Der Gott von Bombay ist tot. Ganesh Gaitonde, liegt mit zerschossenem Schädel in einem steinernen Bunker, neben ihm die Leiche einer jungen Frau. In den Schränken lagert Geld, unglaublich viel Geld, und eine Batterie Gewehre. Der Selbstmord des gefürchteten Gangsterbosses gibt Rätsel auf. Was hatte Gaitonde in diesem eigenartigen Betonkubus zu suchen? Was plante er? Das fragt sich auch das indische Kriminalamt. Die Beamten des CBI wuseln merkwürdig angespannt zwischen den Toten herum, und Polizeiinspektor Sartaj Singh, der den Toten gefunden hat, wird sogar vom staatlichen Geheimdienst beauftragt, Informationen zu beschaffen. Irgendwas ist faul an diesem Fall. Irgendwo lauert Gefahr.
Sartaj Singh, der einzige Sikh-Inspektor der Stadt, ein geschiedener Mittvierziger mit Hang zu Depressionen, beginnt zu ermitteln. Er folgt Gaitondes Spuren in Bombays Unterwelt, trifft auf Frauen, Freunde und Feinde seiner gefürchteten "G-Company" und taucht dabei immer tiefer in die Abgründe der indischen Gesellschaft ein. Gewalt, Korruption und religiöser Fanatismus herrschen in diesem Milieu, es wimmelt nur so von bestechlichen Politikern und Polizisten, von Terroristen, Nachtclubbesitzern und drallen Bollywood-Sternchen, die gegen Bares in die Betten der Gangsterbosse schlüpfen. Ein Leben ist in dieser Schattenwelt kaum einen Lakh wert.
"Der Gott von Bombay" heißt das neue Buch von Vikram Chandra, der, 1961 in Neu Delhi geboren, zweifellos zu den außergewöhnlichsten Autoren der indischen Gegenwartsliteratur gehört. Schon sein erster Roman "Tanz der Götter" wurde in zwölf Sprachen übersetzt und mit Literaturpreisen überhäuft, seinem neuesten Werk wird es kaum anders ergehen. Mit ihm ist Chandra ein wirklich aufregendes Buch gelungen - ein Kriminalroman wie ein Bollywood-Film, bunt und voller Exotik, fesselnd, unterhaltsam und dabei zutiefst beunruhigend.
Chandra zeigt darin ein anderes Indien. Eines, dass ein wenig in Vergessenheit geraten ist, angesichts der Spitzenmeldungen aus dem Wirtschaftswunderland mit seinen funkelnden Bürokomplexen und den erstklassigen Universitäten für die Elite von morgen. Ganesh Gaitonde und Sartaj Singh sind davon weit entfernt: Bittere Armut, überfüllte Straßen, stinkende Slums - das ist ihr Bombay, ein lärmender, schwitzender Moloch, in dem Paschtunen und Brahmanen, Bengalen, Moslems und Marathen gleichermaßen ihr Glück versuchen. Gangster wie Gaitonde machen hier ihre Geschäfte.
"Indien", sagte Chandra jüngst auf einer Lesung seines Buches in Berlin, "ist schon lange konfrontiert mit Dingen, die zunehmend auch im Westen bedeutsam werden. Tagtäglich gibt es Anschläge mit vielen Opfern und religiöse Auseinandersetzungen, die Gewalt nimmt stetig zu."
Chandra legt den Finger in diese Wunde. In einer kraftvollen, drastischen Sprache, durchzogen vom rauhen Gossen-Slang Bombays, beschreibt er die Erbarmungslosigkeit dieser anderen indischen Realität und legt die schmierigen Netze offen, in die Polizei, Staat und Unterwelt seit jeher aufs Engste verwoben sind. Sartaj und Gaitonde überschreiten jeweils auf ihre Weise immer wieder die Grenzen ihrer Macht, ihrer Moral und Loyalität, beide sind sie Gefangene in diesem System der kleinen und großen Gefälligkeiten und gegenseitigen Abhängigkeit. Eine Hand wäscht die andere - dieses Prinzip gilt in Indien bis heute in nahezu allen Bereichen der Gesellschaft.
Chandra, der mal in Bombay, mal im kalifornischen Berkeley lebt, hat das bei seinen Recherchen im "Dark-Room" Bombays selbst erfahren. Sieben Jahre lang hat er mit Gangsterbossen, Polizisten, Schmugglern, Mördern und Bordellbesitzern gesprochen. Am Ende eines jeden Gesprächs, erzählt er in Berlin, habe er immer eine wohlgemeinte Empfehlung mit auf den Weg bekommen: "Wenn Du mal ein Problem hast, komm einfach zu mir." Und tatsächlich: Kürzer und treffender kann man nicht in Worte fassen, welche Kraft dieses Schattenreich in seinem Innersten zusammenhält.
Vikram Chandra: Der Gott von Bombay. Roman. Aufbau-Verlag 2006; 796 S.; 24,90 Euro.
Die Fortsetzung des Romans erscheint unter dem Titel "Bombay Paradise" voraussichtlich im November.