Der Legende nach hatte Odysseus alle Mühe, seine Mannen von der Insel Djerba wegzulocken. Honigsüße Jasminblüten kauend, waren sie dem Charme der heute zu Tunesien gehörenden Insel erlegen. Seit Odysseus ist Djerba ein Ort des Dialogs, beschwört Jean-François Boyer, Initiator eines Anfang Mai dort stattgefunden Fernsehfestivals, den Mythos der Region. Hier treffen Kulturen und Religionen aufeinander. Perfekter Schauplatz für ein Festival, das sich um interkulturellen Dialog zwischen Okzident und Orient, zwischen europäischer und arabischer Fernsehkultur bemüht. Erstmalig kamen in Djerba Autoren, Regisseure und Produzenten beider Kulturen zusammen, um sich ausgewählte Fernsehsendungen anzuschauen.
Die dialogische Qualität der Begegnung fiel indessen etwas einsilbig aus. Die größtenteils aus Frankreich entsandten europäischen Produktionen bestanden weitgehend aus industrieller Konfektionsware - Serien, TV-Movies und Dokumentationen. Die Araber dagegen präsentierten mit ihren häufig historische Themen aufgreifenden Dokumentationen klassisches Bildungsfernsehen. Schon die Tatsache, dass das Festival zu gleichen Teilen vom tunesischen Tourismusministerium und vom französischen Außenministerium finanziert worden ist, offenbarte eine Diskrepanz: Die einen sorgen sich wegen eines Einbruchs in der Touristikbilanz nach dem Anschlag auf eine jüdische Synagoge im April 2002, dem auch deutsche Urlauber zum Opfer fielen, um den guten Ruf der All-inclusive-Insel. Die anderen sind vor allem am arabischen Fernsehmarkt und seinem boomenden Satellitenfernsehen interessiert.
Zwischen diesen divergierenden Kräften fühlten sich die arabischen Fernsehleute besonders fehl am Platz. Enttäuscht erklärte Najat Rizk, Produzentin einer Dokumentarserie über die 15 großen Religionen in ihrem Heimatland Libanon: Europäer akzeptieren arabische Programme kaum, weil sie nicht an einen Zuschauer-Appeal glauben. Die 39-Jährige war nach Djerba angereist, um unter den europäischen Kollegen nach möglichen Koproduktionspartnern zu suchen. Doch sie musste feststellen, dass Bildungsprogramme wenig gefragt sind, weil in Europa wie auch inzwischen im arabischen Raum die Fernsehtrends in eine ganz andere Richtung weisen.
Seit der Privatisierung und Marktöffnung des tunesischen Fernsehens im Jahre 2004 hat sich das Programmangebot dort radikal gewandelt. Neben dem für seine Informationskontrolle bekannten Staatsfernsehen existiert nunmehr der erste terrestrische Privatkanal, Hannibal TV, der sich erfolgreich einen Marktanteil von 25 Prozent sichern konnte. Die Werbegelder allerdings werden vom Satellitenfernsehen absorbiert. Dieses wies 2005 ein Wachstum von 87 Prozent auf. Wie überall auf der Welt ist dort das Immergleiche in endloser Folge zu sehen. Auf über 200 Kanälen, die den gesamten panarabischen Raum mit 300 Millionen Einwohnern bedienen, drängen sich Spielshows, Telenovelas, Musikvideos und Nachrichten.
Längst haben sich die großen Player des Fernsehgeschäfts strategisch positioniert. Als eine der ersten internationalen TV-Produktionen drängte der niederländische TV-Konzern Endemol ("Big Brother", "Wer wird Millionär") auf den arabischen Markt. Mit überaus großem Erfolg: 41 Prozent der täglichen Sehdauer gehen in Tunesien für Spielshows drauf. An erster Stelle steht die Endemol-Produktion "To deal or not to deal", die einen Marktanteil von 47,3 Prozent hat. Weitere 25 Prozent Marktanteil fallen auf den Sport, und die vom Staatssender Tunis 7 produzierte Familienserie Chouf-Li-Hall kommt auf stolze 22,5 Prozent. Dass unter den Regionalsendern französischsprachige Programme einen Anteil von 26 Prozent einnehmen, verdeutlicht die Begehrlichkeiten Frankreichs, das den boomenden Markt für sich erschließen will.
Die Zahlen pervertieren das Programm, klagt der tunesische Regisseur Mourad Cheikh, bevor überhaupt gedreht wird. Er glaubt, dass die starre Formatierung des Fernsehangebots, wie sie die westliche Programmlandschaft prägt, anspruchsvolle Formen der Fernsehunterhaltung in seinem Land immer schwieriger macht. Die arabischen Sender imitieren das funktionierende Programm des Westens, so Cheik, ohne ihm etwas Eigenständiges entgegenzusetzen. Der Dokumentarfilm etwa habe einen besonders schweren Stand. Weder gibt es Sendeplätze und Gelder, noch ist er beim tunesischen Publikum, das nach seichter Unterhaltung verlangt, sonderlich gut gelitten. Für eine Dokumentarserie über die Geschichte des Mittelmeerraumes muss Cheikh nun mühsam nach ausländischen Produzenten suchen und stellt fest, dass sie auf dem Festival fehlten.
Der Grund liegt darin, dass auch in Europa die Masse das Geschäft macht und triviale Unterhaltung den Nischenmarkt für anspruchsvolle Fernsehprogramme, der auch hier zu Lande hart umkämpft ist, überlagert. Eher noch als mit unbekannten arabischen Partnern zusammenzuarbeiten, würden deutschsprachige Sender wie Arte, 3 Sat oder andere Öffentlich-Rechtliche ihre eigenen Leute an solche Stoffe setzen. Für die auf dem Festival anwesenden arabischen Fernsehleute war es dementsprechend frustrierend festzustellen, dass seitens der Europäer allenfalls Interesse am arabischen Markt, aber nicht an den Machern vorherrschte. Selbst französische Sender, denen sich wegen fehlender Sprachbarrieren und der historischen Nähe zu ihren einstigen Kolonien ganz andere Möglichkeiten böten, zeigten kein rechtes Interesse an einer kulturellen Begegnung in Form von Koproduktionen.
Dass überhaupt deutsche Produktionen ins Programm aufgenommen wurden, verdankt sich dem Engagement des tunesischen Tourismusministers Haddad und seinem unermüdlichen Werben für die Insel. Doch weder "Das kurze Leben des José Antonio Gutierrez" von Heidi Specogna, ein Dokumentarfilm über den ersten gefallenen US-Soldaten im Irak-Krieg, noch eine Folge der Krimiserie "Kommissar Rex" erhielten sonderlich viel Resonanz. Interessant wäre zu erfahren gewesen, wie das arabische Publikum auf eine viel gelobte Serie wie Türkisch für Anfänger reagiert hätte. Die im März in der ARD ausgestrahlten und gelobten Folgen haben geschickt und auf selbstironische Weise mit den gegenseitigen Kulturklischees von Deutschen und Türken gespielt und auch an religiösen Anspielungen nicht gespart. Der ARD erschien es schließlich - dem Vernehmen nach wegen des Karikaturenstreits - als zu brenzlig, die Serie zu zeigen.