William Smith, stellvertretender Chefankläger am Tribunal in Kambodscha, bringt die meiste internationale Erfahrung mit. Zehn Jahre lang war der Top-Jurist am Jugoslawien-Tribunal in Den Haag, bevor er im August seine Arbeit vor den Toren Phnom Penhs aufnahm. Wann das Tribunal gegen die letzten Verantwortlichen für das Schreckensregime der Roten Khmer nach vielen Jahren der Verzögerung nun endlich beginnen werde? Smith ist erstaunt über diese Frage: "Wir sind doch mitten drin." Der aufgeschlossene Australier rechnet damit, dass die ersten Anklageschriften Anfang 2007 vorliegen werden. Es herrsche keineswegs Beweisnot, wie internationale Beobachter befürchtet hatten.
In der Tat, wäre die Menge des Beweismaterials ein Maßstab für Gerechtigkeit, es bräuchte einem um den Erfolg des mit kambodschanischen und internationalen Juristen besetzten Tribunals nicht bange zu sein. Allein das kambodschanische Dokumentationszentrum in Phnom Penh hat dem Tribunal 383.149 Dokumente, Zeugenaussagen, Filme und Fotos übergeben, die in den vergangenen zehn Jahren über die Verbrechen der Roten Khmer gesammelt worden sind. Aus Sicherheitsgründen wurde ein Teil der brisanten Unterlagen vorübergehend außer Landes gebracht. Auch Kopien auf Mikrofilm befinden sich im Ausland.
Leiter des von den USA finanzierten Dokumentationszentrums ist Youk Chhang. Der vor Engagement sprühende Kambodschaner hat seine ganze Kraft in den Aufbau der Organisation gesteckt, ohne die die Richter heute mit leeren Händen dastehen würden. Für Youk, der als Neunjähriger ins Gefängnis gesteckt wurde und zahlreiche Familienmitglieder unter den Khmer Rouge verloren hat, ist der Erfolg des Tribunals sicher: "Unsere Unterlagen beweisen die grausamen Taten des Terror-Regimes unter Pol Pot. Wir haben zahlreiche Interviews mit den Opfern, wir haben Filme und Dokumente über die Massengräber." Dem Regime "Demokratisches Kampuchea" sind nach Schätzungen 1,7 bis zwei Millionen Kambodschaner zum Opfer gefallen. Die Menschen starben an Zwangsarbeit, verhungerten, wurden gefoltert, erlagen Krankheiten und wurden in Massengräbern verscharrt. Die Rede ist von 20.000 solcher Gräber. Nahezu die gesamte Intelligenz des Landes wurde ausgelöscht.
Erst Anfang 1979 wurde das Regime unter Pol Pot durch Vietnamesen aus dem Amt vertrieben. Danach dauerte es noch einmal viele Jahre, bis die internationale Gemeinschaft den Wunsch äußerte, den Massenmord der Roten Khmer zu ahnden. Pol Pot starb 1998, Ieng Sary lebt in einer Villa in Phnom Penh und gilt als einer der wenigen, die sich vor dem Tribunal verantworten sollen. Im Sommer starb Ta Mok, der als Chef der Südwestzone für die Tötung von Zehntausenden im Zuge von Parteisäuberungen verantwortlich war. Bleiben noch Duch, der Kommandant des Foltergefängnisses Tuol Sleng, der seit Jahren ohne Anklage im Gefängnis sitzt, der frühere Staatschef Khieu Samphan und der Chefideologe Nuon Chea. Letztere sind um die 80 Jahre alt.
Andere hochrangige Rote Khmer sind wie vom Erd-boden verschluckt, seit das Tribunal mit den Ermitt-lungen begonnen hat. Die Information, einige würden beschattet, will niemand bestätigen. Nach den Vereinbarungen der Vereinten Nationen und der kambod-schanischen Regierung können einerseits die "senior leaders" des Regimes, also die politische Spitze, und andererseits die "most responsible", die Hauptverantwortlichen, vom Tribunal belangt werden.
