Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist von der Gipfelkonferenz der Staats- und Regierungschefs der NATO in Riga ein Signal der Geschlossenheit ausgegangen. Die Gipfelteilnehmer hat vor allem die Mission der Allianz in Afghanistan beschäftigt. Wenn auch mit unterschiedlichen Nuancen, so hieß es aus Teilnehmerkreisen, haben alle Staats- und Regierungschefs betont, dass die Aufgabe, Afghanistan als Staat, aber auch infrastrukturell wieder aufzubauen, nicht nur mit militärischen Mitteln gelöst werden kann. Das Prinzip der vernetzten Operationen, an denen auch die Entwicklungshilfe, die Wirtschaftshilfe, die Polizei, das Justizwesen und andere beteiligt sind, wurde von allen als richtig bestätigt. Vor allem die Bundeskanzlerin hatte sich für dieses Konzept, das die Bundeswehr mit ihren zivilen Partnern in den Wiederaufbauteams bereits praktiziert, eingesetzt.
Im Vorfeld des Gipfels haben NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer und andere Klage geführt, dass es bei den in Afghanistan eingesetzten Truppen nationale Vorbehalte gibt, die deren Einsatz regional oder von den Aufgaben her begrenzen. Zudem fehlten Soldaten für die Operation gegen die Taliban im Süden. Vor allem in Deutschland wurden diese Mahnungen als Kritik verstanden und diskutiert. In diese Debatte hat die Gipfelkonferenz neue Klarheit gebracht.
Bundeskanzlerin Merkel hatte schon im Vorfeld erklärt, dass die Bundeswehr mehr als die zusagte Hilfe in Notsituationen im Süden nicht leisten kann, da dies auch den Einsatz im Norden gefährden würde, wo die Bundeswehr Verantwortung für eine Region trage, in der 40 Prozent der afghanischen Bevölkerung leben.
Die Kanzlerin fragte am Rande der Konferenz den NATO-Oberbefehlshaber, General Jones, was er von den Deutschen an zusätzlichen Leistungen erwarte. Nach Angaben aus deutschen Regierungskreisen äußerte sich Jones zufrieden über den deutschen Beitrag. Er habe keinen zusätzlichen Bedarf an Bodentruppen. Nach der jüngsten Truppenstellerkonferenz für den Einsatz im Süden haben einige Staaten ihre Zusagen noch nicht erfüllt. Vor dem Gipfel wurde das Fehlen an zugesagten Soldaten mit 20 Prozent, nach dem Gipfel mit zehn Prozent angegeben. Jones meldete einen zusätzlichen Bedarf an Hubschraubern, Transportflugzeugen und Aufklärung an. Die Unterstützung der Bundeswehr im Bereich der Kommunikation (Fernmelder), der Logistik und der Sanitätsversorgung sei aber völlig ausreichend.
Italien und Frankreich haben dem Vernehmen nach ihre Mandate dahingehend geändert, dass sie nun auch - wie die Bundeswehr schon länger - in Notsituationen zeitlich und vom Umfang her begrenzt in den Süden gerufen werden können. Weitere Zusagen für militärisches Personal gab es nicht.
Allerdings wurde auch in den Diskussionen deutlich, dass die zivile Komponente gestärkt werden soll. NATO-Generalsekretär de Hoop Scheffer und der französische Präsident Chirac hatten - wie beide betonen, unabhängig voneinander - den Vorschlag einer Afghanistan-Kontaktgruppe gemacht, die die Aufgabe haben soll, alle in Afghanistan beteiligten Gruppen und Organisationen besser zu koordinieren. Mitwirken sollen an dieser Kontaktgruppe die UNO, die EU, die Weltbank, Entwicklungshilfeorganisationen und Staaten, die sich dort engagieren.
Die Afghanistan-Mission ist die wichtigste, mit der sich die NATO zurzeit beschäftigt. Die Diskussionen um die anderen, vor allem die im Kosovo, spielten eine nachrangige Rolle. Allerdings hat die NATO ein klares Zeichen in Richtung Westbalkan gesetzt. Mit Bosnien-Herzegowina, Serbien und Montenegro wurden drei weitere Länder in den Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat aufgenommen, Serbien und Bosnien allerdings mit dem deutlichen Hinweis auf die Erwartung der NATO, dass die beiden Staaten nunmehr konstruktiv mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zusammenarbeiten. Im Kern geht es dabei um die Auslieferung der mutmaßlichen Kriegsverbrecher Karadzic und Mladic.
Eine neue Erweiterungsrunde der NATO wird frühestens auf der Gipfelkonferenz, die im Frühjahr 2008 geplant ist, eingeleitet. Kroatien, Mazedonien, Albanien, Georgien und die Ukraine stehen da als mögliche Interessenten in der ersten Linie. Die NATO hat allerdings deutlich gemacht, dass eine Einladung zur Mitgliedschaft nur ergeht, wenn die betreffenden Staaten die von der NATO geforderten Standards erreichen. Dazu gehört neben inneren Reformen, vor allem bei den Streitkräften, auch die Regelung von Grenzproblemen, die einige der Staaten haben. Deutlich skeptischer als früher wurden vor diesem Hintergrund die Chancen von Georgien, wo vor allem die ungelös-ten Grenzprobleme ins Gewicht fallen, und der Ukraine, deren innenpolitische Entwicklung Sorgen macht, eingeschätzt. Die Formulierungen in der Gipfelerklärung sind so gewählt, dass niemand daraus ableiten kann, dass es zu einer neuen Erweiterungsrunde kommt. Es werde geprüft, ob mögliche Kandidaten die Bedingungen erfüllen.
Die Staats- und Regierungschefs haben die volle Einsatzfähigkeit der NATO-Eingreiftruppe beschlossen. Die "NATO-Response-Force" ist eine Truppe, die in halbjährlicher Rotation aus Verbänden der Mitgliedstaaten zusammengesetzt wird. Die Verbände müssen vorher in Übungen nachweisen, dass sie einsatzfähig sind. Das Einsatzspektrum der Response-Force deckt alle denkbaren militärischen Operationen ab. Sie soll bis zu 25.000 Soldaten umfassen und binnen weniger Tage in einem Krisenfall einsatzbereit sein. Im Sommer fand auf den Kapverdischen Inseln eine Übung statt, bei der noch erhebliche Mängel im Bereich der Logistik, also der Verlegung der Truppen in das Einsatzgebiet wie ihrer Versorgung, festgestellt wurden. Daher hat die Erklärung, sie sei nun voll operationsfähig, einige doch überrascht. Sie hegten den Verdacht, es sei eine politische Erklärung.