Der Lärm ist ohrenbetäubend in Ikeja, dem "Computer-Dorf" vor den Toren von Nigerias Millionenmetropole Lagos. Hunderte Händler preisen an ihren Marktständen aus vollem Hals Computer, Monitore, Faxmaschinen, Handys und andere elektronische Geräte an, die in Amerika oder Europa als veraltet gelten. Was in Deutschland unverkäuflich ist, erzielt hier noch einen Preis. Ein Pentium III-Computer bringt mehr als 100 Euro, ein alter Röhrenfernseher immerhin die Hälfte. 500 Schiffscontainer, so die Umweltschützer vom "Basel Aktions-Netzwerk", landen jeden Monat allein im Hafen von Lagos. "Drei Viertel davon sind Schrott, mit dem sich nichts mehr anfangen lässt", so die Bilanz des Verbandes der Computerhändler in Nigeria. Dieser Elektroschrott landet auf Deponien, nicht weit vom bunten Treiben des Marktes in Ikeja entfernt.
Die rauchenden Überreste des digitalen Equipments erheben sich auf einem ehemaligen Feuchtgebiet, so weit das Auge reicht. Jim Puckett, Direktor des "Basel Aktions-Netzwerks", ist auch Monate nach seinem Besuch dort entsetzt. "Immer, wenn ein Müllberg zu hoch wird, zünden die Leute ihn an. Kinder laufen barfuß auf der Suche nach irgendetwas Verwertbarem durch die schwelende Masse und atmen Dämpfe aus Dioxinen und Furanen ein." Organisierte "Rohstoffküchen" wie in Asien, wo vor allem Frauen ungeschützt giftigste Stoffe aus den Computern herauskochen, gibt es in Nigeria nicht. In der Zukunft, befürchtet Puckett, könnte sich das ändern.
Denn die Müllmenge, die nach Afrika verschifft wird, wächst. Jedes Jahr, so schätzt das UN-Umweltprogramm (UNEP), fallen weltweit bis zu 50 Millionen Tonnen des mit Blei, Cadmium, Barium, Quecksilber, Chrom und anderen Giften beladenen Elektroschrotts an, etwa fünf Prozent des gesamten Müllaufkommens. 60 Prozent der Altbatterien stecken heute bereits in Mobiltelefonen. Zwar verbietet die 1989 verabschiedete "Basler Konvention" den Export von Giftmüll in Entwicklungsländer. Doch dieses Verbot tricksen findige Händler aus: Sie deklarieren den Müll, der in Europa für viel Geld fachgerecht entsorgt werden müsste, als Recyclinggut. Viele der Geräte, hat Puckett herausgefunden, werden sogar in gutem Glauben gegeben: Regierungsagenturen, Schulen oder andere Institutionen verschenken ihre gebrauchten Rechner für bedürftige Afrikaner.
Etwa 800 Computer, weiß der nigerianische Umweltschützer Olayemi Adesanya, passen im Schnitt in einen Schiffscontainer. "So einen Container von den USA nach Lagos zu verschiffen, kostet etwa 4.000 Euro." Beim derzeitigen Verkaufspreis heißt das, dass bereits 40 Pentium III-Rechner die Transportkosten wieder wettmachen. "Und dann kommen skrupellose Händler aus den Industrieländern und machen ihren Geschäftspartnern in Nigeria das Angebot: 400 gute Rechner kannst Du haben, wenn Du auch 400 Schrottgeräte nimmst." Ein Geschäft, dass sich angesichts fehlender Umweltgesetzgebung oder Kontrollen in Nigeria lohnt. Der überzählige Schrott landet allenfalls für ein Handgeld auf einer Kippe wie der von Ikeja. Unerfahrene Händler, so Adesanya, setzen manchmal auch auf so genannte "Überraschungscontainer": "Das sind Container, in denen wild zusammen gewürfelter Schrott ist: Manchmal befindet sich darunter ein besonders wertvolles Schätzchen, dann hat man Glück gehabt." Doch generell gelte, dass die Verkäufer in den Industrieländern den Käufern in Afrika oft noch überlegen seien. In Asien, wo sich das Blatt inzwischen gewendet hat, kommen hingegen immer weniger Schrottgeräte an. Im Gegenteil: Auch asiatische Exporteure verschiffen ihren Schrott immer häufiger nach Afrika.
Dabei sind nicht alle Exporte von Altgeräten schlecht. Jim Lynch, der in San Francisco die Hilfsorganisation "CompuMentor" leitet, verurteilt diejenigen, die Computerschrott nach Afrika verschiffen, als "gewissenlose Müll-Cowboys". Seine Organisation, so Lynch, testet jeden Rechner, bevor er grünes Licht zur Verschiffung nach Afrika bekommt. Auch Norman Mutunga von der kenianischen Organisation "Computer für Schulen" verteidigt den Import alter Rechner: "Wir haben klare Regeln für die Spender, kein Rechner darf älter als sechs Jahre sein." Mit entsprechender Betreuung, so Mutungas Erfahrung, hält ein Rechner dann noch weitere vier Jahre durch. Vier Jahre, in denen Schüler in Kenia lernen können, wie man mit einem Rechner arbeitet. "Wenn die Rechner endgültig kaputt sind, nehmen wir sie auseinander - einen Teil recyceln wir hier, einen Teil schicken wir zurück, auf Kosten der Spender." Tatsächlich ist die Öko-Bilanz dieses Recyclings oft gut. In Entwicklungsländern werden viele Einzelteile, etwa Röhren, noch als Ersatz- oder Bauteile benutzt, die in Industrieländern nicht mehr lohnend recycelt werden können.
Das Hauptproblem ist aus Sicht der Experten die Grauzone, in der sich der Handel mit gebrauchten Elektrogeräten derzeit abspielt. Besonders gilt das für die USA, dem einzigen Industrieland, das die Basler Konvention bis heute nicht ratifiziert hat. Halbseidene Müllhändler können dort praktisch folgenlos Gifte nach Afrika exportieren. Doch auch in anderen Staaten stellt sich das Problem der Kontrolle. "Was wir brauchen, ist ein einheitliches Label, das Computern und anderen alten Elektronikgeräten die Tauglichkeit bescheinigt", fordert die Direktorin der Basler Konvention, Sachiko Kuwabara-Yamamoto. Vertreter der 169 Vertragsstaaten haben bei ihrem achten Gipfeltreffen, das bis zum 1. Dezember in Kenias Hauptstadt Nairobi stattfand, in einem speziellen Forum über den Vorschlag diskutiert. Auch die Industrie war an den Gesprächen beteiligt. Unklar ist bis jetzt vor allem, wer für eine solche Prüfung zahlen soll.