Mit mehr als sechs bis acht Angeklagten rechnet ei-gentlich niemand, doch Ankläger William Smith warnt davor, den Kreis der Verdächtigen zu klein zu ziehen; Überraschungen seien im Zuge der Ermittlungen nicht auszuschließen. In diesem Zusammenhang fanden Äußerungen des deutschen Botschafters in Kambodscha, Pius Fischer, in einem Interview mit der "Phnom Penh Post" größte Beachtung. Er hoffe, so Fischer, das Tribunal werde die Botschaft aussenden, dass es selbst für diejenigen keine Straflosigkeit gibt, die die höchs-ten politischen Ämter bekleiden. Als Hinweis auf die Vergangenheit von Ministerpräsident Hun Sen, der unter Pol Pot die Seiten wechselte und nach Vietnam flüchtete, ist die Interviewäußerung sicher nicht zu verstehen. Aber es ist kein Geheimnis, dass im amtierenden Kabinett Minister sitzen, die mit den Roten Khmer gemeinsame Sache gemacht haben.
Die kambodschanische Kollegin von Smith, Chea Leang, will nicht ausschließen, dass das für drei Jahre festgelegte Tribunal unter Umständen sogar länger dauern wird. Fast jeden Tag treten neue Schwierigkeiten auf. Anfangs fehlte es an der technischen Ausrüs-tung. Dann machten sich sprachliche Probleme unter den internationalen Juristen aus aller Welt und ihren kambodschanischen Kollegen bemerkbar, die des Englischen kaum mächtig sind. Die größte Klippe aber ist der juristische Sachverstand. Erst seit drei Jahren gibt es eine Schule für Richter in Kambodscha, bis vor kurzem war für sie kein Universitätsabschluss erforderlich. Es ist noch nicht lange her, dass ein Richter mit 30 bis 40 Dollar im Monat auskommen musste, was die Korruption begünstigte.
17 kambodschanische und zehn internationale Richter sind als Mitglieder des Tribunals vereidigt worden. Die kambodschanische Regierung hatte durchgesetzt, dass einheimische Juristen in der Mehrheit sind. Die am besten ausgebildeten haben mehrere Jahre in der ehemaligen DDR studiert, so auch Thou Mony, Richter am Berufungsgericht in Phnom Penh. Jörg Menzel, der den kambodschanischen Senat juristisch berät, sieht das Tribunal als Herausforderung und Chance zugleich, an den Missständen im Rechtswesen zu arbeiten. Selbst der stellvertretende Ministerpräsident Sokh An spricht von einem Modell für die Gerichtsentwicklung in Kambodscha insgesamt.
Seit November arbeitet auch der 33-jährige Hamburger Staatsanwalt Jürgen Assmann am Tribunal. Hatte er sich in den vergangenen Jahren hauptsächlich mit organisierter Kriminalität beschäftigt, so assistiert er jetzt der Co-Chefanklägerin Chea Leang. Assmann sieht die juristische Aufarbeitung als einen "wesentlichen Beitrag zur Verarbeitung des nationalen Traumas". Eine Aufklärung in ganzer Breite sei angesichts der Dimension des Unrechts in diesem Land nicht zu leisten. Auf die Frage, ob Urteilsfindung drei Jahrzehnte nach den Verbrechen der Roten Khmer überhaupt noch möglich sei, betont Assmann, wenn es gelinge, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, dann sei dies ein ganz wichtiges Signal an alle anderen Diktatoren dieser Welt: Sie können sich auch nach langem Zeitablauf niemals sicher sein, dass nicht doch noch eine strafrechtliche Aufarbeitung erfolgt.
Vann Nath ist einer der letzten Überlebenden von Tuol Sleng, dem berüchtigten S-21-Gefängnis in Phnom Penh. Das heutige Museum zeigt neben den Fotos der Gefolterten und Ermordeten plakative Ge-mälde, die die Gräueltaten der Roten Khmer festhal-ten. Gemalt hat sie Vann Nath, der dank seiner Kunst überlebte. Heute betreibt der 62-Jährige ein kleines Restaurant. Rachegedanken gegen die Täter hege er nicht, "ich möchte nur, dass diejenigen, die mich ge-foltert haben, erkennen, was sie getan haben und dass das ein Verbrechen gewesen ist." Es könne nicht sein, so Vann Nath, dass nur einige wenige verurteilt würden. "Die Täter leben noch, und sie können sich im Land frei bewegen. Ich kenne sie und ich habe sie selbst gesehen."