Wer ist Josef Ackermann wirklich? Einblicke in das Innenleben des mächtigen Vorstandssprechers der Deutschen Bank bietet Leo Müller in seinem neuen Buch nicht. Aber diesen Anspruch hat der Journalist, der für die Schweizer Wirtschaftszeitung "Cash" arbeitet, auch gar nicht. "Ackermanns Welt" ist gespeist aus dem, was über "Joe", wie ihn seine Bankerfreunde nennen, öffentlich zugänglich ist, und aus dem, was seine Weggefährten über ihn und er über sich selbst preisgeben wollen. Insofern weckt der Titel auch keine falschen Erwartungen. Auch der Untertitel "Ein Tatsachenbericht" ist korrekt, denn um eine Biografie im klassischen Sinne handelt es sich nicht.
Ackermanns Image in der Öffentlichkeit ist - sagen wir mal - verbesserungsfähig. Das weiß er auch selbst, denn Leo Müller gegenüber hat er ein "Kommunikationsproblem" eingeräumt. Dass es einem Agenturfotografen vor dem Mannesmann-Prozess im Düsseldorfer Gerichtssaal gelang, einen grinsenden Deutsche-Bank-Chef mit Victory-Zeichen einzufangen und dieses Foto das Ackermann-Bild in der Öffentlichkeit geprägt hat, ist eine Facette dieses Problems. Eine andere besteht wohl darin, dass Ackermanns Jahresbezüge von 11,9 Millionen Euro schon fast stereotyp immer dann im Munde geführt werden, wenn es darum geht, die ungerechte Einkommensverteilung in Deutschland zu illustrieren. Da liegt der Gedanke nahe, dass mit einem solchen Buch möglicherweise eine Image-Korrektur angestrebt werden soll, nach dem Motto: Der Ackermann ist gar nicht so. Doch solcher Sympathie- wie umgekehrt auch Antipathie-Bekundungen enthält sich Müller. Er lässt die Fakten sprechen, und zwar in einer erfrischenden und trotz der häufig sehr technischen Finanzmaterie lebendigen Sprache. Man liest das Buch gern, auch wenn einem diese Welt, Ackermanns Welt, eher fremd ist.
Müller zeichnet die Stationen Ackermanns nach: vom "Sepp", wie sie ihn in der ostschweizerischen Heimat nannten, zum "Joe", wie er von den Großen der Hochfinanz gerufen wird. Sohn eines Landarztes, Kantonsschule in Chur, Hochschule Sankt Gallen, dort promoviert beim renommierten Umweltökonomen Hans-Christoph Binswanger, allerdings mit einer geldtheoretischen Arbeit. 1977 Berufseinstieg bei der Schweizerischen Kreditanstalt (heute Credit Suisse), dort 1993 Präsident der Generaldirektion, 1996 Zerwürfnis mit Verwaltungsratspräsident Rainer E. Gut und von Hilmar Kopper in den Vorstand der Deutschen Bank geholt, seit 2002 Vorstandssprecher.
Müller schildert im Grunde zwei Ackermänner: den Aufstieg des hochintelligenten Überfliegers mit dem Willen, in der Weltliga der Banker ganz vorne mitzuspielen. Und den Ackermann, der es geschafft hat und der nun ganz oben steht, aber auch vor Gericht: Als Angeklagter im Prozess um die Rechtmäßigkeit von millionenschweren "Anerkennungsprämien" für Mannesmann-Vorstandsmitglieder im Zuge der Übernahme durch die britische Vodafone. Ackermann hatte als Mannesmann-Aufsichtsratsmitglied die in Frage stehenden Summen als international üblich und somit als normal betrachtet.
Schimmert aus den Kapiteln über den frühen Ackermann eine gewisse Sympathie des Autors für den "Menschenfänger" durch, so schwingt in den Kapiteln, die sich mit dem Bank-Chef befassen, eine zarte Kritik mit, etwa von der Art: Auswüchse bleiben auch dann Auswüchse, wenn sie international üblich sind. Ackermann ist, das wird dem Leser klar, kein Medienmensch und auch kein politischer Denker wie etwa der 1989 von der RAF ermordete Alfred Herrhausen, einer seiner Vorgänger. Mag sein öffentliches Renommee etwas ramponiert sein, in den oberen Etagen der hohen Bürotürme an den Wall Streets dieser Welt genießt Ackermann nach der Einschätzung des Autors einen tadellosen Ruf. Leo Müller öffnet seinen Lesern die Türen dieser Chefetagen einen Spaltbreit und lässt sie teilhaben an der Welt der internationalen Geldverschieber, ohne sie zu überfordern. Damit erfahren sie viel über Ackermanns Welt, doch wenig Neues über den Menschen Josef Ackermann.
Leo Müller: Ackermanns Welt. Ein Tatsachenbericht. Rowohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006; 256 S., 19,90 Euro.