen". Im Gegenzug lässt der Autor Baslers Freund Kuhlmann darauf hinweisen, dass sich durch den Terrorismus nun mal die Bedrohung verschärft habe. Man führe keinen Krieg, könne aber auf militärische Maßnahmen nicht generell verzichten. Im Innern werde das rechtsstaatliche Polizei- und Strafrecht nicht abgeschafft, sondern entsprechend der Sicherheitslage fortentwickelt, es gehe um eine "angemessene" Gefahrenabwehr.
Der politische Clinch zwischen Basler und Kuhlmann liest sich interessanter als der nicht so recht zünden wollende Showdown zwischen Polizei und Attentätern. Ehmke entscheidet das Duell zwischen dem BKA-Ermittler und seinem Mentor nicht, auch wenn er offenbar mit Kuhlmanns Position sympathisiert: Die Leser können und müssen ihrerseite die Argumente wägen.
Horst Ehmke:
Im Schatten der Gewalt.
be.bra Verlag, Berlin 2006; 220 S., 17,90 Euro